Freihandelsabkommen

Deutschlands Theater sind in Gefahr

"Foreign Affair"-Festivalleiter Matthias von Hartz
"Foreign Affair"-Leiter Matthias von Hartz sieht die vielfältige Kulturszene gefährdet. © dpa / picture-alliance / Andreas Peter
Matthias von Hartz im Gespräch mit Nana Brink |
Das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) mit den USA gefährdet die deutsche Kulturszene: Matthias von Hartz, Leiter des Internationalen Theater- und Performancefestivals "Foreign Affairs" sieht Theater und kulturelle Einrichtungen "ideologisch, philosophisch und auch praktisch bedroht".
Nana Brink: Mittlerweile geht es nicht mehr nur um das viel zitierte Chlorhühnchen, ein wirklich nur kleiner Teil der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft, kurz TTIP genannt, die wird ja gerade zwischen den USA und der Europäischen Union verhandelt. Es geht gerade in die sechste Runde und es vergeht keine Woche, in der die Kulturszene nicht vor den Auswirkungen dieses Freihandelsabkommens warnt.
Groß ist der Alarmismus, denn viele Kulturschaffende treibt die Befürchtung um, dass - um nur ein Beispiel zu nennen - im Sinne der Wettbewerbsfreiheit zum Beispiel Subventionen verboten werden könnten, davon wären dann Museen oder Opern- und Theaterhäuser betroffen. Aber auch Ereignisse wie das gerade zu Ende gegangene internationale Theater- und Performancefestival Foreign Affairs in Berlin. Geleitet wird das von Matthias von Hartz, er hat Volkswirtschaft in London studiert und Regie in Hamburg. Schönen guten Morgen!
Matthias von Hartz: Guten Morgen!
Brink: Müssten Sie um Ihr Festival fürchten, wenn das Freihandelsabkommen kommt?
von Hartz: Das ist schwer zu sagen, ich glaube nicht. Ich glaube nicht, auf so einer ganz praktischen Ebene ist jetzt wirklich diese Subvention für diese spezielle Sorte Kunst bedroht. Aber natürlich letztlich doch, weil das Aushandeln dieses Freihandelsabkommen ein weiterer Sieg für eine Kultur wäre, jetzt nicht im Sinne von Kunstproduktion, sondern Kultur im Sinne von wie möchte man zusammenleben, in welcher Gesellschaft, in der alles sich verkaufen lassen muss. Und dann wird es natürlich früher oder später schwierig für Dinge, die erst mal nicht deswegen gemacht werden, damit sie sich verkaufen.
Brink: Aber das möchte ich noch mal ein bisschen genauer wissen: Sie sagen also, eigentlich ist es eigentlich ein bisschen, ehrlich gesagt, falscher Alarm, was jetzt Sie, den Theaterbereich angeht?
von Hartz: Na ja, das kommt dann sehr auf die genaue Gesellschaftsform an. im Großen und Ganzen sind ja sehr viele Kulturinstitutionen gemeinnützige Einrichtungen, die werden davon formal erst mal nicht betroffen. Aber wir haben ja auch in der letzten Zeit viele Kultureinrichtungen in GmbHs umgewandelt, nicht alle von denen sind noch gemeinnützig. Es gibt Konstruktionen, in denen man nicht nur so eine Form gewählt hat, sondern auch so eine Terminologie wählt, ganz viel reden wir ja auch über Umwegrentabilität in der Kultur und versuchen, anderen Gesellschaftsschichten zu erklären, dass sich das doch alles rechnet ...
Brink: Da spricht der Volkswirt, ja!
von Hartz: Und wenn man sich darauf erst mal eingelassen hat, dann kann man natürlich eigentlich nicht mehr sagen, es geht hier ja gar nicht um rechnen, sondern es geht hier eigentlich um die freie Kunst. Ich glaube, man hat sich da schon über so Aneignung von ökonomischem Vokabular und auch von so neoliberalem Denken in eine Ecke gebracht, wo man deutlich mehr in der Gefahr ist, Teil dessen zu werden, was dann eben da frei gehandelt werden soll.
Brink: Was ist denn genau Ihr Kritikpunkt? Dass Kultur doch keine Ware ist, aber eigentlich ja manchmal schon?
von Hartz: Nein, mein Kritikpunkt ist ein ganz grundsätzlicher. Der Gedanke, der dem Freihandelsabkommen oder dem Freihandel zugrunde liegt, der ist ja erst mal ganz gut. Unterschiedliche Länder können unterschiedliche Dinge unterschiedlich gut, weil das Wetter anders ist, weil die Leute historisch andere Fähigkeiten haben, und dann tauscht man sich eben aus, der eine macht so im alten Beispiel Schafwolle und der andere Whisky und jeder macht das, was er besser kann, und das wird dann eben getauscht und es wird für alle billiger. So die Theorie.
Die Schwierigkeit ist einerseits, dass das so natürlich nicht stimmt, es führt nicht zu gleich verteilt mehr Wohlstand für alle, sondern der wird genauso ungleich verteilt, wie überhaupt Wohlstand ungleich verteilt wird. Und es stimmt deswegen nicht, weil immer mehr Gesellschaftsbereiche in dieses Kalkül einbezogen werden, die eigentlich damit gar nichts zu tun haben dürften.
