Fremde als Freunde
Christopher Caldwell zeigt in "Reflections on the Revolution in Europe", dass erst die europäische Aufklärung die Möglichkeit eröffnet hatte, den Fremden auch als Freund und als Freude wahrzunehmen.
Christopher Caldwell stellt eine uralte Frage - eine Frage, die sich die Europäer lange nicht gestellt haben, sich auch nicht stellen mussten: Was ist ein Fremder? Was will er? Woran glaubt er? Welche Sitten bringt er mit? Ist er Freund oder Feind?
"Dass sie ihren Tagesablauf und ihre dörflichen Gewohnheiten aus der alten Heimat, ihre Nachbarschaftsverbindungen, ihren täglichen Markt- und Moscheenbesuch aufrecht erhalten würden, das schien eine geradezu bizarre Vorstellung zu sein. Fast all die ursprünglichen Annahmen über die Massen-Immigration sollten sich als falsch erweisen .... Zu keinem Zeitpunkt kamen die Europäer auf den Gedanken, die langfristigen Implikationen zu bedenken."
Der Fremde ist das Rätsel, die Bedrohung, das Geheimnis, die Verlockung. Caldwell versteht sein Buch als Aufforderung zur Reflexion - auch zur Selbstreflexion. Er zeigt, dass erst die europäische Aufklärung die Möglichkeit eröffnet hatte, den Fremden auch als Freund und als Freude wahrzunehmen, als Gewinn und als Bereicherung.
Früher war der Fremde vor allem der Feind, das Opfer, die Beute. Damit gab es nur Sieger und Besiegte, Du oder ich, Deine Kultur oder meine. Caldwell sieht, dass die islamische Masseneinwanderung in Europa diese Frage neu aufwirft mit geradezu existentieller Gewalt. Das Attentat auf das World-Trade-Center. Die Entschlossenheit der Muslime in Köln, in der Schweiz, in ganz Europa Moscheen und Minarette zu errichten. Diese Minarette werden dabei von allen, auch von vielen Muslimen selbst als Symbole kultureller und politischer Macht, als Symbole der Herrschaft verstanden.
"Der von den meisten Neuankömmlingen praktizierte Islam liegt quer zum Europäischen Säkularismus. In dem Kampf zwischen den beiden wäre es vorschnell, von einem Sieg des Säkularismus auszugehen. Die spirituelle Verwahrlosung, die die muslimischen Einwanderer im Westen erleben, hat Folgen. Genau diese Verwahrlosung ist es, die unsere Kultur am meisten bedroht."
Caldwell nimmt die Muslime ernst. In einem ausführlichen Teil seines Buches, auf über hundert Seiten, unterzieht er den Islam einer einfühlsamen Analyse. Sein besonderes Augenmerk widmet er der Scharia. Im Unterschied zu den Europäern, so sagt Caldwell, sehen sich die Muslime grundsätzlich als Sieger und von Allah legitimiert, ihren politischen Willen mit allen, auch mit Terrormaßen durchzusetzen. Also das alte Du oder ich.
Der Eindruck verstärkt sich damit, dass vor allem die politischen Organisationen der Muslime ihre Präsenz in Europa als Landnahme verstehen. Immerhin waren Jahrhunderte muslimischer Geschichte vor allem eine Geschichte der Eroberung und Versklavung anderer Völker.
Caldwell kritisiert, aber er diffamiert nicht das politische Handeln der Muslime. Eroberung und Unterwerfung fremder Volker und ihrer Länder sind ihm nichts Ungewöhnliches. Historisch gesehen spielt die militärische Landnahme gegenüber der demographischen allerdings eine geringere Rolle. Caldwell widmet dieser Frage eines seiner Kapitel.
"Nur 19 Prozent der Europäer glauben, dass die Immigration ihren Ländern gut getan hat. Mehr als die Hälfte (57 Prozent) sagt, dass ihr Land "zu viele Ausländer" hat. Je mehr Ausländer ein Land aufgenommen hat, desto mehr werden sie abgelehnt. 73 Prozent der Franzosen glauben, dass ihr Land zu viele Immigranten hat, 69 Prozent der Briten glauben das auch. Es geht hier nicht darum, wie viel Immigration sich die Bürger wünschen, sondern wie viel sie zu ertragen bereit sind."
Caldwell skizziert drei miteinander verzahnte Strategien der Eroberung Europas: erstens Parallelgesellschaften, zweitens Dschihad, drittens kulturelle Hegemonie. Dabei geht er auf die Erfahrungen in allen großen europäischen Gesellschaften ein. Diese Analyse scheint mir der Kern und der Hauptgewinn der Lektüre seines Buches zu sein.
