„Freebirthing“
Ganz natürlich und selbstbestimmt gebären: Freebirthing-Coaches verharmlosen Alleingeburten ohne medizinische Unterstützung. © picture alliance / empics / Dominic Lipinski
Der riskante Hype um die Alleingeburt

Alleingeburten ohne Hebammen oder Ärzte - das propagieren sogenannte Freebirthing-Coaches und Birthkeeperinnen auf Social Media: ein gefährlicher Trend, hinter dem auch ein Geschäftsmodell steckt.
Sie nennt sich „OceanBirth Queen“: Die Wellen umspülen Josy Peukert, während sie ihr Neugeborenes im Arm hält, von Käseschmiere bedeckt, die Nabelschnur noch nicht durchtrennt. Die Sonne scheint auf sie herab. Peukert strahlt und kuschelt sich an ihr Baby. Die Aufnahmen des Instagram-Clips legen nahe, dass sie ihr Kind soeben ganz allein, ohne Hilfe von Hebammen oder Ärzten, am Strand in Nicaragua geboren habe – im Wasser des Pazifiks.
Ein idyllisches Setting für einen riskanten Trend: Peukert gehört zu den sogenannten „Freebirthing“-Coaches und „Birthkeeperinnen“, die Alleingeburten als erstrebenswertes Ideal propagieren.
Alleingeburten und die Freebirthing-Bewegung
Von Alleingeburten ist die Rede, wenn Frauen ein Kind ohne Unterstützung durch Hebammen oder ärztliches Personal bekommen – ob allein zu Hause, im Wald oder am Pazifikstrand. Immer wieder gibt es Berichte über gesundheitliche Schäden oder sogar Todesfälle bei Alleingeburten. Laut offizieller Zahlen werden fast alle Kinder hierzulande im Krankenhaus geboren. Zwei Prozent der Geburten entfallen auf Geburtshaus- und Hausgeburten, die von Hebammen betreut werden. Nur sehr wenige Mütter entscheiden sich für eine Alleingeburt, wie viele es genau sind, darüber gibt es keine Statistik.
Gleichzeitig existiert ein globaler Trend, Alleingeburten zu idealisieren, besonders auf Social Media. Die Hebamme Ursula Jahn-Zöhrens, Beirätin für den freiberuflichen Bereich beim Deutschen Hebammenverband, empfindet das als eine sehr traurige Entwicklung: „Der Berufsstand der Hebamme hat sich ja nicht aus der Theorie entwickelt, sondern daher, dass sich Frauen schon über Jahrhunderte – um nicht zu sagen Jahrtausende – hinweg, fachkundigen Beistand gewünscht haben.“ Sie halte es kaum aus, die Videos in sozialen Medien anzusehen, die ausschließlich positiv verlaufene Alleingeburten zeigen.
Doch Vertreterinnen der „Freebirthing“-Bewegung haben hierzulande Zehntausende Follower auf Plattformen wie Instagram und Facebook. Die Szene blendet Risiken aus und stellt Alleingeburten als natürliche Form der Geburt sowie als Akt weiblicher Selbstbestimmung dar: Wer bei der Geburt nur auf den eigenen Körper höre, habe wenig zu befürchten. Die professionelle Geburtshilfe beschreiben „Birthkeeperinnen“ und „Freebirthing“-Coaches im Gegensatz dazu als ein übergriffiges System.
Missstände im Kreißsaal
Die Kritik, mit der die „Freebirthing“-Bewegung ihre Ablehnung medizinischer Unterstützung begründet, basiert auf realen Problemen in der Geburtshilfe: etwa, wenn Frauen im Kreißsaal nicht zugehört wird, wenn zu viele unnötige Eingriffe erfolgen oder es sogar zu Gewalt unter der Geburt kommt.
Ein Faktor dabei ist die oft schwierige Personalsituation in der Geburtshilfe. „Was wir in den deutschen Kreißsälen haben, ist Stress“, sagt die Hebamme Ursula Jahn-Zöhrens. „Wir haben Personalmangel, bei den Hebammen auch bei den Ärztinnen, die kommen reingeschneit, sagen kaum ‚Hallo‘, verrichten irgendwelche Sachen und verschwinden wieder. Die Hebammen sind teils dazu verdonnert, drei, vier Gebärende in unterschiedlichen Situationen parallel zu begleiten.“
Aus Sicht von Sabine Hartmann-Dörpinghaus, Professorin für Hebammenkunde an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln, trägt auch das System Krankenhaus zur Beliebtheit von Alleingeburten bei. In Kliniken und Kreißsälen dominiere ein geburtsmedizinisches, mechanistisches Denken, sagt sie. Was zähle, seien messbare Fakten: Wie weit ist der Muttermund geöffnet, wie hoch ist der Blutdruck, was sieht man bei den Herztönen des Kindes?
