Frau Braun und der Diktator

Rezensiert von Henryk M. Broder · 25.04.2010
Mit "Eva Braun – Leben mit Hitler" hat die Berliner Historikerin Heike Görtemaker ein Werk geschrieben, das sich der Geschichte der Frau widmet, die Hitler 14 Jahre als Geliebte versteckt hielt, bevor er sie heiratete. Das Buch ist eine seriöse Arbeit, die auch wissenschaftlichen Anforderungen genügt.
Vor fast genau 27 Jahren, im Frühjahr 1983, kündigte der "Stern" eine Sensation an: Das Erscheinen bislang unbekannter Hitler-Tagebücher. Von nun an, so die Chefredaktion der Illustrierten, müssten "große Teile der deutschen Geschichte umgeschrieben werden". Der Hype um die Tagebücher, die von Konrad Kujau hergestellt worden waren, dauerte genau eine Woche, dann flog der Schwindel auf. Seitdem vergeht kein Jahr, in dem Hitler nicht neu präsentiert würde. Mal aus der Sicht seines Hausarztes, mal aus der des Kammerdieners.

Hitlers Chauffeur hat seine Erinnerungen an den Chef ebenso aufgeschrieben wie die letzte Sekretärin des Führers. Die Frage, ob Hitler schwul war, wurde auf vielen Buchseiten erörtert – und blieb am Ende unbeantwortet. Es gibt sogar einen Roman – "Blondi" von Michael Degen – in dem die Geschichte des Dritten Reiches aus der Perspektive von Hitlers Lieblingshund erzählt wird.

Und nun ist ein weiteres Buch da, das einen "verstörend anderen Blick auf Hitler" verspricht: "Eva Braun – Leben mit Hitler", geschrieben von der Berliner Historikerin Heike Görtemaker, eine fast 300 Seiten füllende Biografie der Frau, die Hitler 14 Jahre als Geliebte versteckt hielt, bevor er sie heiratete, um gleich danach mit ihr Selbstmord zu begehen. Im Gegensatz zu den meisten Hitler-Büchern ist dies eine seriöse Arbeit mit Hunderten Fußnoten, die wissenschaftlichen Anforderungen entspricht. Worum es dabei geht und was sie erreichen möchte, erklärt die Autorin so:

"Keinesfalls soll hier eine Überbetonung des Individuums in der Geschichtsschreibung gerechtfertigt werden. Es geht auch nicht darum, 'Verständnis' für die private Seite eines Diktators zu zeigen, der als Luzifer in Person zu einem zweifelhaften Faszinosum geworden ist. Vielmehr bietet eine ernsthafte, quellenkritische Beschäftigung mit Eva Braun, die bisher von einem Autor geleistet wurde, die Möglichkeit, eine neue Perspektive auf Hitler zu gewinnen, die auch zu dessen Entdämonisierung beitragen könnte."

Der große Diktator soll also entdämonisiert werden. Dabei hat die "Entdämonisierung" längst stattgefunden, wenn auch nicht in der Wissenschaft, die immer noch nach einer Erklärung für das Faszinosum Hitler sucht, so doch in der Unterhaltung, wo Komödien über Hitler und die Nazis produziert werden – zuletzt das Musical "The Producers" von Mel Brooks.

So wird Hitler quasi eingekreist und entzaubert, auf ein menschliches Maß zurechtgestutzt. Das will auch Görtemaker, indem sie die Frage stellt: "Was also verband Eva Braun mit Hitler?" Die junge Frau aus einem konventionellen, kleinbürgerlichen Elternhaus war "blond, sportlich, attraktiv, lebenslustig", sie rauchte, trank Alkohol, liebte modische Kleidung, Filme und Jazzmusik und las gerne Oscar Wilde, passte also gar nicht zum Führer, der kein Privatleben hatte und zu Zärtlichkeiten allenfalls gegenüber seinem Schäferhund aufgelegt war. Es fällt schwer, sich Hitler in Unterhosen vorzustellen, oder gar ohne, als Liebhaber einer erheblich jüngeren Frau, die ihm jeden Wunsch von den Lippen abliest. Auch Eva Brauns Biografin Görtemaker schweigt sich über diesen Aspekt aus, obwohl er unausgesprochen immer wieder anklingt. Das "intime Verhältnis", zwischen dem Führer und seiner Eva soll 1932 begonnen haben, in Hitlers Münchener Wohnung. "Für regelmäßige Treffen mit seiner jungen Münchner Freundin" hatte der aufstrebende Politiker allerdings "keine Zeit"; er war viel unterwegs, während sie geduldig auf ein "gutes Wort" von ihm wartete:

"Eva Braun lebte in ihrer eigenen Wohnung... in einem eigenen Haus mit Garten im noblen Münchner Villenviertel Bogenhausen. Sie gehörte darüber hinaus ab 1936 zur ständigen Berghof-Besetzung und empfing Hitler in seinem Refugium auf dem Obersalzberg, das neben München nun auch zu ihrem zweiten Wohnsitz wurde. Gelegentlich begleitete sie ihn sogar auf Reisen ins Ausland. Als ‚Privatsekretärin’ in seinem Gefolge kamen Außenseiter nicht auf den Gedanken, es könne sich bei der blonden jungen Frau um die Geliebte des ehelosen Diktators handeln..."

Auch nach der Lektüre des Buches von Heike Görtemaker bleibt das Verhältnis zwischen Eva Braun und Adolf Hitler ein kleines Rätsel am Rande der großen Geschichte. Fest steht nur, dass es länger gedauert hat als das Dritte Reich, nämlich 14 Jahre. Auch für Diktatoren und deren Privatsekretärinnen gilt der Satz, der in jeder Daily Soap alte Männer und junge Frauen zusammenbringt: Macht macht sexy. Ansonsten ist der Erkenntnisgewinn der aufwendigen Arbeit eher bescheiden.

"Nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen in Hitlers Umgebung identifizierten sich mit der antisemitischen, rassistischen Weltanschauung und der aggressiven Lebensraumpolitik des NS-Regimes, die Hitler ihnen in langen abendlichen Gesprächsrunden am Kamin darlegte."

Nun wissen wir, was wir schon lange vermutet haben: Auch bei Hitlers unterm Sofa ging es gemütlich zu, gewürzt mit einem Schuss Barbarei. Und privat war auch Adolf Hitler nur ein Mann.

Heike B. Görtemaker: Eva Braun – Leben mit Hitler
Verlag C.H. Beck, München 2010
Cover: "Heike B. Görtemaker: Eva Braun - Leben mit Hitler"
Cover: "Heike B. Görtemaker: Eva Braun - Leben mit Hitler"© Verlag C.H. Beck