Freihandelsabkommen

"Es ist eine reale Gefahr, dass Subventionen wegfallen"

Seine Kulturgüter sind Europas größtes Kapital, meint der Regisseur Volker Schlöndorff.
Seine Kulturgüter sind Europas größtes Kapital, meint der Regisseur Volker Schlöndorff. © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Moderation: Nana Brink · 21.06.2014
Europas größtes Kapital ist seine Kultur, meint der Regisseur Volker Schlöndorff. Und die ist durch das TTIP, dass die Europäer gerade mit den Amerikanern hinter verschlossenen Türen verhandeln, akut gefährdet. Er warnt: Ein Blick auf ein ähnliches Abkommen, das Kanada, die USA und Mexiko schlossen, zeigt eindeutig, was passieren wird. Die Folgen seien unvorstellbar.
Nana Brink: Spätestens seit den Europawahlen ist das TTIP ja ein heißes Thema. TTIP steht für Transatlantisches Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen den USA und der Europäischen Union. Und neben dem schon zu Tode zitierten amerikanischen Chlorhühnchen, das auf europäischen Tellern landen soll, treibt vor allem viele Kulturschaffende die Befürchtung um, dass – ganz im Sinne der Wettbewerbsfreiheit – Subventionen verboten werden könnten. Davon wären dann Museen und Opernhäuser betroffen, oftmals greifen ja unsere Förderstrukturen in den Markt ein, zum Beispiel bei der Buchpreisbindung, und in Europa – ganz anders als in den USA – wird Kultur von der öffentlichen Hand getragen, das sehen wir ja auch bei der Filmförderung. Regisseur Volker Schlöndorff hat schon bei den Filmfestspielen in Cannes 2013 mit über 5.000 europäischen Aktiven aus der Filmbranche eine Petition gegen das TTIP unterzeichnet. Schönen guten Morgen, Herr Schlöndorff!
Volker Schlöndorff: Guten Morgen!
Brink: Welche Folgen hätte denn TTIP auf den europäischen Film?
Schlöndorff: Das hat die Folge, dass wir jetzt schon wieder in einer Kultursendung über Politik reden zum Beispiel!
Brink: Hat aber eigentlich alles mit allem zu tun!
Schlöndorff: Und es war das Gegenteil geplant! – Nein, es zwingt die Kulturleute, sich um Politik zu kümmern. In dem Fall ist es so, niemand kennt die Folgen. Es wird ja hinter verschlossenen Türen verhandelt. Ich glaube nicht, dass den Stadttheatern oder Opernhäusern dadurch im Namen des Wettbewerbs mit einem amerikanischen Theater irgendwelche Subventionen gestrichen werden, so weit geht es nicht. Aber für viele andere Produkte – Sie haben es ja in der Anmoderation gesagt –, für Bücher... Natürlich ist den Amerikanern die Buchpreisbindung ein Dorn im Auge, Amazon und andere könnten die Bücher zu ihren eigenen Preisen auf den Markt bringen und das wäre also das Ende sämtlicher Buchhandlungen und des Buchhandels, auch des Kettenbuchhandels in Europa.
"Amerikanische Filme machen schon mehr als 70 Prozent des Marktanteils aus"
Und bei den Filmen ist es nun mal so, dass die europäischen Filme an sich leider nicht mehr wettbewerbsfähig sind auf dem Weltmarkt und, ganz egal, das hat in Frankreich angefangen, ist in Deutschland, in Dänemark, sogar in Großbritannien fördert man die einheimische Filmproduktion, weil sie zu unserer Kultur gehört, zu unserer Art, uns auszudrücken, über unsere Länder, und weil sie sonst eben nicht bestehen könnte gegen den übergroßen Druck der amerikanischen Filme, die auch bei uns schon – muss man nur ins Kinoprogramm schauen – 70 oder 80 Prozent des Marktanteils ausmachen.
Brink: Also würde das dann heißen: nur noch Hollywood- und Blockbusterproduktionen aus den USA?
Schlöndorff: Ja, das könnte darauf hinauslaufen. Man hat das Problem schon mal gehabt bei den Urheberrechten, man hat es schon mal in Europa gehabt, irgendwie versucht man dann immer noch, hinten rum eine Schutzklausel einzubauen, so eine Art Minderheitenschutz, die ja aber dann meistens auch nur das bleibt, was ein Minderheitenschutz ist. Das eigentliche Ziel unserer europäischen Förderung, was ja auch zum Teil eine Wirtschaftsförderung ist, ist, überhaupt wieder konkurrenzfähig zu werden. Dass Filme mehr international verteilt werden, dass es mehr diversifiziert wird, dass es auf dem Weltmarkt nicht nur diesen einen Hersteller gibt.
Kulturgüter aus den Verträgen rauslassen
Wir gönnen ihnen ja den wirtschaftlichen Erfolg, aber er verzerrt das Bild dessen, was die Köpfe der Menschen beinhalten. Wir sind alle dann von diesem einen, nicht mal American, sondern Global Way of Life überschüttet. Es sind einfach gestrickte Erzählmuster, das sind immer wieder die Special Effects und so weiter, und so weiter. Und das ist eine reale Gefahr, dass diese Subventionen wegfallen würden.
Brink: Aber Karel De Gucht, der zuständige EU-Handelskommissar, hat das ja massiv bestritten. Er hat gesagt, die europäischen Verträge verpflichten die EU und ihre Mitgliedsstaaten, kulturelle Vielfalt zu schützen und zu fördern. Sie haben Zweifel?
