Existenzgründungen

Frauen sind in der Minderheit

06:52 Minuten
Illustration: Eine Geschäftsfrau steht auf dem Gipfel eines Berges und sucht mit einem Fernrohr nach Erfolg.
Wenige Unternehmerinnen, wenige weibliche Vorbilder: Bei einer Firmengründung stehen Frauen oft alleine da. © Getty Images / iStockphoto
Von Fanny Buschert · 28.06.2022
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Die Start-up-Szene in Deutschland wächst, und sie wird von Männern dominiert. Zwar nimmt die Zahl der Frauen zu, die ein Unternehmen gründen. Aber nach wie vor spielen sie bei Existenzgründungen nur eine Nebenrolle. Woran liegt das?
In der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs, neben Firmen wie Google und PWC, liegt das Büro des Start-ups Temedica: ein Digital-Health-Unternehmen, das Gesundheitsapps entwickelt. Gegründet wurde es 2016 von Gloria Seibert. Nach einer Karriere in der Unternehmensberatung wollte sie sich etwas Eigenes aufbauen, um das Thema Gesundheit anzugehen.
Angetrieben hat sie dabei ein Erlebnis in der eigenen Familie. „Mein Opa hatte einen sehr schweren Multiple-Sklerose-Verlauf“, erzählt sie, „und das ganze Thema chronische Erkrankungen, auch Patienten eine individualisierte Therapie zu ermöglichen, war für mich ein persönlicher Wunsch. Es gab damals irgendwie kein Unternehmen, das für mich passend war. Da war das Thema Gründung für mich eigentlich das Naheliegendste.“
Mittlerweile beschäftigt Temedica über 80 Mitarbeiter*innen und vermarktet sechs Apps, die beispielsweise die Beckenbodengesundheit oder die Behandlung von Typ 2 Diabetes digital unterstützen.
Eine junge Frau mit langen braunen Haaren schaut in die Kamera.
Hat den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt: die Gründerin des Start-ups Temedica Gloria Seibert.© privat
Am Anfang der Existenzgründung stand Gloria Seibert erst einmal vor einigen organisatorischen Herausforderungen. „Ich glaube, die erste Hürde ist: Wo fang ich an, wie gründe ich überhaupt ein Unternehmen, wo muss ich denn hingehen, muss ich da irgendwie zum Gründungsamt oder zum Notar oder mach ich das einfach so per Brief?“, erzählt sie. Alles sei neu gewesen. „Und ich hatte jetzt auch niemanden, der mich an die Hand genommen hat. Aber es war natürlich auch ein guter Start in ein etwas selbstständigeres Leben.“

Keine weiblichen Vorbilder

Laut dem Institut für Mittelstandsforschung Bonn gab es im Jahr 2021 rund 240.000 gewerbliche Existenzgründungen. An etwa 30 Prozent dieser Gründungen waren Frauen beteiligt. Bei jungen innovativen Start-up-Unternehmen liegt der Frauenanteil einem Report der KfW-Bank noch niedriger, bei circa 20 Prozent.
Jutta Beyrow von der Initiative „Frauen unternehmen“ macht dafür gravierende Versäumnisse verantwortlich. „Es gibt viel zu wenige Vorbilder“, sagt sie. „Weibliches Unternehmertum ist in den Schulen gar nicht präsent. Es wird weder in den Schulbüchern erfasst, noch sind Unternehmerinnen im Unterricht präsent. Es ist echt selten der Fall.“
Martina Gstöttmayr hat 2020 Uplyvt mitgegründet, ein Start-up, das Frauen den Weg zur finanziellen Unabhängigkeit leichter machen will. Eine Hürde dabei: Viele Frauen informieren sich umfassend über ihre Möglichkeiten, scheuen dann aber die Umsetzung. Risikoaverses Verhalten – das sieht Martina Gstöttmayr auch bei Frauen, die gründen wollen.