Die Existenz von Parallelgesellschaften sichert die geographische und kulturelle Expansion. Inzwischen sind erhebliche Bereiche großer deutscher Städte unter faktischer Kontrolle von Ausländern, vor allem von Muslimen. Uwe-Karsten Heye, Pressereferent und Redenschreiber für den SPD-Vorsitzenden Willy Brandt, hat dafür den Begriff no-go-area populär gemacht, benützt wird er aber offenbar auch in anderen europäischen Staaten. Parallelgesellschaft bezeichnet demnach jenen geographischen Raum – besonders in den Innenstädten – der einer Kontrolle von Polizei und Staat entzogen ist, also eigentlich eine Form von Ausland im Inland.
Die sogenannte Sauerland-Gruppe etwa verkörpert den militärischen Arm des Islamismus. Sie hatte über Jahre und mit logistischer Unterstützung aus dem Ausland Terroranschläge geplant. Bemerkenswert ist dabei, dass sie nicht nur aus Ausländern, sondern bereits aus deutschen Konvertiten rekrutiert wurde.
Caldwell glaubt nicht, dass es den Einwanderern, besonders den muslimischen, um Assimilation geht. Ein deutsches Beispiel: Der Anspruch der kulturellen Hegemonie wurde mit der Rede des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan im Februar 2008 in Köln manifestiert. Er wendet sich darin mit Entschiedenheit gegen jegliche Form der Assimilation und definiert – zumindest die türkischen - Muslime als Besatzungsmacht in Europa.
Mit dieser offiziellen staatlichen Rückendeckung wird verständlich, dass Muslime auch die Kontrolle über den öffentlichen Diskurs einfordern. Exemplarisch dafür ist das Echo auf jene dänischen Karikaturisten, die sich spöttisch über den Islam äußerten. Auf einen von ihnen, Kurt Westergaard, gab es einen Mordanschlag, er muss sich seither versteckt halten.
Caldwell formuliert die europäische Ideologie sehr genau, eine Art von Ideologie, die man eigentlich nur aus totalitären Staaten kennt:
"Wenn Europa mehr Immigranten aufnimmt, als ihre Stimmbürger gut heißen, hat die Demokratie einen Defekt. Die europäischen Politiker haben sich offenbar anders als ihre Bürger entschieden - dass nämlich Einwanderung und Einbürgerung Grundwerte darstellen, über die weder verhandelt noch gar in politischen Wahlen entschieden werden darf."
Christopher Caldwell: Reflections on the Revolution in Europe
Doubleday
"Dass sie ihren Tagesablauf und ihre dörflichen Gewohnheiten aus der alten Heimat, ihre Nachbarschaftsverbindungen, ihren täglichen Markt- und Moscheenbesuch aufrecht erhalten würden, das schien eine geradezu bizarre Vorstellung zu sein. Fast all die ursprünglichen Annahmen über die Massen-Immigration sollten sich als falsch erweisen .... Zu keinem Zeitpunkt kamen die Europäer auf den Gedanken, die langfristigen Implikationen zu bedenken."
Der Fremde ist das Rätsel, die Bedrohung, das Geheimnis, die Verlockung. Caldwell versteht sein Buch als Aufforderung zur Reflexion - auch zur Selbstreflexion. Er zeigt, dass erst die europäische Aufklärung die Möglichkeit eröffnet hatte, den Fremden auch als Freund und als Freude wahrzunehmen, als Gewinn und als Bereicherung.
Früher war der Fremde vor allem der Feind, das Opfer, die Beute. Damit gab es nur Sieger und Besiegte, Du oder ich, Deine Kultur oder meine. Caldwell sieht, dass die islamische Masseneinwanderung in Europa diese Frage neu aufwirft mit geradezu existentieller Gewalt. Das Attentat auf das World-Trade-Center. Die Entschlossenheit der Muslime in Köln, in der Schweiz, in ganz Europa Moscheen und Minarette zu errichten. Diese Minarette werden dabei von allen, auch von vielen Muslimen selbst als Symbole kultureller und politischer Macht, als Symbole der Herrschaft verstanden.
"Der von den meisten Neuankömmlingen praktizierte Islam liegt quer zum Europäischen Säkularismus. In dem Kampf zwischen den beiden wäre es vorschnell, von einem Sieg des Säkularismus auszugehen. Die spirituelle Verwahrlosung, die die muslimischen Einwanderer im Westen erleben, hat Folgen. Genau diese Verwahrlosung ist es, die unsere Kultur am meisten bedroht."
