Freiheit und Unfreiheit
Ulrike Ackermann befasst sich in ihrem Buch damit, was politische, individuelle und wirtschaftliche Freiheit bedeuten. "Freiheit in der Krise?" versammelt Positionen, die die Ausrichtung und das Selbstverständnis des John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung repräsentieren.
Staunenswert, dass sich ausgerechnet in der Bundesrepublik Stimmen für den "Eros der Freiheit" erheben! Staunenswert, weil man bei unserer Fixierung auf Gleichheit so etwas nicht erwartet. Ulrike Ackermann jedenfalls will dagegen halten. Die in ihrem Buch versammelten Positionen ...
" ... repräsentieren gewissermaßen die Ausrichtung und das Selbstverständnis des Instituts. Sein Ansinnen ist kein Geringeres als lebendige Debatten über den Zustand der Freiheit und Unfreiheit in unserem Land und über seine Grenzen hinaus zu entfachen. Es will die Krise nutzen zu einer Selbstvergewisserung über unsere Freiheitstraditionen und das Verhältnis von wirtschaftlicher, politischer und individueller Freiheit neu ausloten helfen."
Das Ausloten nimmt einer der Autoren, Klaus Hekking, ebenfalls Hochschullehrer am Mill Institut, wörtlich. Er will das durch die globale Wirtschaftskrise bedrohte Freiheitsbewusstsein der Bürger durch eine geschickte Nachahmung des amerikanischen Freedom Watch Index messen, indem er einen "Freiheitsindex" entwickelt. Zur besseren Veranschaulichung wendet er sich direkt ans Auditorium:
"Versuchen Sie sich einmal zu erinnern, was Ihnen im Jahr 1999 gesetzlich noch nicht verboten war und was Sie unreguliert tun konnten. Und dann vergleichen Sie dies mit dem Jahr 2009 und Sie haben etwa eine Idee, was wir meinen. Wenn der Freiheitsindex im Jahr 1999 bei 100 stand, wo steht er jetzt? Bei 120, oder doch eher bei 80?"
Klaus Hekking will damit auf die Gefahr des schleichenden Verlustes der individuellen Freiheit aufmerksam machen. Der Index möge dafür sorgen, dass sie sich uns nicht unmerklich entzieht. Solche Aussagen haben eine alarmierende Wirkung. Hekkings Beispiele für individuelle Freiheitsberaubung reichen vom Rauchverbot über die Online-Durchsuchung bis zur flächendeckenden Video-Überwachung von Innenstädten.
Die meisten Bundesbürger jedoch, heißt es in aktuellen Befragungen, merkten gar nichts von der Krise. Sie werden sich deshalb auch in ihrer Freiheit kaum bedroht fühlen. Das zeigt aber vielleicht nur, dass sie die schleichenden Verluste nicht erkennen. Dagegen möchte der Index sie immunisieren.
Hätte man einen exakten Maßstab auch für die Bedrohung der wirtschaftlichen Freiheit an der Hand, wäre die Argumentation gewiss um vieles leichter. Wie soll man die Milliarden Steuergelder für das Bankenwesen beurteilen, die die Regierungen ausgegeben haben, im guten Glauben, damit das Marktsystem vor dem Verfall zu bewahren? Als radikale Liberale sieht die Herausgeberin Ulrike Ackermann das eher kritisch:
"Mit den weltweit gigantischen Staatsinterventionen scheint man aber den Teufel mit dem Beelzebub austreiben zu wollen. Immer neue Rettungsschirme, Bürgschaften, Verstaatlichungen und Investitionsprogramme, die längerfristig den Wettbewerb verzerren, Protektionismus schüren und die Staatsverschuldung weiter in die Höhe treiben, nähren die Illusion, die Politik könne schon wieder alles richten."
Vera Lengsfeld haut in die gleiche Kerbe. Als in der DDR wegen Abweichlertum Geächtete zeigt sich die langjährige Bundestagsabgeordnete besonders sensibel gegenüber angeblichen staatlichen Wohltaten. Längst sei die Aufbruchseuphorie von 1989/90 einer depressiven Stimmung gewichen, die breite Bevölkerungskreise im Osten Deutschlands lähme:
"Unzufriedenheit und Verdruss traten an die Stelle der Stärkung und der Zuversicht, die man eben noch gespürt hatte. Aus tatendurstigen, aufbauwilligen Menschen waren nimmersatte Transferleistungsempfänger geworden."
