Forschung zu Mobbing

Warum bestimmte Menschen ausgegrenzt werden

07:51 Minuten
Illustration: Ein Schulmädchen sitzt allein an einer Wand, Schatten anderer Mitschüler sind zu sehen.
"Du darfst nicht mitmachen!" - Ausgrenzung in der Schulzeit prägt oft das gesamte Leben der Betroffenen. © imago / Neil Webb
Von Carina Fron · 14.11.2019
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Ein Team um die Koblenzer Psychologin Selma Rudert hat untersucht, ob bestimmte Persönlichkeitseigenschaften das Risiko erhöhen, von anderen Menschen ausgegrenzt zu werden. Mobbingberaterinnen finden die Studie bedenklich.
Ein junger Vater sitzt auf einer Parkbank und beobachtet sein Baby beim Schlafen, als ich ihn anspreche. "Was bedeutet Ausgrenzung?" – "Gesellschaftlich fühle ich mich jetzt nicht ausgegrenzt. Aber natürlich gab es Situationen, wo man das Gefühl hatte, dass man jetzt nicht dabei ist."
Mit dieser Aussage trifft der Mann den Nagel auf den Kopf. Ausgrenzen bedeutet, jemanden oder etwas nicht mit einzubeziehen – bewusst oder unbewusst. Über solche Geschichten von Ausgrenzungen wollen die Leute mit mir nur anonym sprechen. Ihre Stimmen sollen hier dennoch gehört werden. Wie eben die des jungen Vaters: "Das macht einen ein bisschen traurig und macht einen ein bisschen enttäuscht."

Ausgrenzung führt zu Einsamkeits- und Schuldgefühlen

Doch bei vielen Menschen bleibt es nicht bei einer einfachen Enttäuschung. Auch ich habe in der Schulzeit keine Beliebtheitswettbewerbe gewonnen. Geprägt hat mich das bis heute. Denn der Mensch ist nun einmal ein soziales Wesen, möchte dazugehören.
"Man versucht zu verstehen, warum. Also, dass man über sich selbst viel nachdenkt."
"Einsamkeitsgefühle, Schuldgefühle bei den Betroffenen, das Gefühl, nicht genug Wert zu sein, alles falsch zu machen. Und die anderen sind die, die wahrscheinlich recht haben. Denn das sagt eine Gruppe: Wir wollen nichts mit dir zu tun haben. Dann muss es ja an mir als Betroffenem liegen."
Monika Hirsch-Sprätz leitet die Mobbingberatung Berlin-Brandenburg. Die Sozialpädagogin beschäftigt sich jeden Tag mit Ausgrenzung und Mobbing.
"Der Unterschied zwischen Mobbing und Ausgrenzung ist, Ausgrenzung kann direkt bewusst, aber auch unbewusst passieren, kann einmalig sein. Bei Mobbing ist es so, dass es nicht um einmalige Handlungen geht, sondern meist zielgerichtete Handlungen, die über einen längeren Zeitraum stattfinden."

Ausgrenzung kann eine Form von Mobbing sein

Einer Person schaden wollen, das sei immer die Motivation beim Mobbing. Ausgrenzung kann da viel subtiler sein, findet oft zwischen den Zeilen statt. Deshalb sagen viele auch erst einmal Nein, wenn ich sie nach erlebter Ausgrenzung frage.
"Das ist jetzt keine direkte Ausgrenzung in dem Sinne gewesen, sondern das war, dass man einfach nicht mit mir gesprochen hat. Im Grunde genommen war das erst ein paar Jahre später, dass mir das bewusst wurde."
Dennoch kann Auszugrenzen auch eine Form von Mobbing sein. Häufig wird diese nur eher stillschweigend akzeptiert, immerhin kann sich jeder Mensch aussuchen, mit wem er seine Zeit verbringen möchte und mit wem nicht.
"Ich hatte eine Kollegin und dann wurde eine Neue eingestellt. Die haben beide geraucht und saßen immer zusammen im Zimmer und irgendwann haben die mich nicht mehr angeguckt, nicht mehr gegrüßt. Keine Ahnung. Das war schlimm, wirklich schlimm, sehr schmerzhaft."
"Interessanterweise liegt in der Forschung eigentlich relativ viel Fokus darauf, wie Ausgegrenzte mit Ausgrenzung umgehen und was für Strategien denen dann helfen. Aber was mich interessiert, sind die dahinter liegenden Mechanismen: Warum machen andere Menschen das? Warum werden überhaupt Menschen ausgegrenzt?"

Führen bestimmte Eigenschaften zu Ausgrenzung?

