Grenzenloser Linienverkehr

Zwei Städte, zwei Länder, ein Bus

06:47 Minuten
Aufnahme von oben: Links Frankfurt Oder, recht die polnische Stadt Slubice, dazwischen die Oder.
Die Grenzstädte Frankfurt Oder (l.) und das polnische Slubice (r.) sind durch die Oder getrennt. Der Linienbus 983 fährt zwischen den beiden Städten im Stundentakt. © picture alliance/dpa-Zentralbild/Patrick Pleul
Von Ernst-Ludwig von Aster · 14.05.2019
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Jahrelang dauerten die Verhandlungen, dann endlich durfte der Bus über die Grenze. Seit 2012 fährt im Stundentakt ein Linienbus von Frankfurt ins benachbarte Slubice − mittlerweile eine der begehrtesten Buslinien auf beiden Seiten der Oder.
Langsam rollt der Regionalexpress Nr. 1 in den Bahnhof von Frankfurt/Oder ein. Es ist Donnerstagvormittag, kurz nach elf. Gut zweihundert Fahrgäste steigen aus. Viele Studenten, die hier an der Universität Viadrina lernen, aber noch mehr Rentner mit Einkaufstaschen, Ziehwägen. Zielstrebig steuern sie den Bahnhofsvorplatz an. Die meisten den Bussteig drei:
"Ich habe diese Monatskarte, als Rentner kostet die mich 51 Euro, damit kann in ganz Brandenburg fahren, Busse, Bahnen."
Der sportliche Mittsechziger in Windjacke, Poloshirt, Jeans, und Seglerschuhen nimmt jeden Monat den Regionalexpress nach Frankfurt Oder. Dann den Linienbus nach Polen. Auf seinem Einkaufszettel steht immer das Gleiche:
"Die 800 Zigaretten für meine Frau und mich. Die reichen etwa zwei, drei Wochen. Es gibt ja Leute, die fahren mehrmals täglich. Um die dann wieder zu verhökern." Denn die Stange Zigaretten in Polen kostet 20-25 Euro weniger als in Deutschland.
Zwei Polinnen wuchten ihre Reisetaschen auf die Plastiksitze an der Haltestelle. Studieren den Fahrplan. Auch Sie nehmen regelmäßig den Bus: "Vielleicht einmal im Monat, hier lebt unser Vater."
Zwei Kilometer sind es vom Bahnhof über die Oderbrücke nach Slubice. Eigentlich wollten Kommunalpolitiker aus Frankfurt Oder und Slubice, dass eine Straßenbahn die beiden Grenzstädte verbindet. Seit mehr als zehn Jahren wird darüber diskutiert. Doch die Bevölkerung in Frankfurt Oder spricht sich immer wieder mit großer Mehrheit dagegen aus.
Stattdessen rollt der Bus. Seit nunmehr sieben Jahren. Der Busfahrer macht sich bereit zur nächsten Runde: "Aber das nächste Mal ohne Bierdose!"
Gerade hat ihm eine Kundin eine Dose Bier vor die Füße gekippt, die sie nicht mit in den Bus nehmen durfte. Er lächelt, zuckt mit den Schultern. Im grenzüberschreitenden Linienverkehr braucht man gute Nerven, sagt er.

Rund 1.700 Fahrgäste am Tag

Die Fahrgäste drängen herein, einige lösen einen Fahrschein. Einer motzt den Busfahrer an: "Ich bin ein Vogel, schade, dass sie das als Geschäftsführer nicht gehört haben."
Der Geschäftsführer nickt verständnisvoll. Christian Kuke ist seit 2011 bei den Verkehrsbetrieben. Ein Jahr später rollte der Bus das erste Mal von Frankfurt Oder nach Slubice. Grenzüberschreitender Transport, öffentlich, im Stundentakt. Zwei Städte, zwei Länder, ein Bus.
"Zwischen 1.500 und 1.700 liegen wir in der Spitze pro Tag, sicherer ist die Zahl fürs Jahr, da sind wir immer knapp unter 400.000 Fahrgästen. Für einen Bus, der nur stündlich fährt, ist das schon nicht schlecht."
Der Bus zockelt über die Karl-Marx-Straße, dann geht es vorbei an einer Straßenbahn-Baustelle. Weiter rechts rum über die Brücke der Freundschaft, auf polnisches Staatsgebiet. Ganz einfach.
"Eigentlich gibt es keine Probleme. Es ist europarechtlich alles relativ klar geregelt, was in Deutschland gilt, gilt auch sicherlich in Polen, mit kleinen Nuancen sicherlich, aber im Kern ist es dasselbe. Der Teufel liegt dann im Detail."

