Frank Castorf über "Galileo Galilei"

"Aktualität ist für mich nicht wirklich interessant"

Die Schauspieler Jürgen Holtz und Jeanne Balibar in "Galileo Galilei. Das Theater und die Pest", inszeniert am Berliner Ensemble von Frank Castorf.
Die Schauspieler Jürgen Holtz und Jeanne Balibar in "Galileo Galilei. Das Theater und die Pest", inszeniert am Berliner Ensemble von Frank Castorf. (2019). © Matthias Horn/Berliner Ensemble
Moderation: Stephan Karkowsky · 14.01.2019
Frank Castorf hat sich am Berliner Ensemble "Galileo Galilei" von Brecht vorgenommen. Am 19. Januar feiert die Inszenierung Premiere. Im Gespräch erzählt er, was ihn an dem Stück heute noch reizt - und was er auf der Bühne herauskitzeln will.
Stephan Karkowsky: Dass wir heute am Montag schon auf das Wochenende schauen, hat einen guten Grund, am Samstag nämlich hat im Berliner Ensemble "Galileo Galilei" Premiere, frei nach Bertolt Brecht. Die Geschichte des Mathematikers Galileo, der beweisen kann, dass die Erde sich um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, der diese Aussage aber gegenüber der kirchlichen Inquisition widerrufen muss. Darüber sprachen wir gestern bereits mit dem Regisseur selbst, mit Frank Castorf, der bekanntermaßen eher selten Interviews gibt.
Ich habe Castorf zunächst nach dem bekanntesten Zitat aus diesem Stück gefragt, "wer die Wahrheit nicht weiß, ist bloß ein Dummkopf, aber wer sie weiß und eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher". Wie aktuell ist diese Aussage noch heute, Herr Castorf?
Frank Castorf: Aktualität ist für mich nicht wirklich interessant. Es ist schon interessant zu sehen, was in der Geschichte passierte, um möglicherweise Analogien zu finden. Aktuell die Wahrheit zu sagen, das scheint, auch im Fall des historischen Galileis, kompliziert zu sein. Ja, man kann nicht immer alles sagen, es ist auch nicht klug, immer alles zu sagen, aber bei ihm ist etwas interessant, also in Bezug auf diesen Satz in der, ich glaube, 14. Szene ist es.
Frank Castorf bei einem Interview auf der Perner Insel in Hallein während der Salzburger Festspiele 2018
Der Theaterregisseur Frank Castorf© picture alliance / APA / picturedesk.com
Der Heiner Müller in seinem "Auftrag" hat fast etwas Ähnliches in der Diskussion zwischen dem Sklaven, dem Schwarzen, Sasportas, und dem Sohn der Sklavenhändler, dem ehemaligen Revolutionär Debuisson. Und etwas Ähnliches spielt sich zwischen Andrea, dem Schüler, und Galilei ab. Er hält es für eine Prüfung, diese Lügen, dieses Widerrufen, für eine geschichtliche Klugheit. Und Galilei und Brecht machen etwas sehr Interessantes, sie sagen, nein, das ist es nicht, das ist meine Meinung. Auch Debuisson sagt zu Sasportas, ich gehe zurück in den Schoß der Familie. Und Galilei ist jemand, und dieser Trick, den er in diesem ja fast aristotelischen Stück von Brecht, über das der Brecht nie zufrieden war, weil er seine Mittel des epischen Theaters, der Kritik des demonstrativen Planetarismus im Prinzip als ... Gedanken einfließen zu lassen, nicht gemacht hat. Weil es sich um diese historische Figur Galilei handelt. Und damit auch über eine Identifizierung. Aber am Schluss hat er Angst, was oft im aristotelischen Theater ist, dass der Zuschauer sich identifiziert mit dem, auch mit den Fehlern, mit den Schwächen oder mit den Verbrechen.

"Galileo Galiei. Das Theater und die Pest" von Bertolt Brecht, inszeniert von Frank Castorf: Premiere ist am 19. Januar, 18 Uhr. Weitere Termine auf der Website des Berliner Ensemble.

