Frankreich im Ausnahmezustand

Schlechte Zeiten für Straßenmusiker in Paris

Blick auf Sacré-Coeœur de Montmartre am Donnerstag (23.06.2011) im französischen Paris.
Blick auf die Kathedrale Sacré-Coeœur de Montmartre in Paris © Friso Gentsch / dpa
Von Jürgen König · 08.08.2016
Früher hörte man sie an jeder Ecke, in diesem Sommer machen sich die Straßenmusiker in Paris rar. In Zeiten des Ausnahmezustands fehlt es der französischen Hauptstadt an entspannter Heiterkeit.
Dass sich irgendetwas in Paris verändert hat, merkt, wer sich gezielt auf die Suche macht: nach Musikern auf der Straße. Früher gab es sie in der Innenstadt rund ums Jahr bald an jeder Ecke – in diesem Sommer, so scheint es, machen sie sich rar.
Auf der Place de la République ist von "Nuit debout" und ähnlichem nichts mehr zu sehen. Vor Notre-Dame stehen an einem Samstagnachmittag bei schönem Wetter die Wartenden in einer schier endlosen, S-förmigen Schlange: Schrittweise schieben sie sich zu den Sicherheitskontrollen am Eingang der Kathedrale. Polizisten und Soldaten, mit Maschinenpistolen bewaffnet, den Finger am Abzug, patrouillieren an ihnen vorbei.
Nun ja, für Musiker gibt es wirklich lauschigere Orte.
Vor dem Centre Pompidou ein ähnliches Bild: über den ganzen Platz verteilt Wartende in langer Schlange vor der Sicherheitsschleuse am Eingang. Soldaten, Polizisten – unauffällig am Rand postiert. Menschen sitzen herum, plaudern, ruhen sich aus.

Erst am Montmartre erklingt Vertrautes

Musiker aber sind keine da. Gleich nebenan, rund ums neu gebaute Einkaufszentrum Les Halles herrscht weitgehend Leere, also über die Rue Montmartre in Richtung Norden, am Moulin Rouge vorbei und die Rue Lepic hinauf zum Allerheiligsten des Paris-Tourismus: zur Place du Tertre - "im Herzen von Montmartre", heißt es kitschig-werbewirksam. Und dort ist, zunächst aus der Ferne, etwas Vertrautes zu hören.
"Sous le ciel de Paris" – von Hubert Giraud aus dem Jahr 1951, eine Art Pariser Nationalhymne, hier gespielt von Jean-Francois. Ein älterer Herr, er stammt aus Paris, trägt Barrett und eine kleine, runde Brille, ist überaus freundlich, aber durchaus nicht wirklich gesprächig. Ob er nur Pariser Lieder spielen würde?
Praktisch nur Pariser Chansons, man sei ja doch in Montmartre. Ob man für diesen Standplatz etwas bezahlen müsse, frage ich. Ja ja, sagt Jean-Francois:
"Die Polizei gibt die Scheine aus. Es kostet, was es kostet."
Ob er denn zufrieden mit seinen Einnahmen sei – hier mitten in Montmartre? Ach, sagt er, die Touristen sind da, wir sind hier alle zusammen, ob sie etwas geben oder nicht, das ist doch egal.
Von Sacre-Coeur aus hat man einen prächtigen Blick auf Paris. Auftritte von Sängern oder Bands an diesem prominenten Ort wurden aus Sicherheitsgründen verboten. Auf einem hohen Sockel der steilen Treppe, die zur Innenstadt führt, steht ein junger Akrobat. Sein Jonglieren mit einem Fußball erregt einigen Nervenkitzel - die Musik, "Singin‘ in the rain", kommt aus seinem Telefon, wird über eine Box verstärkt. Doch nicht weit von ihm – erneut ein vertrauter Klang.

Aufwändige Genehmigungsprozedur für Straßenmusiker

Séverine ist professionelle Musikerin, sitzt mit ihrem Akkordeon im Blümchen-Kostüm zu Füßen Sacre-Coeurs, inmitten von zu verkaufenden CDs und Mini Sacre-Coeurs und Mini-Moulin-Rouges. Der Montmartre-Wagen mit neuen Touristen bimmelt vorbei – das behauptete Idyll ist perfekt.