Brink: Aber die Amerikaner haben ja komischerweise kein Problem damit, die sagen, warum sollen wir Fernsehen subventionieren, es ist ja auch gut, ohne dass wir es subventionieren. Und das stimmt ja auch! Es gibt tolle Fernsehserien, ganz anders als bei uns im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, und das funktioniert auf dem Markt!
von Hartz: Na ja, das hat ja einen anderen Grund. Der Grund dafür ist, es gibt einfach einen viel größeren Markt, auf dem Markt wird mehr produziert und deswegen ist auch an der Spitze mehr. Auf einem viel kleineren Markt, was ja mit einer Sprache und Skalenerträgen zu tun hat ...
Ich glaube, das stimmt so nicht, wenn man das für den Kunstbereich anguckt oder ganz konkret für den Theaterbereich, müssen die Amerikaner wirklich vor dem Freihandelsabkommen nichts fürchten, denn bei denen gibt es einfach keine subventionierte Kultur, da könnte gar nichts verschwinden. Theater, was wir hier interessant finden, existiert in ganz Amerika nicht. Das ist eine schwer vergleichbare Situation.
Aber letztlich geht es auch gar nicht um Amerika oder um uns, es gibt auch Bereiche, in denen Regeln in Amerika deutlich strenger sind als bei uns, zum Beispiel Finanzprodukte sind nach den großen Krisen der letzten Jahre in Amerika viel stärker reglementiert als bei uns. Und die Gefahr von so einem Abkommen ist einfach, dass man sich immer auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner einigen wird, weil es immer jemanden geben wird, der klagen wird und sagen wird, meine Investitionsvorhaben sind gefährdet, weil es dort diese und jene Regeln gibt, die mich daran hindern, damit das Geld zu verdienen, was ich woanders verdienen könnte.
"Wir müssen aus keinem Dilemma rauskommen"
Brink: Ist es aber letztendlich dann doch auch eine philosophische Frage, nämlich "Was ist uns Kunst wert"? Und da, könnte ich mir vorstellen, widerspricht sich bei Ihnen der Volkswirt und der Theatermann?
von Hartz: Ich würde noch weiter gehen, ich würde nicht nur sagen: "Was ist uns Kunst wert", sondern auch: "Was ist uns Leben wert und in welcher Gesellschaft wollen wir leben, und wollen wir in einer leben, in der das wichtigste Primat ist, dass die Investition geschützt wird?"
Ich würde sagen: nein! Bei diesem TTIP gibt es ja auch so skurrile Sachen, die auch eigentlich erst mal eine gute Idee sind, wie dieses Schiedsgerichte, die eingerichtet werden, um das aus der normalen Gerichtsbarkeit rauszuholen, die gibt es für Investitionen. Die gibt es aber nicht für Sozial- oder für Umweltstandards. Also, ich glaube, das Primat der Investition und damit letzten Endes das Primat der Ökonomie und des Geldes ist das, was dann letzten Endes auch das Kulturgut ideologisch, philosophisch und am Ende des Tages sicherlich auch praktisch bedrohen wird.
Brink: Also auch ein Preisschild dran macht?
von Hartz: Nicht nur ein Preisschild dran macht, sondern auch die ganze Logik des Preises damit ja auf das Kulturgut überträgt.
Brink: Und wie kommen wir jetzt aus diesem Dilemma raus? Denn es ist ja klar, dass die Politik, also sagen wir mal, die deutsche, offizielle, in Gestalt der Bundeskanzlerin ja ganz klar gesagt hat: Wir wollen dieses Abkommen!
von Hartz: Wir müssen aus keinem Dilemma rauskommen, wir müssen einfach dagegen sein. Auch die Politik muss dagegen sein. Auch wenn wir vorhin über Alarmismus gesprochen haben, das hat ja auch damit zu tun, dass da Leute aufgewacht sind. Also, das hat damit zu tun, dass viele Gesellschaftsbereiche, die bisher dachten, sie müssten sich dafür nicht interessieren ...
Widerstand gegen Freihandelsabkommen ist ja ungefähr 20 Jahre alt, das ist ja nichts Neues, da gibt es ja viele soziale Bewegungen, die dagegen schon lange arbeiten, nur haben jetzt einfach, nachdem das immer weiter fortgeschritten ist auch in der Akzeptanz in der Bevölkerung, mehr Gesellschaftsbereiche gemerkt, dass sie das betrifft. Und ich finde, das ist kein Dilemma, das ist falsch und das muss man verhindern.
Brink: Und wie wollen Sie sich dann aufstellen, um das zu verhindern? Oder andersherum gefragt: Was machen Sie, wenn es doch kommt?
von Hartz: Ich arbeite irgendwie seit 15 Jahren gegen Freihandel, ich muss mich hier Gott sei Dank nicht mehr aufstellen. Ich mache das nur innerhalb des Kulturbereichs, da ist es ja wahrscheinlich auch völlig wirkungslos. Aber es führt zumindest dazu, ein bestimmtes Bewusstsein herzustellen und das muss man ja doch sagen, Alarmismus hin oder her, das, was man aus der Auseinandersetzung jetzt sieht, ist, viele Leute, die sich für so ein Thema vor zehn Jahren nicht die Bohne interessiert haben, versuchen plötzlich zu verstehen, was freier Handel ist und was Dienstleistungsabkommen sind und was das für ihren Alltag bedeuten könnte jenseits davon, ob sie Chlorhühnchen essen oder nicht. Und da bin ich jetzt erst mal ganz optimistisch, dass man sich vielleicht gerade gar nicht aufstellen muss, sondern dass wirklich eine breite Diskussion in Gang gekommen ist, an deren Ende vielleicht auch die Einsicht steht, dass man so darüber zumindest nicht verhandeln kann.
Brink: Matthias von Hartz, schönen Dank für das Gespräch!
von Hartz: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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