Caldwell nimmt die Muslime ernst. In einem ausführlichen Teil seines Buches, auf über hundert Seiten, unterzieht er den Islam einer einfühlsamen Analyse. Sein besonderes Augenmerk widmet er der Scharia. Im Unterschied zu den Europäern, so sagt Caldwell, sehen sich die Muslime grundsätzlich als Sieger und von Allah legitimiert, ihren politischen Willen mit allen, auch mit Terrormaßen durchzusetzen. Also das alte Du oder ich.
Der Eindruck verstärkt sich damit, dass vor allem die politischen Organisationen der Muslime ihre Präsenz in Europa als Landnahme verstehen. Immerhin waren Jahrhunderte muslimischer Geschichte vor allem eine Geschichte der Eroberung und Versklavung anderer Völker.
Caldwell kritisiert, aber er diffamiert nicht das politische Handeln der Muslime. Eroberung und Unterwerfung fremder Volker und ihrer Länder sind ihm nichts Ungewöhnliches. Historisch gesehen spielt die militärische Landnahme gegenüber der demographischen allerdings eine geringere Rolle. Caldwell widmet dieser Frage eines seiner Kapitel.
"Nur 19 Prozent der Europäer glauben, dass die Immigration ihren Ländern gut getan hat. Mehr als die Hälfte (57 Prozent) sagt, dass ihr Land "zu viele Ausländer" hat. Je mehr Ausländer ein Land aufgenommen hat, desto mehr werden sie abgelehnt. 73 Prozent der Franzosen glauben, dass ihr Land zu viele Immigranten hat, 69 Prozent der Briten glauben das auch. Es geht hier nicht darum, wie viel Immigration sich die Bürger wünschen, sondern wie viel sie zu ertragen bereit sind."
Caldwell skizziert drei miteinander verzahnte Strategien der Eroberung Europas: erstens Parallelgesellschaften, zweitens Dschihad, drittens kulturelle Hegemonie. Dabei geht er auf die Erfahrungen in allen großen europäischen Gesellschaften ein. Diese Analyse scheint mir der Kern und der Hauptgewinn der Lektüre seines Buches zu sein.
Die Existenz von Parallelgesellschaften sichert die geographische und kulturelle Expansion. Inzwischen sind erhebliche Bereiche großer deutscher Städte unter faktischer Kontrolle von Ausländern, vor allem von Muslimen. Uwe-Karsten Heye, Pressereferent und Redenschreiber für den SPD-Vorsitzenden Willy Brandt, hat dafür den Begriff no-go-area populär gemacht, benützt wird er aber offenbar auch in anderen europäischen Staaten. Parallelgesellschaft bezeichnet demnach jenen geographischen Raum – besonders in den Innenstädten – der einer Kontrolle von Polizei und Staat entzogen ist, also eigentlich eine Form von Ausland im Inland.
Die sogenannte Sauerland-Gruppe etwa verkörpert den militärischen Arm des Islamismus. Sie hatte über Jahre und mit logistischer Unterstützung aus dem Ausland Terroranschläge geplant. Bemerkenswert ist dabei, dass sie nicht nur aus Ausländern, sondern bereits aus deutschen Konvertiten rekrutiert wurde.
Caldwell glaubt nicht, dass es den Einwanderern, besonders den muslimischen, um Assimilation geht. Ein deutsches Beispiel: Der Anspruch der kulturellen Hegemonie wurde mit der Rede des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan im Februar 2008 in Köln manifestiert. Er wendet sich darin mit Entschiedenheit gegen jegliche Form der Assimilation und definiert – zumindest die türkischen - Muslime als Besatzungsmacht in Europa.
Mit dieser offiziellen staatlichen Rückendeckung wird verständlich, dass Muslime auch die Kontrolle über den öffentlichen Diskurs einfordern. Exemplarisch dafür ist das Echo auf jene dänischen Karikaturisten, die sich spöttisch über den Islam äußerten. Auf einen von ihnen, Kurt Westergaard, gab es einen Mordanschlag, er muss sich seither versteckt halten.
Caldwell formuliert die europäische Ideologie sehr genau, eine Art von Ideologie, die man eigentlich nur aus totalitären Staaten kennt:
"Wenn Europa mehr Immigranten aufnimmt, als ihre Stimmbürger gut heißen, hat die Demokratie einen Defekt. Die europäischen Politiker haben sich offenbar anders als ihre Bürger entschieden - dass nämlich Einwanderung und Einbürgerung Grundwerte darstellen, über die weder verhandelt noch gar in politischen Wahlen entschieden werden darf."
Christopher Caldwell: Reflections on the Revolution in Europe
Doubleday

Cover: "Christopher Caldwell: Reflections on the Revolution in Europe"© Doubleday