Frauenfußball in der DDR

Das erste DDR-Länderspiel war auch das einzige

23:46 Minuten
Ansicht eines Fußballplatzes mit einer Frauenmannschaft in Aktion.
Frauenfußball fand in der DDR lange nur als Freizeitsport statt - wie hier bei einem Sportfest der Universität Jena im Mai 1971. © Picture Alliance / dpa-Zentralbild / Universität Jena
Von Ivy Nortey und Paul Hildebrandt · 03.05.2020
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Die DDR-Sportfunktionäre interessierten sich nicht für Frauenfußball. Doch einige junge Frauen wollten gerne spielen. Als die Mauer schon gefallen war, sollte plötzlich doch noch ein Länderspiel stattfinden. Wer waren die Spielerinnen?
Es ist der 9. Mai 1990, ein Mittwoch. Sechzehn Frauen in blauen Adidas-Trikots laufen auf den Rasen des Karl-Liebknecht-Stadions in Potsdam-Babelsberg. Auf den Trikots prangen Hammer und Zirkel in Gold. Über die Lautsprecher ertönt die Nationalhymne der Deutschen Demokratischen Republik. An diesem Tag wird Geschichte geschrieben. Die Frauen-Fußballnationalmannschaft der DDR bestreitet ihr erstes Länderspiel.
Der Stadionsprecher: "In unserem Aufgebot Spielerinnen aus Potsdam, Schlema, Jena, Karl-Marx-Stadt, Berlin und dazu vier Rostockerinnen. Davon war hier eine in Aktion, Katrin Prühs nämlich. Dana Krumbiegel von Wismuth Karl-Marx-Stadt mit einem schönen Sololauf nach zwanzig Minuten. Aber Endstation bei Marie Laschkova."
Die DDR-Spielerinnen sind aufgeregt. Ihr Gegner ist das erfahrene Team der ČSFR. Der Trainer, Bernd Schröder, glaubt: Die einzige Chance besteht in der Flucht nach vorn.

Das erste Länderspiel ist gleichzeitig ihr letztes

"Der Sinn war, dass wir die Tschechen von unserem Tor weggehalten haben. Dann haben wir gesagt: Wenn ich mal gucke, was haben wir überhaupt zur Verfügung in der Abwehr? Wir hatten ja nichts mehr. Da wollten wir eigentlich die Flucht nach vorne suchen, weil wir ein paar Stürmer hatten, wo wir das Gefühl hatten, die können was reißen."
Was die Spielerinnen und ihr Trainer zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen: Es wird das erste und auch das letzte Länderspiel sein. Denn der Staat um sie herum zerfällt. Auch Monate nach dem Mauerfall demonstrieren Hunderttausende in Leipzig, Berlin und Dresden gegen die Regierung. Wenige Monate später wird die DDR für immer Geschichte sein.

Nicht mehr als eine Spiellänge bleibt den Spielerinnen, um sich zu präsentieren. Eine einzigartige Möglichkeit.
Sibylle Brüdgam "Also ich weiß, dass es ziemlich aufregend war, dass man auch selber ziemlich aufgeregt war."
Heike Baars: "Wenn man dann die Nationalhymne hört und das ist das erste Länderspiel, da läuft es einem schon ein bisschen eiskalt den Buckel herunter. Das ist ein schönes Gefühl."
Katrin Prühs "Einfach um sich mal zu zeigen und zu sagen: Wir haben in der Nationalmannschaft der DDR gespielt. Es ist ja auch ein gewisser Stolz, den man hat."
Birte Weiß: "Es war ein Umbruch, und den Umbruch gab es auch im Damenfußball, sag ich jetzt mal so."
Dieses Spiel wird das Leben der Fußballerinnen für immer prägen. Es ist die Geschichte vom Versuch, ein Spiel zu gewinnen, das eigentlich schon verloren ist.
Doppelporträt der ehemaligen DDR-Fußballerinnen Katrin Prühs und Sybille Brüdgam.
Die ehemaligen DDR-Fußballerinnen Katrin Prühs und Sybille Brüdgam sind heute immer noch Freundinnen.© Ivy Nortey

