Frage des Tages

Brauchen wir neue Friedenslieder?

Der Liedermacher Wolf Biermann
Der Liedermacher Wolf Biermann: "Sich einmischen ist falsch und sich nicht einmischen ist auch falsch." © picture alliance / dpa / Stephanie Pilick
Moderation: Timo Grampes · 01.09.2014
"Nein", neue Friedenslieder brauchen wir nicht, meint Liedermacher Wolf Biermann, "wir haben ja schöne alte". Im Allgemeinen sähen die Dichter ohnehin eher dumm aus - angesichts der blutigen Wirklichkeit.
Timo Grampes: Ukraine, Gaza, Syrien, IS-Terroristen. Die Welt, die brennt, wie Sie wissen. Und die Frage, die wir uns stellen: Wer tröstet uns eigentlich? Musik kann so was ja eigentlich, ein bisschen, vielleicht, manchmal jedenfalls.
Unsere "Kompressor"-Frage des Tages geht auf jeden Fall heute an Liedermacher Wolf Biermann! Herr Biermann, brauchen wir neue Friedenslieder?
Glaubst du die Russen wollen Krieg?
Wolf Biermann: Nein, wir haben ja schöne alte. Wir haben das uralte Lied von dem Matthias Claudius aus Wandsbek, ein norddeutscher Fischkopf,
"'s ist Krieg, 's ist Krieg - und ich begehre, nicht schuld daran zu sein"
das schrieb er damals. Und bei der Gelegenheit, weil es ja auch um die Ukraine, um Russland geht, denke ich natürlich an ein berühmtes Lied von meinem Freund Jewgeni Jewtuschenko, der schrieb nämlich damals in der Zeit des Kalten Krieges:
"Glaubst du, die Russen wollen, glaubst du, die Russen wollen, glaubst du, die Russen wollen Krieg?"
- babababam! Und natürlich, wie Sie schon ahnen, kommt dann die Antwort: Nein! Ich habe gerade ein Gedicht geschrieben, eine SMS an den Dichter Jewgeni Jewtuschenko, der ja noch lebt, der ist vier Jahre älter als ich:
"Glaubst du, die Russen wollen, glaubst du, die Russen wollen, glaubst du, die Russen wollen Krieg? Oh nein! Auf gar keinen Fall! Denn da mordet, so weit ich seh', Mann, nur Putin, der KGB-Mann! Wer spielt da den blutigen Ball denn? Nur Putin und seine Kanaillen! Jewgeni, mein ewig junger Freund, hey, Jewtuschenko, uralter Sack, du ewiger Kraft-durch-Kummer-Poet, mein röhrender, singender Sibiriak, das ist eine sentimentale Qual! Mir liegt auf den Lippen dein altes Lied, wenn ich in der Glotze die Bilder seh' von Putins Krieg in der Kiewer Rus, dann denk ich an einen vom gleichen Metier, den Dichter von anno dazumal, norddeutscher Fischkopf, Pastorenbrut, der kannte die gleiche Misere sehr gut, aus Wandsbek Matthias Claudius! Dann kreischt mein Herz: Nein, nein, nein, nein! 's Krieg, 's ist Krieg - und ich begehre, nicht schuld daran zu sein! 's ist klar und traurig, aber wahr: Im Kreml herrscht Stalins getreuer Zar!"
Grampes: Das haben wir nun. Wir haben wunderbare Poesie und wir haben auch die Musik, wir brauchen also keine neue, da braucht der Künstler sich jetzt nicht anstrengen.
Biermann: Ich schrieb ein paar hundert Jahre später in einem Gedicht, das heißt "Melancholie", ist auch ein Lied:
"Weil man mit Tränen keinen Tyrannen zähmt und weil kein Lied die Amokläufer stoppt: Melancholie, im Herzen die schwarze Galle."
Das ist das Lied über die Melancholie, weil man eben mit einem Lied keinen Amokläufer stoppen kann. Und deswegen sehen die Dichter dann auch so dumm aus angesichts der blutigen Wirklichkeit. Und trotzdem brauchen wir, aber das wissen Sie auch ohne mich, gute Gedichte.
Grampes: Sehen Sie die Deutschen denn immer noch als Frieden-um-jeden-Preis-Woller, so wie Sie sie mal genannt haben?
Katzenjammer über verlorene Kriege
Biermann: Ach, na ja, die Friedensliebe der Deutschen ist ja im Grunde nur der verkorkste Katzenjammer über zwei verlorene Kriege. Und wenn man genauer hinguckt: Für den Frieden sind sie alle. Adolf Hitler hat die größten Friedensreden der Welt gehalten, die man auch nachlesen, kurz bevor er den Krieg machte. Und alle sind für den Frieden, Putin ist übrigens auch für den Frieden, das unterscheidet ihn von uns nicht. Das Problem ist nur, dass sie immer ihren Frieden meinen, nämlich ihren Friedhofsfrieden, und sind bereit, um den durchzusetzen, den nächsten Krieg zu machen. Also, der Streit geht dann los, wenn man anfängt, genauer zu sagen, welchen Frieden man meint! Und dann ist Schluss mit der Friedensseligkeit!
Grampes: Dann beziehen wir uns auf den zwischen Russland und der Ukraine. Herr Biermann, wie bewerten Sie den deutschen Umgang mit Russland zurzeit?
Biermann: Jetzt mal die Wahrheit gesagt: Ich weiß es nicht. Ich weiß es doch nicht, Mensch! Weil, das ist eben eine tragische Situation! Wenn das im Theater passiert bei Shakespeare, versteht es jeder Spießer, dann nehme ich einen Konflikt, wo man nur wählen kann, ob man diesen Fehler macht oder den anderen. Immer ist alles falsch. Sich einmischen ist falsch und sich nicht einmischen ist auch falsch.
Das ist so alt wie die Menschheit. Nur, es ist jedes Mal neu. Und ich weiß es nicht. Aber ich war in Kiew, das unterscheidet mich von einigen anderen, und ich war auf dem Maidan-Platz. Und ich habe dort mit den Leuten gesprochen, die dort in den Zelten hausen und die dort gekämpft haben in den Tagen, als sie ihren kleinen Ersatzdiktator rausgeschmissen haben. Das sind keine Faschisten.
Propagandalüge von Putin
Es ist eine Propagandalüge von Putin, der in Moskau, in Russland verbreitet, diese Ukrainer seien Reaktionäre, ja sogar faschistische Leute. Das sind überhaupt keine Faschisten, das sind Demokraten, die sind verwirrt so wie Sie und ich auch übrigens, nur auf einem etwas anderen Niveau.
Aber die wollen raus aus dieser alten Nach-Stalin-Diktatur und wollen irgendwie - die wissen selber nicht, wie - demokratisch frei leben. Und wissen natürlich überhaupt nicht, weil sie keine Erfahrung haben, woher denn auch, was das für neue Probleme und Schwierigkeiten ergibt. Aber sie wollen raus aus diesem alten Gefängnis. Und das ist aus meiner Sicht nicht verwerflich, sondern menschlich und gut und richtig und muss unterstützt werden.
Also, kurz gesagt: Ich bin aufseiten der Ukraine, auch wenn bei näherem Hinsehen alles noch tausendmal verrückter und komplizierter und schwieriger ist, als die Kinder so denken.
Grampes: Danke schön! Wolf Biermann über Friedenslieder, Friedenslyrik und die politische Ohnmacht des Künstlers.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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