Fotograf Jean Molitor

„Der temporäre Müll stört unsere Sehästhetik“

35:14 Minuten
Thomas Mann Haus 2018 in Los Angeles. Ein zweistöckiges Haus in der Abenddämmerung. Drum herum Pflanzen und Palmen.
Das ehemalige Wohnhaus von Thomas Mann in Los Angeles gehört "auch zur klassischen Moderne dazu", sagt Jean Molitor. Obwohl ihn auch etwas die Palmen stören. © picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka
Moderation: Ulrike Timm · 19.05.2022
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Das Herz des Fotografen Jean Molitor hängt an Gebäuden der klassischen Moderne, insbesondere im Bauhausstil. Auf der ganzen Welt hat er sie fotografiert. Sein Ziel: Ein Fotoarchiv moderner Architektur, denn Denkmalschutz gibt es nur in wenigen Ländern. 
Was verbindet Bayern und Burundi? Für Jean Molitor in jedem Fall die Architektur. Der Fotograf hat in Süddeutschland und in Ostafrika gleichermaßen Bauwerke der klassischen Moderne entdeckt.
In Bayern sind es vor allem Postämter, die ihm bei seiner Suche zum Motiv wurden. Viele dieser Bilder sind ab dem 24. Juni in der Kunsthalle Pfaffenhofen zu sehen.
Postämter und Bayern, das klingt wenig besonders. Was aber weniger bekannt ist: Hier gibt es zahlreiche Ämter im Stil der klassischen Moderne, erzählt der Fotograf.
„Bayern hatte die sogenannte Postbauschule. Und die hat sich dann auch mit dieser modernen Architektur befasst.“ Der Freistaat habe „genauso viel Moderne wie andere Bundesländer“, betont Molitor.

Burundi und die klassische Moderne

In Burundi entdeckte der Fotograf eher aus Zufall Verwaltungsgebäude der klassischen Moderne. Er hatte den Auftrag, Häuser kurz vor dem Abriss festzuhalten, Details kannte der Berliner nicht.
„Ich habe diesen Job gemacht und fand diese Häuser in Ordnung.“ Der Künstler hatte die Gebäude im frühen Morgenlicht ohne Menschen fotografiert.
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Der Fotograf Jean Molitor am Ortsausgangschild der russischen Stadt Magnitogorsk.© Jean Molitor
Wirkliches Interesse entwickelt Molitor erst später, als er die Bilder auf dem Computer sieht. Jetzt begreift er, aus welcher Zeit die Gebäude stammen.
„Auf den Schwarz-Weiß-Fotos sahen die Häuser anders aus als in der Realität.“
Die Begegnung in Burundi wird für den Fotografen der Einstieg in sein Kunstprojekt „bau1haus“. Ein Wortspiel, „Bau ein Haus“, bezieht sich natürlich auf das Bauhaus, will aber auch auf die architektonische Moderne in der Welt verweisen.

"Den Bauhaus-Stil, den gibt es nicht"

Wichtig ist Molitor, dass er mit seinem Projekt nicht dem „Bauhaus-Stil“ auf der Spur ist.
„Bauhaus-Stil an sich, den gibt es nicht. Das Bauhaus selber hatte erst seit 1927 eine Architekturabteilung. Am Ende müssen wir hier von einer klassischen Moderne reden, die unterschiedliche Stilrichtungen hatte, in Europa und in Amerika. Am Ende ist das wie so eine Patchwork-Familie.“
Für Molitor, und das begeistert ihn daran, haben Häuser auch ein Gesicht. Jeder Architekt hinterlasse seine Handschrift.
In seinem „bau1haus-Projekt“ versuche er daher, möglichst viele Häuser miteinander zu vergleichen. „Das ist ja eigentlich die Idee des Projekts, also die Formen zu vergleichen, dann die Frage zu stellen: Wie müssen wir uns die Moderne weltweit vorstellen? Gibt es die wirklich weltweit, wie ist sie dahingekommen?“

Zwei Wochen bei Thomas Mann

Gerade hat Jean Molitor zwei Wochen in Los Angeles verbracht, im ehemaligen Wohnhaus von Thomas Mann. Kein Urlaubsaufenthalt, das Anwesen ist eine Bildungseinrichtung. Auch hier hat der 62-Jährige fotografiert.
Das in den 1940er-Jahren gebaute Haus „gehört von der Form auch zur klassischen Moderne dazu. Für mich war das ein richtiges Glücksgefühl“, erzählt Molitor. Die Villa, dazu die Sonne und der Pool, ein nahezu perfektes Motiv. Doch den Fotografen störten die Palmen, die das Haus nach den Jahrzehnten um einiges überragen.
„Wenn ich jetzt ein Bild mache, dann sehe ich die Palmen nicht. Ich sehe nur so Elefantenfüße, dieser Palmenpuschel fehlt. Dieser Stamm ist ja relativ unattraktiv im Bild.“
Fotografiert Molitor ein Haus und es stört dabei eine Ampel, eine Mülltonne oder ein Dixi Klo, dann können diese Dinge bei der Bildbearbeitung auch schon mal verschwinden. „Temporären Müll“, nennt Molitor diese Gegenstände.
„Also dieser ganze Kram, der überall klebt und steht, der sollte auch mal zurückgebaut werden, weil er in meinen Augen unsere Sehästhetik stört.“ Mit der Retusche habe er daher kein Problem. „Ich sehe mein Projekt weniger dokumentarisch, sondern eher künstlerisch. Und damit habe ich sozusagen die Freiheit.“

(ful) 

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