Lengsfeld hält einen Mentalitätswechsel für notwendig: Statt der Überbetonung von Gerechtigkeit und Gleichheit, mehr Freiheit und Selbstverantwortung! Vor allem sagt sie der auf Umverteilung drängenden Linken den Kampf an. Gebranntes Kind, scheut sie das Feuer und warnt:
"Wenn selbst die vorsichtigste Einschränkung des Umverteilungswahns sofort durch den Verlust von Wählerstimmen quittiert wird, ist kaum ein Politiker bereit, notwendige Einschnitte vorzunehmen. Die größte Gefahr, die das Umverteilungssystem birgt, ist deshalb, dass die Demokratie selbst zur Disposition gestellt werden könnte, wenn einmal die Versorgung ausfällt."
Der Vortrag der Lengsfeld offenbart, wie schnell sich die Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit zu einem Verlust der politischen auswachsen kann. Ihre Argumentation mündet denn auch in die unmissverständliche Forderung:
"In den neuen Bundesländern muss die Aufbruchstimmung von 1989/90 revitalisiert werden."
Wie weit die Deutschen, nicht nur die im Osten, von solcher Stimmung entfernt sind, mag der Leser angesichts dieser zum Teil mitreißenden Beiträge ermessen. Die jüngste Wirtschaftskrise hat die Diskussionen angeregt. Alle Autorinnen und Autoren setzen sich mit ihr auseinander, auch Karen Horn und Gerhard Schulze, die hier stellvertretend für die noch nicht Erwähnten genannt seien: er renommierter Soziologe an der Universität Bamberg, sie streitbare Leiterin des Hauptstadtbüros vom Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft.
Beide behandeln auf packende Weise die Vorgänge an den Finanzmärkten, die zu den weltweiten Verwerfungen geführt haben, beide legen sie den Finger in die Wunde: sie geißelt den Größenwahn der Finanzakteure, er ihre milieubedingte Kurzsichtigkeit.
Wem manche der hier versammelten Positionen allzu radikal erscheinen, dem sei der Band dennoch zur Lektüre empfohlen. Zwar mögen sie manchmal übers Ziel hinausschießen, doch gerade wegen unserer schon erwähnten Fixierung auf Gleichheit ist ein bisschen Übertreibung vielleicht gar nicht so falsch, denn dadurch könnte ja unser Bewusstsein für den Eros der Freiheit gestärkt werden. Ein Hoch auf John Stuart Mill, der in seinem Buch "On Liberty" neben Alexis de Tocqueville als erster auf die Gefahr des Freiheitsverlustes in modernen Demokratien hingewiesen hat.
Ulrike Ackermann: Freiheit in der Krise? Der Wert der wirtschaftlichen, politischen und individuellen Freiheit
Humanities Online, Frankfurt am Main 2009
" ... repräsentieren gewissermaßen die Ausrichtung und das Selbstverständnis des Instituts. Sein Ansinnen ist kein Geringeres als lebendige Debatten über den Zustand der Freiheit und Unfreiheit in unserem Land und über seine Grenzen hinaus zu entfachen. Es will die Krise nutzen zu einer Selbstvergewisserung über unsere Freiheitstraditionen und das Verhältnis von wirtschaftlicher, politischer und individueller Freiheit neu ausloten helfen."
Das Ausloten nimmt einer der Autoren, Klaus Hekking, ebenfalls Hochschullehrer am Mill Institut, wörtlich. Er will das durch die globale Wirtschaftskrise bedrohte Freiheitsbewusstsein der Bürger durch eine geschickte Nachahmung des amerikanischen Freedom Watch Index messen, indem er einen "Freiheitsindex" entwickelt. Zur besseren Veranschaulichung wendet er sich direkt ans Auditorium:
"Versuchen Sie sich einmal zu erinnern, was Ihnen im Jahr 1999 gesetzlich noch nicht verboten war und was Sie unreguliert tun konnten. Und dann vergleichen Sie dies mit dem Jahr 2009 und Sie haben etwa eine Idee, was wir meinen. Wenn der Freiheitsindex im Jahr 1999 bei 100 stand, wo steht er jetzt? Bei 120, oder doch eher bei 80?"
Klaus Hekking will damit auf die Gefahr des schleichenden Verlustes der individuellen Freiheit aufmerksam machen. Der Index möge dafür sorgen, dass sie sich uns nicht unmerklich entzieht. Solche Aussagen haben eine alarmierende Wirkung. Hekkings Beispiele für individuelle Freiheitsberaubung reichen vom Rauchverbot über die Online-Durchsuchung bis zur flächendeckenden Video-Überwachung von Innenstädten.
Die meisten Bundesbürger jedoch, heißt es in aktuellen Befragungen, merkten gar nichts von der Krise. Sie werden sich deshalb auch in ihrer Freiheit kaum bedroht fühlen. Das zeigt aber vielleicht nur, dass sie die schleichenden Verluste nicht erkennen. Dagegen möchte der Index sie immunisieren.