Wie sich die Frau fühlt, was sie als angenehm empfindet, welche Bedürfnisse sie hat, das falle hinten runter, werde häufig sogar belächelt. Dabei beeinflusst das den Verlauf der Geburt, erklärt die Professorin. „Da kann viel passieren, dass die Frau sich alleingelassen fühlt, dass sie traumatisiert aus der Geburt hervorgeht. Es kann aber auch passieren, dass aufgrund von fehlender Begleitung und Betreuung der Geburtsverlauf nicht so in den Bahnen verläuft, wie es eigentlich sein könnte.“
Der starre Blick auf die Daten führe dazu, dass zu häufig auf medizinische Eingriffe gesetzt werde, kritisiert Hartmann-Dörpinghaus. Hebammen sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Interventionskaskade“: Auf einen Wehentropf folgt etwa eine Schmerzlinderung per PDA und schließlich eine Saugglockengeburt oder ein Kaiserschnitt. Deutschland gilt als Land mit hoher Eingriffsrate. Etwa 31 Prozent aller Kinder kommen hierzulande per Kaiserschnitt auf die Welt. Laut Weltgesundheitsorganisation wäre dieser allerdings nur bei 10 bis 15 Prozent aller Geburten medizinisch notwendig.
Risiken von Alleingeburten
In den vielen Gruppen und Kanälen der Freebirthing-Community auf Social Media wiederum entsteht leicht der Eindruck, eine Alleingeburt sei ganz einfach: Ein paar Haushaltsgegenstände und eine Fahrt zum Baumarkt sollen genügen, um alles bereitzuhaben, was bei einer Geburt nötig sei. Durch Abtasten und Körpergefühl könne man angeblich genau spüren, wo das Kind ist, und wie man weiter vorgehen müsse.
Dabei kommt es bei Alleingeburten immer wieder vor, dass die Gebärenden oder ihre Kinder sterben. So wie die australische Ernährungsinfluencerin Stacey Hatfield im Oktober 2025: Sie entschied sich für eine Alleingeburt, verlor im Anschluss massiv Blut und starb wenig später.
Medizinisches Wissen, etwa wie man mit Blutungen während oder nach der Geburt umgeht, fehlt in der Freebirthing-Bewegung häufig. Beispielsweise müsse man den Grund kennen, warum eine Frau Blut verliert, erklärt die Hebamme Ursula Jahn-Zöhrens: „Wenn sie blutet aufgrund einer inneren Verletzung, und die wird nicht genäht, dann ist das nicht beendet.” Wenn die Plazenta sich beispielsweise nicht löst, “dann verblutet sie, dann blutet sie aus.”
Ein weiteres Risiko sind Probleme mit der Nabelschnur. „Das kann zu jeder Zeit in der Schwangerschaft, aber vor allem spät in Schwangerschaft, auch zum Tod des Kindes führen“, warnt Jahn-Zöhrens. „Wenn das Kind sich die Nabelschnur irgendwo drumherum gewickelt hat, wo es sich nicht mehr draus lösen kann. Wenn ich das alles einfach ignoriere, dann riskiere ich ein Menschenleben.“
Geschäftsmodell Freebirthing
Warum werden Alleingeburten auf einschlägigen Accounts dennoch so positiv dargestellt? Viele Freebirthing-Coaches vermitteln teure Ausbildungen an Frauen, sind also zuerst Selbstvermarkter. Eine medizinische Ausbildung ist keine Voraussetzung, um zur „Birthkeeperin“ oder zum Schwangerschaftscoach zu werden.
„Der Begriff Coach und Coachin ist ja rechtlich nicht geschützt, das heißt jeder kann sich so nennen“, sagt Matthias Pöhlmann, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns mit dem Spezialgebiet Esoterik. „Es wird oft den Menschen eingeredet: In dir schlummern alle Potenziale. Ich habe die Methode, ich kann dir zeigen, wie das funktioniert. Und das sind natürlich auch Erfolgsutopien, die verbreitet werden.“
Auf der Website der Freebirthing Society beispielsweise werden ein virtuelles Retreat mit Schwester MorningStar für 1.500 Dollar und Einzelstunden für 350 Dollar angeboten. Für die Radical Birthkeeper Ausbildung wird online kein Preis mehr angegeben. Eine Interessentin berichtet, dass sie rund 3.000 Dollar hätte zahlen sollen.
Die Freebirthing Society hat auf die Bitte um eine Stellungnahme zu ihrem Geschäftsmodell nicht reagiert. Die Alleingeburt Akademie wiederum erklärte auf Anfrage, dass die ausgebildeten Mentorinnen umfassendes medizinisches und nicht-medizinisches Wissen erwerben würden, das auch ein Modul zu geburtshilflichen Notfällen umfasse. Am Ende der Ausbildung stünde eine Prüfung. Auf welchen Kriterien und Richtlinien diese beruht, bleibt unklar.
Radiobeitrag: Svenja Schlicht, Christopher Weingart, Onlinetext: jfr