"Hier spiele ich fast nur Pariserisches, die ganzen traditionellen Lieder, die Leute wollen immer nur das, George Brassens, Edith Piaf: Musik aus der alten Zeit.
Normalerweise braucht man eine Erlaubnis der Polizeipräfektur. Aber es kommen viele hierher ohne alles. Dabei bekommt man den Platz hier umsonst zugewiesen, aber eben nur, wenn man es auch angemeldet hat - wenn nicht, ist das schlecht."
Die Stadtverwaltung von Paris sieht Straßenmusiker gerne, sie sollen den Ruf von Paris als einer lebendigen, jungen Stadt in die Welt tragen. Allerdings: Ordnung muss sein, zumal die "Arrondissements", die 20 Stadtbezirke von Paris, auch noch ein Wörtchen mitzureden haben. Mal kosten die Genehmigungen etwas, mal nicht, je nach Zeitpunkt und Ort des Auftritts.
Und wer sich diese durchaus aufwendige Prozedur erspart, der muss ein gutes Auge für die vorbeischlendernden Polizisten haben oder für die Sicherheitsleute der Pariser Verkehrsbetriebe.
Kommt jemand vorbei, ist Unschuldsmiene Pflicht, der Geldteller ist längst in irgendeiner Tasche verschwunden – und so für sich wird man ja wohl noch ein paar Gitarrensaiten zupfen dürfen – auch öffentlich…

Polizei wird selten gerufen

Die Polizisten kennen natürlich das Spielchen – doch bedeutet es für sie einen erheblichen Aufwand, die Angaben zur Person aufzuschreiben und nachfolgend Verwarnungen auszusprechen oder gar Anzeigen zu schreiben. Dazu kommt es in der Regel nur, wenn Anwohner sich beschwert und die Polizei ausdrücklich gerufen haben – das wiederum aber ist selten.
Zurück zum Centre Pompidou. Dort hat sich inzwischen eine alte Frau niedergelassen: und spielt wahrlich Beeindruckendes.
Sie sitzt auf der Erde, Bluse mit Wollweste, ein langer schwarzer Rock, Kopftuch. Auf ihr linkes Bein gestützt: eine Gadulka, ein bulgarisches Saiteninstrument, der Form nach einer Laute ähnlich. Doch diese Gadulka hat schon deutlich bessere Zeiten gesehen, mehrere Saiten fehlen, der Bogen ist ausgefranst.
Doch stoisch streicht die Frau die Saiten, die noch da sind, ist sehr freundlich im Gespräch, lacht, beantwortet allerdings alle Fragen – nach ihrer Herkunft, nach der Musik, nach dem Instrument – immer nur mit einem Wort. Und lacht und spielt weiter, umgeben von Tauben, die sie nebenbei mit Brotkrümeln füttert.

Sommerliche Ausgelassenheit kommt nicht auf

Im Jardin du Luxembourg haben sich zwei Musikstudenten eingefunden. In St. Germain treffe ich Joe aus New York, er bereist Europa und bleibt nirgendwo, ist heute in Paris, morgen vielleicht in Deutschland.Und dann zuguterletzt begegnet mir doch noch ein Musiker in der Metro – der erste seit Tagen: Iulian.
"Ich komme aus Moldawien, das liegt zwischen der Ukraine und Rumänien. Ende Mai bin ich gekommen. Die Metro … na ja. Es gibt Konkurrenz, viele Musiker aus Russland oder vom Balkan, es gibt auch viele Kontrollen. Am Ende der Saison fahre ich wieder zurück. Die Krise, wissen Sie, die Krise."
Vielleicht ist es ja Zufall, dass man Pariser Straßenmusiker in diesen Wochen suchen muss. Vielleicht liegt es auch daran, dass wegen der Anschläge deutlich weniger Touristen in der Stadt sind als üblich, auch ist das Wetter seit Monaten eher mäßig.
Doch selbst wo Musiker spielen und andere ihnen zuhören, stellt sich diese sonst so schön entspannte Heiterkeit, dieses Gefühl sommerlicher Ausgelassenheit nur selten ein. Eher Unruhe allenthalben, Paris - eine Stadt: mehr befriedet als friedlich.
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