Heute ist der Frauenfußball komplett anders aufgestellt

Gut 29 Jahre später: Im Sommer 2019 spielt die Deutsche Frauenfußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Frankreich. Die Spiele werden live im Fernsehen übertragen, den Werbeclip dazu schauen sich Millionen Menschen im Internet an. Der deutsche Frauenfußball hat einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht. Dahinter stecken ein harter Kampf und ein zähes Ringen um Anerkennung:
Noch 1955 beschließt der DFB-Bundestag in Westdeutschland "unseren Vereinen nicht zu gestatten, Damenfußball-Abteilungen zu gründen oder Damenfußball-Abteilungen bei sich aufzunehmen, unseren Vereinen zu verbieten, soweit sie im Besitz eigener Plätze sind, diese für Damenfußballspiele zur Verfügung zu stellen, unseren Schieds- und Linienrichtern zu untersagen, Damenfußballspiele zu leiten."

Frauen sollen turnen, schwimmen oder sprinten

In Ostdeutschland erklärt das SED-Politbüro im April 1969: Männerfußball ist Leistungssport, Frauenfußball nicht. Stattdessen sollen Frauen turnen, schwimmen oder sprinten. Sie sollen Medaillen bei Olympia gewinnen und damit zum internationalen Ansehen der DDR beitragen. Frauenfußball gehörte nicht zu den förderungswürdigen Sportarten.

Doch was, wenn ein Mädchen damals trotzdem Fußball spielen wollte?
"Bei mir war es so: Ich bin zu meinem großen Bruder, habe gefragt, ich hab genau gegenüber vom Schulhof gewohnt und da haben die sich selber Tore gebaut und dann bin ich runter und habe gefragt: Kann ich mitspielen. Und die so: Nein, du bist zu klein."
Katrin Prühs, in Rostock geboren, zwei große Brüder, Talent am Ball. Als Mädchen darf sie Fußball nicht im Verein spielen. Trotzdem wird sie als Erwachsene eine der besten Spielerinnen der DDR werden.
"Und dann bin ich zu meinem anderen Bruder, weil der war auf der anderen Seite. 'Meine Schwester spielt mit.' So ging das los und ich war, ich möchte nicht übertreiben, am Ball schon nicht schlecht."

Im Mai diesen Jahres ist Prühs zu Besuch bei ihrer Freundin Sibylle Brüdgam in Brandenburg, an der Grenze zu Berlin. Beide standen gegen die ČSFR in der Startelf. Im Fernsehen läuft das DFB-Pokalfinale der Männer, auf dem Grill liegen Steaks und Bratwürste. Auch Sibylle Brüdgam gehörte viele Jahre lang zu den besten Fußball-Spielerinnen der DDR. Heute sagen beide Frauen: Das war eigentlich Zufall.
"Ich bin in einer Sackgasse in Kleinmachnow groß geworden, da war ich das einzige Mädchen, da waren die Jungs, die haben alle geknödelt. Auf der Sackgasse, wie gesagt, auf der Straße. Mein Bruder hat selbst auch Fußball gespielt. Da habe ich dann als kleines Mädchen in dieser Jungsmannschaft mitgespielt.
Birte Weiß hält ihr altes DTSB-Mitgliedsbuch in die Kamera - darin eingeklebt zahlreiche Spendenmarken.
Das alte DTSB-Mitgliedsbuch von Birte Weiß.© Ivy Nortey

