Françoise Frenkel: "Nichts, um sein Haupt zu betten"

Eine Existenz am dünnen Faden

Blick über die Tauentzienstraße und das KaDeWe, um 1935
Frenkels Buchhandlung befand sich bis Ende der 30er-Jahre in einer Seitenstraße des KaDeWe - hier zu sehen auf einer zeitgenössischen Postkarte. © imago/Arkivi
Von Carsten Hueck · 28.07.2016
In den 1920er Jahren verlässt die Jüdin Frymeta Frenkel Paris, um in Berlin eine Buchhandlung als Françoise Frenkel zu eröffnen. 1939 muss sie zurückkehren. Als die Nazis Frankreich besetzen, beginnt für sie eine Odyssee durch Europa. Eine Biographie, die ein wertvolles Dokument der Zeitgeschichte ist.
1921, zwei Jahre nachdem Sylvia Beach "Shakespeare & Company", den ersten Laden mit englischsprachiger Literatur in Paris, gegründet hatte, verließ die nahezu gleichaltrige polnische Jüdin Frymeta Frenkel die französische Hauptstadt. Sie hatte in Paris studiert, gearbeitet und wollte nun die erste Buchhandlung mit französischer Literatur in Berlin eröffnen, die "Maison du Livre". Das Interesse der Deutschen war eher zurückhaltend. Doch lebten in Berlin damals etwa 100.000 Russen – und viele von ihnen lasen französische Literatur im Original.
Heute weiß man nur wenig noch über die leidenschaftliche Buchhändlerin. 1945 allerdings publizierte sie unter dem Namen Françoise Frenkel in einem Schweizer Verlag einen autobiographischen Bericht: "Nichts, um sein Haupt zu betten". Erst jetzt erscheint er in deutscher Übersetzung. Und erweist sich als wertvolles Dokument – weniger der Literaturgeschichte als vielmehr der Zeitgeschichte.
Anschaulich, literarisch anspruchsvoll, dabei direkt und mit vielen Dialogen, schildert Frenkel das geistige Klima der Jahre 1920 - 1943; die Borniertheit, mit der deutsche Behörden auf die Einrichtung eines französischen Buchladens in der preußischen Hauptstadt reagierten; die Kundschaft des "Maison du livre" – erst überwiegend "Ausländerinnen", nicht nur aus Russland, auch aus Polen, Skandinavien und der Türkei: "Die Festtage für diese schönen Kundinnen waren die Tage, an denen Modezeitschriften und –hefte eintrafen."

Die Bestände wurden von den Nazis beschlagnahmt

Später kamen aber ebenso deutsche Akademiker, sowie Beamte der Konsulate und Botschaften. Bis Anfang der 1930er Jahre konnte Frenkel ihre Verkaufszahlen kontinuierlich steigern. Sie organisierte auch Vorträge und Empfänge zeitgenössischer französischer Autoren in Berlin. Claude Anet, Henri Barbusse, André Gide, Colette, Julien Benda, Aristide Briand und andere waren zu Gast in ihrer Buchhandlung in der Passauer Straße.
Heute steht dort ein Anbau des KaDeWe. Französische Verlage und Regierung unterstützten die Aktivitäten der passionierten Literaturliebhaberin. Das ermöglichte ihr auch, den Laden über die nationalsozialistische Machtergreifung hinaus zu führen. 1939 jedoch verließ sie Berlin. Die untergestellten Bestände des "Maison du Livre" wurden wegen Frenkels "Rassenzugehörigkeit" von den deutschen Behörden beschlagnahmt.

Ein Panorama der französischen Gesellschaft

Ein Jahr später besetzten die Deutschen Frankreich. Von Paris weicht Frenkel erst nach Avignon, dann nach Nizza aus. Sie schildert Alltagssituationen, die Existenz verzweifelter Flüchtlinge, zunehmende Repressalien, die französische Kollaboration, ihre Erfahrungen mit korrupten Helfern und stolzen Widerständlern. Dabei entsteht aus vielen kleinen Charakterzeichnungen ein Panoramabild der französischen Gesellschaft jener Kriegsjahre.
1943, nach Inhaftierung und Prozess, gelingt ihr beim dritten Versuch der illegale Grenzübertritt in die Schweiz.
Noch im selben Jahr beginnt Francoise Frenkel, am Vierwaldstätter See ihr Buch zu schreiben. Vortrefflich ergänzt es die Schilderungen von Anna Seghers, George Arthur Goldschmidt und Saul Friedländer über eine Existenz am dünnen Faden, zwischen Glück und Willkür, Tod und Überleben.

Françoise Frenkel: "Nichts, um sein Haupt zu betten"
Mit einem Vorwort von Patrick Modiano
Aus dem Französischen von Elisabeth Edl
Carl Hanser Verlag, München 2016
285 Seiten, 22 EUR

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