Und dann macht er einen guten dramaturgischen Trick, er macht diese Selbstkritik, wo er sagt, ja, ich bin ein Verräter, ich bin in der Gosse. Und die Sprachwahl ist fast wie das große Vorbild von Brecht, Rimbaud, es ist mit einer satten, sehr paradoxalen, einer Sprache, die uns auch an den Surrealisten Antoine Artaud erinnert: Sagt mit einem mal, ich bin ein Verbrecher.

Die Verantwortung des Wissenschaftlers

Karkowsky: Nun ging es Brecht ja wie so oft auch hier bei Galilei um Kapitalismuskritik. Wissen war für die Obrigkeit nur dann interessant, wenn sich daraus Profit schlagen ließ.
Castorf: Na ja, es war der Weg in die finstere Nacht. Wir schrieben 1938, da wissen Sie, ist das Münchener Abkommen. Ein Jahr später fängt der Zweite Weltkrieg an. Dann fängt die Zeit an, nach dem Zweiten Weltkrieg, der Kalte Krieg. Und es gibt die Zeit der Atombombe. Natürlich ist es vor allen Dingen etwas, wo man durchaus überlegen kann, ob jedes Mittel, was man erfindet, jede Erfahrung, jede Theorie in die Praxis umgesetzt werden muss, also auch die Vernichtung von Hiroshima und Nagasaki. Und es war die Verantwortung des Wissenschaftlers und da hat der Brecht eine dezidierte Meinung, dass da bestenfalls auch bei Einstein, bei Oppenheimer etwas anfängt, wo auch die Verantwortung für die Zukunft dieser Zeit der Veränderung, in dieser Zeit nach diesem dunklen Faschismus, na ja, sehr, sehr schmerzvoll ist.
Und eigentlich geht es mehr darum in den 50er-Jahren – und wir wissen ja, wie oft wir da in der Nähe eines Atomkrieges auch in Europa waren –, davor zu warnen, das war ihm wichtig, mittels Theater davor zu warnen. Davon sind wir jetzt, glaube ich, bei den vielen, kleinen Weltordnungskriegen entfernt. Aber es ist vielleicht etwas, was mich interessiert hat, auf der einen Seite gibt es diese große Reise im 16. Jahrhundert in das, wo man diese Klarheit erkennt, dass die Erde eben nicht im Zentrum, der Mensch nicht das Maß der Dinge ist. Und auf der anderen Seite marschiert fast zeitgleich die Pest über Florenz nach Rom. Also, der Mensch ist geworfen in etwas, wo er überhaupt keine Mittel, medizinischen Mittel dagegen hat. Für mich war es ganz interessant, die Reise nach innen, und deshalb benutze ich ja auch Ende des Gottesgerichtes und ... für die Pest, also Überlegungen über den Zustand der Welt und des Menschen und der Kunst in der Zeit des 20. Jahrhundert von Antoine Artaud. Stoffe, die fast bipolar, die sich völlig entgegen, fast anti??? darstellen, aber die mich sehr interessieren. Also, es ist so viel im Zusammenhang und das interessiert mich auch bei dem Brecht.
Karkowsky: Wie ist denn der Untertitel Ihres Galilei zu verstehen, das Theater und die Pest?