Lust zu Kicken, aber keine Mannschaft

Mittelfeldspielerin Sibylle Brüdgam wird später die Kapitänin des DDR-Teams sein und auch im vereinten Deutschland erfolgreich Fußball spielen. 1994 schaffte sie mit Turbine Potsdam den Aufstieg in die Bundesliga.
Katrin Prühs und Sibylle Brüdgam ging es in den 1970er-Jahren wie vielen Mädchen in der DDR: Lust zu kicken, aber keine Mannschaft in Sicht. Wie durch eine gläserne Wand schauten sie ihren Brüdern bei den Punktspielen zu.
"Ich glaube zu DDR-Zeiten war das immer noch so, dass die der Meinung waren, dass Frauen hinter den Kochherd gehören, dass das so eine Männerdomäne war und wir als Frauen da gar nichts zu suchen haben, weil wir können ja auch mit dem Ball nicht umgehen."
Anstatt weiter Fußball zu spielen, gehen Brüdgam und Prühs zum Tischtennis, zum Handball, zur Leichtathletik. Dabei gab es schon seit den 1960er-Jahren Frauenteams in der DDR.
"Ich wusste überhaupt nicht, dass es so etwas wie Frauenfußball an sich gibt. Dass es überhaupt Mannschaften gibt, dass man mannschaftlich so spielen kann. Ich habe auch Handball gespielt bei Dynamo in Rostock und wäre da heute auch noch."
Es ist der 3. März 1971, 18 Uhr, als etwa 30 Frauen im Klubhaus der VEB Energieversorgung Potsdam verlangen: Wir wollen ein Fußballteam. Sie hatten einen Aushang gelesen, dessen Verfasser oder Verfasserin unbekannt bleibt: "Gründen Frauen-Fußball-Mannschaft. Bitte melden."
Bernd Schröder, beschäftigt im Energiekombinat, kommt an diesem Abend nach dem Abendessen in der Kantine am Klubhaus vorbei.
"Ich bin da rein, und mein damaliger Sektionsleiter im Fußball, der: Was machen wir denn nun. Die wollen Fußball spielen, aber wir haben ja gar keinen Trainer. Und dann hab ich gesagt, ich bin jemand, der eine Entscheidung ad hoc trifft. Kann ja auch eine falsche Entscheidung sein. Und dann hab ich gesagt, ich mach das erstmal, ich bin eh nur alle zwei Wochen zu meiner Familie gefahren, und dann ist es eben dabei geblieben."

Die schwersten Gegner saßen im Sportausschuss

Nur zwei Tage später stehen 28 Frauen in einer kleinen Halle am Rande der Potsdamer Sportanlage und warten auf Schröders Anweisungen. Es ist so etwas wie der Beginn des organisierten Frauenfußballs in der DDR. Daraufhin wird die BSG Turbine Potsdam gegründet.
Im Frühjahr 2019 sitzt Bernd Schröder in seinem Büro auf der Sportanlage von Turbine Potsdam. Schröder gilt mittlerweile als einer der erfolgreichsten Frauenfußballtrainer Deutschlands: Championsleague- und UEFA-Cup-Sieger, sechs Mal DDR – und sechs Mal Deutscher Meister, drei Mal den DFB-Pokal-Sieger. Sein ganzes Leben widmete er dem Frauenfußball.
Er sagt, die schwersten Gegner standen nicht auf dem Platz, sondern saßen im Sportausschuss der DDR.
"Ich hab mich damals mit dem großen Chef des DTSB-Bundesvorstandes Manfred Ewald, die ja nur Hochleistungssportler hervorgebracht haben, mit allen Mitteln, sag ich mal, hab ich mich mörderisch gestritten, weil die Frauenfußball nicht gern gesehen haben."

