Streit im Freibad

Weg da vom Beckenrand!

Schwarz-weiß Foto: Viele Menschen im Freibad, das Becken ist voll.
Kommt gleich die nächste Debatte über Jugendgewalt aufgetaucht? Heiße Sommer ließen - wie hier im Sommer 1965 in Dortmund - schon immer die Freibäder voll werden. © picture alliance / Klaus Rose
20.07.2023
Wenn im Freibad ein Streit eskaliert, wie zuletzt im Columbiabad in Berlin, ist die Empörung groß. Zahlen zeigen jedoch: Die Vorfälle nehmen nicht zu - und neu ist das Phänomen auch nicht. Schon vor 50 Jahren wurde Jugendgewalt in Freibädern beklagt.
Streit, Pöbelei und Schlägereien im Freibad und eine aufgeregte öffentliche Debatte - das gabs schon vor Jahrzehnten. Die Rahmenbedingungen seien heute sicherlich andere, aber dass „junge Männer in Gruppen Radau schlagen“ könne man schon als „Kontinuität“ verstehen, sagt Bodo Mrozek, Historiker am Institut für Zeitgeschichte in München und Berlin.

Krawall im Freibad: Neu ist das nicht

Auseinandersetzungen von Jugendlichen im Freibad haben seit jeher für Schlagzeilen gesorgt. Auch das Kino hat das Phänomen aufgegriffen. Der Film „Die Halbstarken“ von 1956 beispielsweise beginnt mit einer Szene im Schwimmbad, in deren Verlauf zwei Bademeister von Jugendlichen verprügelt werden.
„Dieser Ausschnitt zeigt, dass Gewalt in Schwimmbädern schon vor 50 Jahren ein Thema war“, so Mrozek. Obwohl die Filmhandlung fiktiv war, wurde sie in der damaligen Debatte über Jugendgewalt in Westdeutschland für „bare Münze“ genommen, erklärt der Historiker.
Der DEFA-Film "Die Glatzkopfbande" (1963) beruht sogar teilweise auf wahren Begebenheiten, die man in Stasi-Akten später nachvollziehen konnte. Auch in diesem Film kommt es zu Prügeleien zwischen Jugendlichen, diesmal an der Ostsee.
Doch nicht nur in Deutschland wurde sich in Freibädern geschlagen: Auch im südfranzösischen Badeorten kam es Anfang der 1960er-Jahre zu Tumulten, wie Presseberichten der Zeit zu entnehmen ist.

In Großbritannien wurde das Militär gerufen

Berühmt wurden auch die Auseinandersetzungen zwischen Cliquen in englischen Seebädern, über die 1964 ausführlich berichtet wurden. Mitten auf dem Stand kam es damals zu Massenschlägereien, wie Historiker Mrozek berichtet. „In der Folge hat damals das Innenministerium getagt und sogar die Luftwaffe im Inneren eingesetzt. Da haben Militärmaschinen Londoner Polizisten als schnelle Eingreiftruppe auf eigenes markierte Landeplätze am Strand geflogen." Auch diskutierte das Parlament darüber, Gesetze zu verschärfen.
Drastische Maßnahmen, die am Ende wohl sehr übertrieben waren. Mrozek hat die Polizeiakten von damals aus der Grafschaft East Sussex ausgewertet. Die Bilanz: Es kam zu willkürlichen Festnahme, auch zu Fällen von Polizeigewalt. In einem Polizeibericht wurde vermerkt, dass „an den meisten Wochenenden nichts Besonderes passiert sei“, das Ganze war wohl eher ein Medienphänomen, so der Historiker.

Die Rolle der Medien

Die Berichte der Presse von damals hat der Soziologe Stanly Cohen ausgewertet. Er wendet darauf den Begriff der „moral panic“ an: Die Angst vor Katastrophen könne mehr Zerstörung anrichten (z.B. durch eine Massenpanik) als das Ereignis selbst.
Tatsächlich wurde sogar das „Nichtereignis“ eine Nachricht: Zeitungen zeigten damals einen leeren Strand und titelten dazu „Brighton ohne sie“, berichtet Mrozek. Solche Tendenzen könne man auch heutzutage in der Medienberichterstattung beobachten.

Kommt es immer häufiger zu Auseinandersetzungen in Schwimmbädern?

Wer glaubt, dass es immer häufiger zu Auseinandersetzungen in Frei- und Schwimmbädern komme, den täuscht die subjektive Wahrnehmung. Denn entgegen der öffentlichen Debatte zeigen die offiziellen Zahlen ein anderes Bild. In Berlin gab es in den vergangenen Jahren kein Anstieg der Freibadgewalt, eher im Gegenteil: Die Zahlen sind rückläufig.
Im Jahr 2022 gab es insgesamt 57 Gewaltdelikte in den Bädern, weniger als in den Jahren davor. So waren es 2018 noch 77 Fälle. Das wird ersichtlich aus der Antwort des Berliner Senats auf eine Anfrage der AfD-Fraktion im Mai 2023.
Auch die Anzahl der ausgesprochenen Hausverbote der Berliner Bäder-Betriebe hat abgenommen. Waren es 2018 noch 572 Hausverbote, belief sich die Zahl 2022 auf 133.
Der Migrationshintergrund spiele „nur bedingt“ eine Rolle, wenn es zu Streitereien in Freibädern komme, sagt auch Erik Voß, Leiter der Aus- und Fortbildung der deutschen Gesellschaft für das Badewesen. Er blickt auf rund 45 Jahre Erfahrung als Schwimmmeister zurück.
Sicherlich: „An Orten, wo unterschiedliche Kulturen und unterschiedliche Wertesysteme aufeinandertreffen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr viel höher, das so etwas passiert“, so Voß. Deswegen kämen Auseinandersetzungen in Ballungszentren wie großen Städten gehäufter vor.
Doch das sei nicht das einzige Problem. „Faktoren, wie sich die Gesellschaft verändert hat, spielen eine Rolle“, so Voß: So werde die Erwartungshaltung der Kunden immer höher und gebe es wegen Corona ein höheres Aggressivitätspotenzial.

Meist nur populistisch: Ruf nach harten Strafen

Historiker Mrozek hat deswegen eine Warnung: „Man sollte skeptisch sein, wenn vereinzelte Prügeleien in manchen Schwimmbädern zu ganz großen nationalen Nachrichten, sofort als Indikator für einen Trend ausgegeben und wie gerade als Chiffre für eine missglückte Integration diskutiert werden, bevor überhaupt eine nähere Auswertung stattgefunden hat.“
Das mag in etlichen Fällen stimmen, aber zum Gesamtbild gehörten auch „rassistische Pöbeleien und gewalttätige Übergriffe auf nicht deutsch aussehende Menschen, etwa an ostdeutschen Badeseen, wie sie seit den 1990er-Jahren regelmäßig vorkommen“, so Mrozek.
Aufrufe in sozialen Netzwerken, bestimmte ethnisch markierte Gruppen nicht mehr in Bäder zu lassen, betrachtet der Historiker als problematisch und verweist auf die deutsche Geschichte, als Bäder unter den deutschen Faschisten damit warben „Juden frei“ zu sein. „Darum sollte man in Deutschland sehr zurückhaltend mit ethnischen Zuschreibungen sein.“
Auch die Forderung nach drakonischen Strafen habe es immer gegeben, blickt Mrozek zurück. „Gebracht hat das meist gar nichts, außer dass sich bestimmte Politiker wahlkampfträchtig geäußert haben.“

nho
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