Hätte man einen exakten Maßstab auch für die Bedrohung der wirtschaftlichen Freiheit an der Hand, wäre die Argumentation gewiss um vieles leichter. Wie soll man die Milliarden Steuergelder für das Bankenwesen beurteilen, die die Regierungen ausgegeben haben, im guten Glauben, damit das Marktsystem vor dem Verfall zu bewahren? Als radikale Liberale sieht die Herausgeberin Ulrike Ackermann das eher kritisch:
"Mit den weltweit gigantischen Staatsinterventionen scheint man aber den Teufel mit dem Beelzebub austreiben zu wollen. Immer neue Rettungsschirme, Bürgschaften, Verstaatlichungen und Investitionsprogramme, die längerfristig den Wettbewerb verzerren, Protektionismus schüren und die Staatsverschuldung weiter in die Höhe treiben, nähren die Illusion, die Politik könne schon wieder alles richten."
Vera Lengsfeld haut in die gleiche Kerbe. Als in der DDR wegen Abweichlertum Geächtete zeigt sich die langjährige Bundestagsabgeordnete besonders sensibel gegenüber angeblichen staatlichen Wohltaten. Längst sei die Aufbruchseuphorie von 1989/90 einer depressiven Stimmung gewichen, die breite Bevölkerungskreise im Osten Deutschlands lähme:
"Unzufriedenheit und Verdruss traten an die Stelle der Stärkung und der Zuversicht, die man eben noch gespürt hatte. Aus tatendurstigen, aufbauwilligen Menschen waren nimmersatte Transferleistungsempfänger geworden."
Lengsfeld hält einen Mentalitätswechsel für notwendig: Statt der Überbetonung von Gerechtigkeit und Gleichheit, mehr Freiheit und Selbstverantwortung! Vor allem sagt sie der auf Umverteilung drängenden Linken den Kampf an. Gebranntes Kind, scheut sie das Feuer und warnt:
"Wenn selbst die vorsichtigste Einschränkung des Umverteilungswahns sofort durch den Verlust von Wählerstimmen quittiert wird, ist kaum ein Politiker bereit, notwendige Einschnitte vorzunehmen. Die größte Gefahr, die das Umverteilungssystem birgt, ist deshalb, dass die Demokratie selbst zur Disposition gestellt werden könnte, wenn einmal die Versorgung ausfällt."
Der Vortrag der Lengsfeld offenbart, wie schnell sich die Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit zu einem Verlust der politischen auswachsen kann. Ihre Argumentation mündet denn auch in die unmissverständliche Forderung:
"In den neuen Bundesländern muss die Aufbruchstimmung von 1989/90 revitalisiert werden."
Wie weit die Deutschen, nicht nur die im Osten, von solcher Stimmung entfernt sind, mag der Leser angesichts dieser zum Teil mitreißenden Beiträge ermessen. Die jüngste Wirtschaftskrise hat die Diskussionen angeregt. Alle Autorinnen und Autoren setzen sich mit ihr auseinander, auch Karen Horn und Gerhard Schulze, die hier stellvertretend für die noch nicht Erwähnten genannt seien: er renommierter Soziologe an der Universität Bamberg, sie streitbare Leiterin des Hauptstadtbüros vom Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft.
Beide behandeln auf packende Weise die Vorgänge an den Finanzmärkten, die zu den weltweiten Verwerfungen geführt haben, beide legen sie den Finger in die Wunde: sie geißelt den Größenwahn der Finanzakteure, er ihre milieubedingte Kurzsichtigkeit.
Wem manche der hier versammelten Positionen allzu radikal erscheinen, dem sei der Band dennoch zur Lektüre empfohlen. Zwar mögen sie manchmal übers Ziel hinausschießen, doch gerade wegen unserer schon erwähnten Fixierung auf Gleichheit ist ein bisschen Übertreibung vielleicht gar nicht so falsch, denn dadurch könnte ja unser Bewusstsein für den Eros der Freiheit gestärkt werden. Ein Hoch auf John Stuart Mill, der in seinem Buch "On Liberty" neben Alexis de Tocqueville als erster auf die Gefahr des Freiheitsverlustes in modernen Demokratien hingewiesen hat.
Ulrike Ackermann: Freiheit in der Krise? Der Wert der wirtschaftlichen, politischen und individuellen Freiheit
Humanities Online, Frankfurt am Main 2009

Cover: "Ulrike Ackermann: Freiheit in der Krise? Der Wert der wirtschaftlichen, politischen und individuellen Freiheit"© Humanities Online