Frauenfußball sollte kein Leistungssport werden

Schröder bekommt kaum Unterstützung von der Regierung. Das offizielle Credo lautet: Frauenfußball soll kein Leistungssport werden. Trotzdem gründen sich nach und nach im ganzen Land Frauenmannschaften.
In den Achtzigern bekommt Turbine Potsdam Konkurrenz aus dem Erzgebirge. Das Team heißt Rotation Schlema und wird von Dietmar Männel trainiert. Eine seiner Spielerinnen ist Heike Baars, zentrales Mittelfeld:
"Bei uns in Schlema oben, da hast du auf dem Hartplatz gespielt, wenn du da hingefallen bist, da sahst du schon ganz schön aus. Da hat es einen schon manchmal ganz schön hingewedelt, dass du dachtest: um Gottes Willen. Und das über eine ganze Woche hin. Da hat es dort ein bisschen rausgeeitert und dort ein bisschen rausgeeitert, aber es war halt so. So viele Draußenplätze haben wir damals nicht gehabt."
Heike Baars wohnt heute noch in Bad Schlema. Über den dunklen Wäldern hängt dichter Nebel, kleine Dörfer kleben an den Hängen. Baars ist heute 52 Jahre alt, hat müde Augen vom Schichtdienst. In ihrem Schlafzimmer hat sie eine "Fußballecke".
In einem großen Bilderrahmen hängen Fotos und Urkunden aus ihrer aktiven Zeit. Auf den Bildern sieht man eine junge Frau mit dunklen Locken, die ernst in die Kamera schaut.
In der Bundesrepublik spielen 1981 knapp 400.000 Frauen Fußball, in der DDR sind es gerade einmal rund 6000 in 360 Teams. Die DDR-Mannschaften sind angegliedert an einen Betrieb und heißen deshalb Motor Bautzen, Energie Cottbus oder Post Rostock.
Vollzeit arbeiten, nebenher Kinder großziehen und trotzdem noch drei Mal in der Woche zum Training gehen und am Sonntag zum Punktspiel fahren: Der Frauenfußball in der DDR entwickelt sich nur, weil Frauen wie Heike Baars alles dafür geben, spielen zu können.

Spiele gewinnen mit der Korsett-Stange

"Früh um fünf oder halb sechs haben wir uns in Aue getroffen und sind dann zu den Punktspielen gefahren. Bis du dann später mal einen Bus gehabt hast. So einen Burur. So einen alten Bus und so. Die Korsett-Stange: Hecker-Kathrin, super Fußballerin, und dann komme ich halt in der Mitte. Ich, vorne die Birte im Sturm. Das hat funktioniert. Wenn Potsdam das nicht in den Griff bekommen hatten, hatten sie ein Riesenproblem gehabt."
Sommer 1989. Der DDR geht es wirtschaftlich immer schlechter, der Unmut wächst. In den großen Städten gehen jede Woche mehr Menschen demonstrieren – die Regierung gerät unter Druck. Das ist der Moment, in dem einige Funktionäre entscheiden: Wir wollen eine Nationalmannschaft der Frauen. Die Trainer: Dietmar Männel von Bad Schlema und Bernd Schröder von Turbine Potsdam.
"Da ist eine Eigendynamik entstanden, die haben wir selber nicht mehr erkennen können. Warum wir gerade zu dem Zeitpunkt, wo wir also nichts mehr zur Verfügung hatten, auf einmal eine Nationalmannschaft gründen durften, ob wir noch Geld hatten, bei deutschen Fußballverband der DDR, ich weiß es nicht."
Aus der gesamten DDR suchen sie die besten Spielerinnen zusammen: Heike Baars aus Schlema ist dabei, Sibylle Brüdgam aus Potsdam und auch die Rostockerin Katrin Prühs. In der Sportschule Leipzig sollen die Trainer ein Team zusammenstellen. Sogar das Fernsehen ist dabei, die damalige Sportjournalistin Maybrit Illner berichtet:
Maybrit Illner: "Die besten Individualisten zusammenzuführen und zu testen, das ist das Anliegen. Bernd Schröder ist dafür verantwortlich, gemeinsam mit Dietmar Männel, Trainer von Rotation Schlema."

Plötzlich wurde mit neuester Technik trainiert

Die Spielerinnen erhalten neue Trainingsanzüge, Schuhe und Bälle. Anstatt auf einem Bolzplatz, trainieren sie nun mit Lichtschrankensystem und Torkanonen. Während der Staat um sie herum beginnt, sich aufzulösen, trainieren die Frauen und bewegen sich auf ihren Karriere-Höhepunkt zu.
"Für mich: War toll, ganz klar. Weil man jetzt auch mal, dieses ganze Umfeld war auch ein anderes. Man wurde auch ganz anders versorgt, man ist mit anderen Bussen gefahren, die Unterkünfte, das Essen. Es ging schon in die Richtung DFB-Standard. Wir sind nach Leipzig zur Sportschule gefahren, was ja auch eine super Sportschule war. Wir haben da in so einer Halle trainiert, wo Kunstrasen war, was wir gar nicht kannten. Es war schon vieles neu für uns."