Die Pest ist eine schwarze Sonne

Castorf: Na ja, das Theater und die Pest, der Heiner Müller sagt über den Antoine Artaud, das Verdienst von Artaud ist, dass er der Literatur die Polizei und dem Theater die Medizin entrissen hat. Also, dass man sich zu etwas, was eine totale Krise und Infragestellung des menschlichen Lebens angeht, das ist eigentlich die Pest. Und er sagt, das ist ein befreiender Akt, das ist eine schwarze Sonne von einer ungeheuren Strahlkraft, wo etwas wie ein gesellschaftlicher, ein kollektiver gesellschaftlicher Abszess entfernt wird – entweder durch den Tod oder durch die Heilung. Ich glaube, es geht nicht so sehr… Die Illustrierung von richtigem Denken oder von was ist korrekt, zum Beispiel, sondern das Theater, solange es das gibt, zweieinhalbtausend Jahre hat es sich immer für die Extremfälle, zum Beispiel, wenn Sie an Ödipus, an die Sicht in die Zukunft, das kassandrahafte, auch Ödipus versucht, etwas zu erfahren, was ihn durch seine eigene Lebenspraxis widerlegen wird. Solche Sachen sind für mich sehr interessant. Deshalb das Theater und die Pest, eigentlich als ein Auftrag, auch wieder den besonderen Schauspieler, deshalb ist ja in der Hauptrolle auch jemand, der sehr viel Leben erfahren hat, Jürgen Holtz, der den Galilei spielt …
Karkowsky: 86 Jahre jung.
Castorf: 86 Jahre jung, das ist wichtig zu betonen, mit einer ungeheuren Vitalität, einer Intelligenz in der Reflexion, und sich zu offenbaren, eben auch wie in der Pest in so einem Ausnahmezustand, als Schauspieler im Spiel mit anderen, dass etwas Neues entsteht. Und mich interessieren eben die Ausnahmezustände in dem theatralischen Abbild und nicht die Illustration journalistischer Normalität.
Karkowsky: Brechts Nachfahren sind ja nicht immer einverstanden mit dem, was Sie mit Ihren Texten machen. Es gab dieses Aufführungsverbot von "Baal" in München, da haben die Erben eine Urheberrechtsverletzung vermutet. Wie haben Sie denn diesmal mit den Erben verhandelt, denn Sie gehen ja wieder relativ frei um mit dem Text.
Castorf: Wissen Sie, ich verhandele nicht, das ist ja die Sache der Institution, der Theater, bei denen ich beschäftigt bin, und ich hatte ein sehr gutes Verhältnis mit der verstorbenen Brecht-Tochter. Ich habe auch sehr, ich habe "Die Maßnahme" in Berlin gemacht an der Volksbühne. Vielleicht hat mal sich eine ältere Dame darüber geärgert, dass man mit ihr so lax umgeht und meint, über einen Verlag kann man das alles so regeln mit linker Hand – und da hat sie gesagt, nicht mit mir, meine Damen und Herren von diesem Theater. Und das war weniger, glaube ich, dass ihr die Arbeit nicht gefallen hätte.

"Ich bin da ja ein ewig Gestriger"

Karkowsky: Sie haben nun den Brecht vor sich, aber wenn Sie mal weiter nach vorne denken, gäbe es einen lebenden, zeitgenössischen Autor, dessen Texte Sie gerne mal inszenieren würden?
Castorf: Nein, ich bin ja da ein ewig Gestriger. Mich interessiert das, was ich so lesen, und auch die Beschäftigung mit der Geschichte, das ist eben, wo der Brecht auch sagt, manchmal ist es, wenn man dieses Verändern, dieses operative Theater haben möchte, ist es halt interessant – da kann man auch sagen, ist das feige –, einen Schritt zurück zu machen und das Ganze zu verlegen ins 16. Jahrhundert, 17. Jahrhundert. Nein, ich glaube, das Gleichnishafte, das Miträtseln, das Deskriptieren, das ist ganz wichtig. Ich bin, was Informationen angeht, eben in der DDR gestählt und geschult. Was in einer Zeitung, in den Medien gesagt wird, da bin ich prinzipiell misstrauisch und bemühe mein eigenes Nachdenken. Und das macht viel Spaß, das ist in der Kunst genauso. Also, was da ganz klar vor sich herkommt als die allgemeine Meinung, das mag ganz wichtig sein, in der Politik, auch in der vierten Säule unserer Demokratie. Nein, also, da müssen Sie sich wahrscheinlich mit anderen kompetent unterhalten, da bin ich der falsche Partner.
Karkowsky: Frank Castorf, vielen Dank für das Gespräch!
Castorf: Bitte!
Karkowsky: Seine Inszenierung von "Galileo, Galilei – das Theater und die Pest" hat Premiere nächsten Samstag am Berliner Ensemble.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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