Antworten auf das Warum sucht Selma Rudert auch in der Persönlichkeit der Ausgegrenzten. Zu diesem Thema forscht die Juniorprofessorin für Sozialpsychologie an der Universität Koblenz-Landau, anhand von schriftlichen Befragungen.
"In den meisten von denen wurde den Versuchsteilnehmenden Persönlichkeitsbeschreibungen einer oder mehrerer Personen vorgelegt. Und danach wurden die Teilnehmenden eben befragt, wie wahrscheinlich sie der Person gegenüber ausgrenzendes Verhalten zeigen würden."
Die Probanden mussten zum Beispiel auch entscheiden, ob sie mit diesen Personen zusammenarbeiten würden. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen von den Universitäten Basel und Virginia hat Selma Rudert insgesamt sieben Studien online und im Labor – mit jeweils 40 bis 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt. Das Forschungsteam hat sich dabei auf die sogenannten "Big Five" der Persönlichkeit fokussiert: Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit, Extravertiertheit, emotionale Stabilität und Offenheit für Neues.

"Da aber konnten wir in einer Reihe von Studien zeigen, dass jetzt Leute, die von der Persönlichkeit her eher unverträglich sind oder sich wenig zuverlässig verhalten, dass die eben häufiger ausgegrenzt werden."

Ausgrenzung kann verschiedene Gründe haben

Ein Ergebnis, das Selma Rudert nicht überrascht hat. Evolutionär bedingt würde der Mensch nun einmal vermeiden, mit Leuten zu kooperieren, die unzuverlässig und unfreundlich sind und die die Gruppe aufhalten würden.
"In der Schulzeit wurde ich ausgegrenzt von den anderen Klassenkameraden und im Moment werde ich gerade von meinen Arbeitskollegen ausgegrenzt."
"Wenn jetzt einer bestimmten Person das immer wieder und wieder passiert, chronisch, unabhängig vom Kontext, egal, welche Personen sie treffen, dann kann man sich natürlich schon überlegen, ob die Leute schauen sollten, ob sie an dem Verhalten arbeiten. Aber was sehr wichtig ist, dass Ausgrenzung eben auch ganz andere Gründe haben kann. Wirklich auch Gründe, die nicht in mir als Person liegen."
Persönlichkeit sei auf jeden Fall nur ein Faktor, der zur Ausgrenzung führen kann, sagt auch Selma Rudert. Spannend sei es, in Zukunft noch mehr über den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und der jeweiligen Situation zu lernen.
"Ich wusste selbst nicht ganz genau, wo ich so stehe, weil ich halt schwul bin und nicht wusste, wie ich damit umgehen soll. Und die anderen haben das halt auch gemerkt oder wie auch immer – und haben einen dann irgendwie so links liegen lassen."

Gefahr der Stigmatisierung

Auch wenn sie die kontroverse Debatte schätzt, die eine Studie wie die von Selma Rudert auslösen kann, Mobbing-Expertin Monika Hirsch-Sprätz sorgt sich dennoch um die Wirkung.
"Das finde ich heikel, weil: Wenn sie missverstanden oder nicht ganz verstanden und ganz gelesen wird, diese Studie, kann es durchaus zu einer Stigmatisierung von Betroffenen kommen. Das heißt: Ändere du mal deine Persönlichkeit, du bist schuld an der Ausgrenzung, an der Situation."

Ein Gedanke, den auch ich beim Lesen der Studie erst einmal hatte. Dennoch glaubt auch Monika Hirsch-Sprätz, dass Studien helfen können, um Ausgrenzung insgesamt besser verstehen zu lernen und ihnen dann auch gezielter entgegenzuwirken. Verallgemeinerungen seien das Problem. Das zeige auch ihre über Zwanzigjährige Erfahrung als Mobbingberaterin. Vielmehr plädiert Monika Hirsch-Sprätz dafür, dass Betroffene sich sehr schnell Hilfe suchen müssen.

"Ab dem Zeitpunkt, wo jemand merkt, dass er ein Unwohlgefühl hat, das er irritiert ist von Verhaltensweisen ihm oder ihr Gegenüber und die nicht richtig deuten oder zuordnen kann, das wäre der ideale Zeitpunkt, um das einfach mal überprüfen zu lassen, sich einen externen Blick geben zu lassen."

Und auch Institutionen, wie Schulen und Unternehmen müssten viel stärker sensibilisiert werden für das Thema. Denn Ausgrenzung und dessen Auswirkungen können einen Menschen sein ganzes Leben lang begleiten.
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