Bernd Schröder: "Wir haben natürlich ein Problem gehabt, dass wir zum Zeitpunkt die Nationalmannschaft gegründet haben, wo die DDR schon am Abgrund war. Das darf man nicht vergessen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir in den Jahren, Ende der 70er, Anfang der 80er haben wir eine sensationellen Fußballerinnen gehabt, in Deutschland, in Ostdeutschland. Und wenn sie 1989, wo alles schon zusammenbricht, eine Frauennationalmannschaft gründen, wo die Leute... Wir haben ja alleine drei Spieler verloren, vor dem Länderspiel, die dann einfach nicht mehr verfügbar waren, weil sie schon woanders waren, weil sie schon in westdeutschen Gefilden waren."
Heute sagt Schröder: Als das erste Länderspiel endlich stattfand, war es eigentlich schon zu spät.
"Das Schlimme ist ja: Jeden Monat, der vergangen ist, wo wir das Spiel nicht gekriegt haben. Wir wollten das ja schon viel eher haben. Waren wir sicher, dass das Ding nicht mehr funktioniert. Wir haben, glaube ich, 600 Zuschauer gehabt. Da lachen wir. Bei einem Länderspiel.
Die Leute haben sich nicht mehr für Sport interessiert. Die waren eigentlich schon mit sich selbst beschäftigt. Es hat sich kein Mensch dafür interessiert. Im Jahr vorher hatten wir noch vier-, fünftausend Zuschauer, bei einem normalen Spiel."
Der Eingang zum Karl-Liebknecht-Stadion in Potsdam-Babelsberg.
Im Karl-Liebknecht-Stadion in Potsdam-Babelsberg bestritt die Frauen-Fußballnationalmannschaft der DDR am 9. Mai 1990 ihr erstes Länderspiel.© Picture Alliance / dpa-Zentralbild / Ralf Hirschberger

Keine Chance gegen das Team aus Tschechien

Etwa 800 Zuschauer und Zuschauerinnen sehen am 9. Mai 1990 im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion das Spiel. Es gibt keine Live-Übertragung, nur eine kurze Zusammenfassung in der Sendung "Sport Aktuell".
Null Eins, Null Zwei, Null Drei. Die DDR-Auswahl hat keine Chance gegen das CSFR-Team.
Bernd Schröder: "Ich glaube, dass die Situation der Gesellschaft praktisch schon in den Köpfen der Spieler war. Die haben sicherlich gewollt, gar keine Frage. Aber sie hatten das Gefühl, dass wir schon auf dem absteigenden Ast waren, das ist Unterbewusstsein. Wenn wir das jetzt sagen, die haben nicht richtig gekämpft. Das stimmt ja alles nicht. Die konnten nicht mehr und es ist ja auch eine Frage: Welche Motivation hab ich? Die kommen von den Familien zu Hause, da waren schon die ersten arbeitslos, die wissen, dass die Industrien zu machen. Wie wollen sie motiviert sein? Das können Sie nicht wegdrücken. Kein Mensch wusste, wie es weitergeht. Viele Familien wo die herkommen: Du willst jetzt hier ein Länderspiel machen, wir sind doch bald am Boden?! Da hab ich das Gefühl, dass die das mitgebracht haben."
"Mit dem versprochenen Gewinnen hat es nicht geklappt, traurig?" – "Ja ein bisschen schon. Wir hatten uns viel vorgenommen für das erste Spiel. Jetzt sind wir sehr enttäuscht, dass es so ausgegangen ist." – "Waren die Tschechinnen doch stärker als sie erwartet haben?" – "Wir waren eigentlich gut drauf eingestellt, aber."
Die Hoffnung der Trainer war: Gewinnen wir das Spiel, wird der Frauenfußball endlich anerkannt. Doch die Geschichte macht ihnen einen Strich durch die Rechnung.

