Freund der Wortzusammensetzung

Von Christian Schiffer · 29.02.2012
Migranten haben die deutsche Gegenwartsliteratur vielfältiger gemacht – auch dank des Adelbert-von-Chamisso-Preises, der seit 1985 verliehen wird. Einen der beiden Förderpreise für Autoren nichtdeutscher Sprachherkunft erhält heute der albanische Schriftsteller Ilir Ferra.
"'Wischmopp' ist ein schönes Wort! Das mag ich an der deutschen Sprache: Also diese Zusammensetzung von Wörtern."

Ilir Ferra mag die deutsche Sprache. Der 37-Jährige mit dem südländischen Äußeren staunt über die kühle Eleganz von Worten wie "Beischlaf" oder lacht über Sprachkonstruktionen wie etwa die der "Schokoladenseite". Dabei war Ilir Ferras Verhältnis zur deutschen Sprache nicht immer so unverkrampft. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wandert er 1991 mit seiner Familie in den Westen aus. Aus der beschaulichen albanischen Küstenstadt Durrës wird der damals 16-Jährige in die Metropole Wien katapultiert. Er besucht das Gymnasium, versteht kein Wort, ist isoliert:

"Ich war auf alles vorbereitet. Ich habe mich auf alles eingestellt. Ich hatte Filme gesehen, die zeigen, wie Leute flüchten und sich in eine neue Gesellschaft hineinfinden müssen. Die haben es erst immer sehr schwer, können sich dann aber innerhalb der nächsten zwei Stunden durchsetzen. So ähnlich hatte ich das auch erwartet: Nicht unbedingt, dass es nur zwei Stunden dauern würde, aber vielleicht ein Jahr. Aber das war dann nicht der Fall."

Ilir Ferra lernt die deutsche Sprache nicht systematisch, sondern lässt sich im Unterricht berieseln. Mit Erfolg: Langsam wächst sein Wortschatz und er dechiffriert nach und nach die deutsche Grammatik. Nach dem Ende der Schullaufbahn arbeitet er an einer Würstchenbude – und zwar schwarz. Er wird erwischt, plötzlich droht die Abschiebung. Schnell braucht er gute Zeugnisse, um die Behörden zu erweichen und beginnt deswegen ein Studium als Übersetzer. Wieder lässt er sich berieseln, diesmal von Nachrichtensendungen. Und er beginnt Gedichte zu schreiben, auch auf Deutsch. 2008 dann wagt er sich an seine erste Erzählung:

"Da habe ich von einem Wettbewerb gehört. Es ging um ein Buch von Hera Lind, 'Superweib' hieß das. Ich habe aber weder Hera Lind noch 'Superweib' gekannt, aber ich habe meinen Vorstellungen von 'Superweib' freien Lauf gelassen und habe dann diese Erzählung geschrieben. Die hat das Thema dann total verfehlt, war aber für mich sehr interessant."

"Halber Atem" heißt die Geschichte, für die Ilir Ferra den Preis "Schreiben zwischen den Kulturen" bekommt. Jetzt nimmt auch langsam das Projekt Gestalt an, das ihn seit Jahren nicht los lässt: Sein erster Roman. Fast zehn Jahre hat er da schon darüber nachgedacht, über was er schreiben möchte und vor allem wie. Er schaut viele Filme, weil er herausfinden möchte, wie das genau geht mit dem Geschichtenerzählen. Er entspannt sich bei Computerspielen, für ihn ein neues erzählerisches Medium, in dem er großes Potential sieht. Und er schaut auch mal im Stadion vorbei, wenn sein Lieblingsverein KS Teuta Durrës in Wien zu Gast ist und haushoch verliert. Und wie jeder Schriftsteller macht er sich Notizen. Irgendwann endlich, weiß er, was für ein Buch er schreiben möchte:

"Ich habe das Bedürfnis gehabt dieses Buch zu schreiben, aber ich habe nicht gewusst, wie ich das angehen soll. Und dann bin ich drauf gekommen, dass es spannend wäre, wenn ein Kind das System des Kommunismus versucht das kommunistische System zu analysieren und zu verstehen."

In nur vier Monaten entsteht "Rauchschatten", ein Buch mit autobiografischen Zügen. Ilir Ferra schildert die Gefühlswelt eines kleinen Jungen, der sich vor allem für Comic-Helden aus dem Fernsehen interessiert und sich über den grauen, manchmal absurden Alltag des Staatssozialismus wundert. Ein System, das dem Kapitalismus viel ähnlicher ist als viele glauben, sagt Ilir Ferra:

"Keiner scheint bereit, darüber zu sprechen. Dabei wird uns permanent an den Kopf geworfen, dass es uns schlechter gehen wird, dass es sehr schlimm um uns steht, dass wir Abstriche werden machen müssen. Es heißt auch immer, dass wir mehr arbeiten werden müssen. Der Ton ist hier ganz ähnlich, wie damals in Albanien. Auch hier geht es um eine Bedrohlichkeit von außen, dass da etwas kommt, auf das wir uns einstellen müssen."

In dem Buch, das Ilir Ferra auf Lesungen dabei hat, finden sich immer wieder neue Formulierungen am Rand, in rot, in schwarz, in blau und grün, den vier Farben seines Lieblings-Kugelschreibers. Es gibt für Ilir Ferra auch an einem fertigen Buch immer noch etwas zu verbessern, zu optimieren, umzubauen. Ilir Ferra, das merkt man, mag die die deutsche Sprache wirklich, nicht nur wegen Worten wie Wischmopp. Für "Rauchschatten" hat er gerade den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis erhalten. Es ist der vorläufige Schlusspunkt einer langen Reise:

"Ich mag das Wort 'Stolz' nicht, aber ich bin schon sehr stolz darauf. Ich bin vor 20 Jahren aus Albanien aufgebrochen und ich habe ziemlich bald danach begonnen zu Schreiben. Das war eigentlich ein ständiger Aufbruch. Und mit diesem Preis habe ich das erste Mal nach 20 Jahren das Gefühl, angekommen zu sein."
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