Schritt für Schritt zum eigenen Unternehmen

Sie selber hat sich nach dem Studium schrittweise an die Existenzgründung herangewagt: „Ich habe erst mal als Angestellte gestartet und habe dann nach circa acht Jahren für mich entschieden, ich möchte in die Selbstständigkeit gehen.“
Sie habe dann als Freelancer für verschiedene Unternehmen in Berlin gearbeitet. „Und in dem Zusammenhang habe ich gemerkt, ich möchte noch einen Schritt weitergehen und selber ein Unternehmen gründen. Das war für mich ein sinnvoller Schritt, den ich Frauen raten kann, die vielleicht noch nicht diesen großen Schritt gehen wollen.“

Frauen kommen schwieriger an Startkapital

Wer eine eigene Firma gründen will, braucht eine gute Geschäftsidee und vor allem Startkapital. Eine Hürde, an der viele Existenzgründungen scheitern. Für Frauen sei der Zugang zu günstigen Krediten besonders schwierig, sagt Jutta Beyrow von der Initiative „Frauen Unternehmen“. „Man muss sich vorstellen, die sitzen dann vor einer Jury – und diese Jury besteht aus Männern. Ganz häufig ist es halt so, dass Männer auch eher Männer fördern.“
Die schwierigere Finanzierung von frauengeführten Unternehmen sieht auch die Gründerinnenzentrale in Berlin als Problem. Die Zentrale hat sich auf Orientierung, Information und Vernetzung für Frauen spezialisiert, die sich selbständig machen wollen.
Eine Frau hat ihren Kopf auf die Hände gestützt und schaut direkt in die Kamera.
Frauen müssen bei der Suche nach Geldgebern mehr Hürden nehmen, sagt die Unternehmerin Martina Gstöttmayr.© privat
Laut der Projektleiterin Antje Ripking wird bei der Vergabe von Geldern häufig mit zweierlei Maß gemessen: „Wenn es dann mal Gründungen sind, die mehr Geld, viel Geld brauchen, dann bekommen sie tatsächlich andere Fragen gestellt als ein Gründer“, sagt sie. „Ein Gründer wird eher ermutigt: Ja wollen sie nicht noch ein bisschen mehr? Eine Gründerin wird eher gefragt: Meinen sie denn, dass sie das alles stemmen können?“
Auch Martina Gstöttmayr musste bei der Gründung die Erfahrung machen, dass bei der Vergabe von Geldern Vorurteile eine Rolle spielen können. „Wir haben uns für ein öffentliches Stipendium beworben, und ich war zu dem Zeitpunkt schwanger“, erzählt sie. Bei der Vertragsunterzeichnung sahen dies die Geldgeber. „Und wir mussten uns damals wirklich erklären, inwieweit wir überhaupt gründen können, beziehungsweise unsere Arbeit auch fortführen können.“

Karriere und Familie

Familie und Unternehmen miteinander zu vereinbaren, sei nicht ganz einfach, räumt Existenzgründerin Gloria Seibert ein. Aber sie stört, dass dies meist als ein Problem für Frauen gesehen wird. „Ich find es immer schwierig, das auf die Geschlechterrollen abzustellen. Ich würde eher sagen, es ist definitiv eine große Herausforderung, eine Familie zu gründen und ein Unternehmen zu führen. Aber, ob man das jetzt als Mann oder Frau machen möchte, das ist, glaube ich, wirklich eine Frage der Priorisierung und am Ende des Tages der Aufteilung in der Familie.“
Nach Angaben des Familienreports 2020 sind es nach wie vor in der Regel die Mütter, die ihre Arbeitszeit einschränken, um Familie und Beruf zu vereinbaren, nicht die Väter.
Unternehmensgründerin Martina Gstöttmayr wünscht sich da auch von der Politik mehr Entgegenkommen. „Insbesondere bei öffentlicher Förderung gibt es halt bestimmte Auflagen, die sind in Verbindung von Familienplanung oder Familienführung nicht möglich. Und da setzten wir, meine Co-Founderin und ich, uns sehr dafür ein, und haben da auch schon Ergebnisse erzielt, dass da einfach ein bisschen mehr Flexibilität, gerade gegenüber Frauen, ermöglicht wird.“

Es braucht Mut und Risikobereitschaft

Veränderte Rahmenbedingungen können Frauen die Gründung eines Unternehmens erleichtern. Für Gründerin Gloria Seibert braucht es aber auch mehr Bereitschaft für den Sprung ins kalte Wasser: „Auf der anderen Seite tendieren auch gerade Frauen gerne dazu, etwas zu sehr zu durchdenken. Ich glaube, da braucht es am Ende auch einfach den letzten Schwung Mut, es einfach einmal probieren. Die Welt geht nicht unter und hört auch nicht auf zu drehen, wenn irgendwas nicht klappt.“

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