Nach dem 3. Oktober geht es nicht mehr um Fußball

"Hier ist das erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. Guten Abend, meine Damen und Herren. Die Deutschen leben wieder in einem souveränen, freien und geeinten Land. 45 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg endete in der vergangenen Nacht die deutsche Teilung. Die DDR und die Bundesrepublik vereinigten sich zu einem Staat."
Für die Spielerinnen geht es nach dem 3.Oktober 1990 nicht mehr nur um Fußball, sie kämpfen um ihre Existenz. Überall in der ehemaligen DDR machen die Betriebe dicht, zweieinhalb Millionen Menschen werden arbeitslos.
Für Heike Baars aus Bad Schlema bedeutet die Wende auch das Ende ihrer Karriere. Sie wird entlassen, schlägt sich mit kleinen Jobs durch, kämpft ums wirtschaftliche Überleben – und irgendwann bleibt keine Zeit mehr für den Fußball.
"Wir saßen ja nicht nur zu Hause. Ich meine, wir mussten nebenbei ja auch arbeiten. Deswegen musst du auch irgendwann mal an deine Zukunft denken. Du kannst ja nicht immer nur sagen, pass auf, Fußball. Irgendwann ist es halt einfach mal so, dass du sagen musst, der Fußball ist im Hintergrund und alles andere schiebst du vorneran. Und so war es dann damals auch gewesen."
Im Westen Deutschlands interessiert sich kaum jemand für die Fußballerinnen aus der ehemaligen DDR.
"Klar war es alles ein bisschen komisch gewesen. Die haben ja damals auch gewusst: Wir haben auch eine DDR-Nationalmannschaft gehabt, wir haben auch gute Spieler gehabt. Da hat man halt gemerkt, dass der Unterschied zu dem Zeitpunkt sehr groß war, wo dieser ganze Zusammenschluss stattgefunden hatte und wo das auch diese BRD-Nationalmannschaft überhaupt nicht interessiert hat, ob es hier gute Spieler gab oder nicht."
Nur eine Spielerin wird in die gesamtdeutsche Mannschaft übernommen: Birte Weiß.

Knapp 400 Kilometer von Bad Schlema entfernt im niedersächsischen Westercelle steht an einem Montagabend die 47 Jahre alte Birte Weiß auf einem Fußballplatz und brüllt Kommandos. Sie ist vielleicht die einzige Gewinnerin vom 9. Mai 1990 – dabei hat sie an dem Tag gar nicht gespielt. Heute trainiert sie die Kinder vom VfL Westercelle. Vor ihr wuseln fünfjährige Jungs über den Rasen und kicken Bälle vor sich her. Weiß sagt: Es gibt immer noch sehr wenige Mädchen, die als Kind im Verein Fußball spielen.
"Ein einziges Mädchen habe ich nur, hier, leider. Aber ist auch nicht verwunderlich, weil in dem Alter zwischen vier und sechs entscheiden sich noch nicht wirklich die Mädchen zum Fußball, das kommt erst später. Naja. Wollen, glaube ich, nicht alle, dass die Mädchen auf den Fußballplatz gehen."
Wie auch Heike Baars ist Weiß im Erzgebirge aufgewachsen, auch sie hat bei Rotation Schlema gespielt. Doch ihre Geschichte nahm eine andere Wendung.
Weiß gilt als Ausnahmetalent in der DDR, doch vor dem Länderspiel reißt ihr Kreuzband. Anstatt mit den anderen Frauen in Potsdam aufzulaufen, übt sie Gehen in einer Klinik. Als die Deutsche Nationalmannschaft 1991 ein Testspiel im sächsischen Aue hat, wird Weiß als einzige Spielerin aus dem Osten nominiert.
Birte Weiß mit den Kindern des VFL Westercelle auf dem Trainingsplatz.
Birte Weiß trainiert inzwischen die Kinder des VFL Westercelle.© Ivy Nortey