Busverkehr wird zur politischen Grenzerfahrung

Und die Details ändern sich – je nach politischer Großwetterlage. Mal mussten die Busse mit Feuerlöschern nachgerüstet werden. Mal gab es Bedenken, dass eine polnische Kommune Geld nach Deutschland überweist. Denn pro Jahr zahlt Slubice rund 40.000 Euro aus der Stadtkasse an die Frankfurter Verkehrsbetriebe, damit der Bus weiterrollen kann.
Mintfarbender Linienbus an Haltestelle, Menschen steigen ein und aus.
Der Bus 983 fährt zwischen der deutschen Stadt Frankfurt (Oder) und der polnischen Stadt Slubice.© dpa/picture alliance/Patrick Pleul
Denn wie überall im Nahverkehr ist auch der Betrieb der Buslinie 983 ein Minusgeschäft. Nur, dass das Defizit hier grenzüberschreitend verteilt wird. Manchmal wird da der öffentliche Busverkehr auch zur politischen Grenzerfahrung:
"Da das Thema aber nicht ganz so einfach ist. Und sich in den letzten Jahren komplizierter dargestellt hat, als es sein müsste, haben wir hier jetzt schon die Landesregierung von Brandenburg mit am Tisch. Nicht direkt, aber auf jeden Fall informell im Hintergrund. Und entsprechend auch die Woiwodschaft in Polen."
Die Woiwodschaft Lebus – sie ist das polnische Gegenstück zur Landesregierung in Brandenburg. Gemeinsam versuchen die beiden, den Weg frei zu halten über die Oder. Gegen Bremser, die der polnisch-deutschen Verkehrsverständigung skeptisch gegenüberstehen. Denn vor allem Vertreter der national-konservative PiS-Regierung betonen immer wieder die polnische Eigenständigkeit. Und warnen vor zu viel deutschem Einfluss.

Verbundene Wirtschaftsräume

Hinter der Oderbrücke steigt der Rentner mit der Laugenstange aus. Sein Zigarettenshop liegt nur hundert Meter weiter. Der Bus rollt den Oderdeich entlang. Dann geht es links rum, die Slubicer Hauptstraße entlang, Stopp am Supermarkt, an der Post, am Busbahnhof, am Heldenplatz. Hier steigen alle aus, die zum großen Markt wollen. Tauschen die Plätze mit den Einkäufern, die zurück nach Hause fahren.
Auf der Rückfahrt gibt es nur noch Stehplätze. Ein Mittsechziger zwängt sich in den Gang, mit zwei großen Tragetaschen. Voller Pflanzen: "Ich fahre normalerweise alle sechs Wochen, gehe zur Fußpflege und zum Friseur, alles mit dem Bus."
Etliches ist günstiger im Nachbarland, vor allem Dienstleistungen. Davon profitieren viele deutsche Grenzgänger. Polen dagegen kaufen auf deutscher Seite gerne technische Geräte. Der 983-Bus verbindet die Wirtschaftsräume.
"Wenn der Bus rollt, dann sind alle beteiligt und genießen natürlich auch den Komfort, den man damit hat. Was im Hintergrund abläuft, ist manchmal recht zäh."

Die Zukunft der Buslinie

Geschäftsführer Kuke denkt schon an die nächste Verhandlungsrunde. Im September laufen die aktuellen Vereinbarungen aus: "Im Moment müssen wir jedes Jahr neu ran, das ist natürlich nicht die Zielsetzung, die wir haben, wir hatten ja anfangs einen Fünf-Jahres-Vertrag, da möchten wir gerne mindestens auch wieder hin, aber die Diskussionen sind noch nicht am Ende."
Der Bus biegt auf den Bahnhofsvorplatz ein. In einer halben Stunde startet er zur nächsten Runde. Grenzenloser Verkehr im Stundentakt. Auf dem holprigen Weg der deutsch-polnischen Verständigung.
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