Schlöndorff: Gut, aber es wäre ja dann viel einfacher, diese aus den Verträgen rauszulassen. Das ist nämlich genau unsere Forderung. Das geht viel weiter als Film oder so was, das geht darauf hin: Man muss nicht immer alles über einen Kamm scheren. Die Globalisierer wollen alles harmonisieren, wie sie das nennen, in Wirklichkeit schaffen sie damit Konflikte. Man könnte ja sagen, man macht ein Handelsabkommen und dann werden sämtliche Kulturgüter da rausgenommen. Ich glaube sogar, das wäre die wahre Exception Culturelle.
"Kultur ist immer in Gefahr, wenn so große Verträge gemacht werden"
Und das wäre durchaus im Sinne Europas, in dem, wie Sie auch schon gesagt haben, eben Kultur auf eine ganz andere Weise entsteht und wir eben auch Sprachminderheiten und solche Sachen schützen. Bei uns wird sogar das Sorbische noch gepflegt und geschützt. In Amerika hat diese Harmoniesucht dazu geführt, dass zum Beispiel in Louisiana die Sprache der Cajuns eliminiert worden ist, dass die Sprachen der Indianer eliminiert worden sind. Und die Sprachvielfalt gehört aber auch zur Kultur. Alles so was ist immer in Gefahr, wenn so große Verträge gemacht werden.
Brink: Also, Frankreich kämpft ja massiv für seine Kulturbelange, fordert ja eine Ausklammerung, wie Sie es geschildert haben, des Bereichs für das Freihandelsabkommen. Sind die Deutschen da zu zurückhaltend?
Schlöndorff: Ja, sie sind sehr zurückhaltend, weil jeder schaut ein bisschen so von seiner eigenen Wirtschaft her und sagt, na ja, bei uns im dualen Ausbildungssystem steht ja der Mittelstand gut da, wir exportieren Kugellager, Turbinen und alle möglichen Produkte ...
Brink: Na, immerhin!
Schlöndorff: Kulturexport ist für uns nicht so wichtig. Für Frankreich und Italien zum Beispiel ist Kulturexport immens wichtig. Und ich würde mal sagen, das einzige Kapital, was Europa überhaupt noch zu exportieren hat, ist Kultur. Das unterscheidet eben das europäische Gebilde von vielen anderen Weltmarktpartnern. Also müssten wir im Gegenteil noch mehr tun, um Kultur bei uns zu entwickeln, zum Beispiel dass im Kulturradio mehr über Kultur als über Politik gesprochen wird, Sie machen ja den löblichen Anfang heute!
Brink: Das haben wir uns vorgenommen!
"Der American Way of Life ist der eigentliche amerikanische Exportschlager"
Schlöndorff: Und dass auf die Art und Weise uns bewusst wird, dass unsere europäische Lebensart und alles das, was wir in den letzten 1.000 oder 1.500 Jahren angesammelt und entwickelt haben, von verschiedenen Lebensarten bis zu den eben Kulturgütern, die daraus entstehen, dass das ja wirtschaftlich gesehen ein Rohstoff ist, der nur bei uns geschürft werden kann. Den müssen wir schützen!
Brink: Trotzdem, Herr Schlöndorff, darf ich Ihnen noch mal doch zum Abschluss die Frage stellen, mal abgesehen von diesen ganzen Blockbustern: Warum schaffen es die Amerikaner aber dann trotzdem, gute, sehr gute Filme zu machen, ohne all diese Förderung?
Schlöndorff: Weil sie... Das nennt man Scale Economy. Wenn Sie den größten Heimmarkt haben, dann können Sie von dem Heimmarkt in der eigenen Sprache schon Ihr Produkt amortisieren, dann können Sie es also günstiger exportieren. Und die Amerikaner exportieren ja nicht nur Film, sondern wenn wir ins Kino gehen, kaufen wir auch gleich zwei Stunden American Way of Life. Und das ist der eigentliche amerikanische Exportschlager, den die ganze Welt imitieren will. Und den nun auch noch, dem noch einen Freibrief durch ein Freihandelsabkommen zu geben, das ist verheerend. Schauen Sie, was passiert ist, als das Freihandelsabkommen zwischen Kanada, USA und Mexiko geschlossen worden ist, dadurch sollte Mexiko aufgewertet werden.
"Die Folgen waren verheerend"
Was ist es geworden: Es ist ein Sklavenmarkt geworden für diese nordamerikanischen Länder, durch die Freizügigkeit, die da entsteht, für die Waren an der amerikanisch-mexikanischen Grenze sind immense Industrieketten aufgebaut worden, die für Billigstarbeiterinnen hauptsächlich produzieren, die dann umgebracht werden... Es ist unvorstellbar, was dieses wohlgemeinte Handelsabkommen für verheerende Folgen für die Menschen gehabt hat. Es stimmt einfach nicht, dass ohne Regularien und jetzt machen wir alles frei die Welt besser würde.
Brink: Herzlichen Dank! Der Regisseur Volker Schlöndorff, schönen Dank für Ihre Einschätzungen!
Schlöndorff: Bitte schön fürs Wort zum Sonntag!
Brink: Und bleiben Sie uns gewogen!
Schlöndorff: Aber es stimmt!
Brink: Schönen Samstag für Sie noch und danke für das Gespräch!
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