Nur eine DDR-Spielerin kommt in die Nationalmannschaft

"Also ich denke mal, ob unbedingt gewollt war, dass welche aus dem Osten dort mitspielen, glaube ich nicht. Es war eben gezwungen. Ich denke, ich hätte eigentlich nicht die einzige sein müssen, weil es gab schon echt gute Fußballerinnen bei uns. Vielleicht haben sie mich ausgewählt, weil das Spiel was damals in Aue war. Ja, ich kam aus der Nähe, obwohl ja noch ganz viele andere aus der Nähe kamen, die es denke ich auch verdient hätten. Weiß ich nicht. Kann ich echt nicht sagen, warum nicht. Vielleicht haben sie die Trainer gefragt. Keine Ahnung."
Weiß ist zu diesem Zeitpunkt neunzehn Jahre alt. Die Zugehörigkeit zur Nationalmannschaft öffnet ihr neue Türen. Sie bekommt ein Angebot vom Bundesligaverein aus Wolfsburg, verbunden mit einer Arbeitsstelle bei VW. Weiß nimmt an und zieht in den Westen.
"Und irgendwann war dann klar, wir schaffen den sportlichen Erhalt in der Bundesliga nicht mit Aue. Und dann kam eigentlich alles so ins Laufen, ah, willst du nicht mal in Wolfsburg, und unser Arbeitsvertrag bei der Wismut-AG lief dann auch aus, mit dem Abstieg der aus der Bundesliga, und somit, ja, musste man sich umorientieren und ich gesagt, okay, ich guck mir das an, keine Frage, mein Freund kam aus Celle, Celle-Wolfsburg, das sind 60 Kilometer, also nicht diese Entfernung, ich habe gesagt: Ja, okay, guck ich mir an. Ausschlaggebend war ein Arbeitsplatz, da haben die gesagt, okay, können wir machen, ja und so kam das dann."
In Wolfsburg verdient sie mehr als jede ihrer Freundinnen im Erzgebirge, es ist ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann.
"Nach vier Wochen hab ich das erste Mal zu meiner Mutter gesagt, das halt ich nicht aus, ich werde verrückt. Als ich meinen Eltern gesagt habe, was die gesagt haben, in Wolfsburg, was ich dort für ein Geld verdiene, da guckt meine Mutter und hat gesagt: Das glaube ich nicht. Ich hab gesagt, du das haben die gesagt. Die hat gesagt, probiere das und wenn das nicht so ist, du kannst ja jederzeit zurück. Und Tatsache: Wir haben dieses Geld verdient. Es war unvorstellbar."
Was bleibt vom Spiel am 9. Mai 1990?
Sie ist nicht die einzige Spielerin, die in den Westen wechselt. Wer die Chance bekommt, geht. Ein Rückschlag für den ostdeutschen Frauenfußball, von dem er sich nie erholt. Gerade einmal zwei Ost-Mannschaften spielen in der Saison 1991/92 in der Bundesliga – nach der Saison ist keine mehr dabei.

Der wichtigste Moment im Leben

Bernd Schröder: "Das Empfinden, irgendwas Einmaliges. Es gab ja vorher kein Länderspiel, es gab eins und das war es. Diese Empfindung, das ist wie, als wenn ein Wissenschaftler irgendwas gefunden hat. Du wusstest, es ist das allererste, und das ist immer was Besonderes, weil es gab nichts anderes."
Obwohl sie verloren hatten, obwohl sie nie wieder in einer Nationalmannschaft spielen durfte – für Heike Baars war das DDR-Länderspiel einer der wichtigsten Momente ihres Lebens. In der Fußballecke im Schlafzimmer hängen bis heute die Fotos und die Urkunde. Sie sagt, es ist ein Moment der bleibt.
"Na, weil es halt das einzige Länderspiel war, sagen wir mal so, und weil du mit dabei warst. Ist halt Geschichte, was mit zur DDR dazugehört."
Diese Sendung ist eine Wiederholung vom 13. Oktober 2019
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