Mobbing

Wo das Schikanieren und Ausgrenzen grassiert

Ein junges Mädchen zeigt das Display eines Smartphones mit einem fiktiven Chatverlauf beim Messenger "WhatsApp".
Mobbing - kein Phänomen des Internetzeitalters © dpa/Julian Stratenschulte
Von Jakob Schmidt  · 24.07.2017
Schule, Gefängnis, Militär: Mobbing ist kein Phänomen des Internetzeitalters, in hierarchisch strukturierten Systemen verbünden sich seit jeher Gruppen gegen Einzelne - mit teils verheerenden Folgen.
"Also die Zeit war für mich persönlich, gerade als Heranwachsende, sehr schlimm und auch sehr traumatisch. So weit, dass ich auch an mir als Person gezweifelt habe und auch über Suizid dann nachgedacht hab."
Zwölf Jahre alt ist Jessica Gehres, als das Martyrium für sie beginnt. Ab der fünften Klasse ist sie an ihrer Schule massivstem Mobbing ausgesetzt, wird systematisch fertiggemacht.

Wie eine Epidemie

"Und das fing auch ganz sanft in Anführungsstrichen auf dem Schulhof an mit meinen Klassenkameraden und hat sich dann von meiner Klasse auf die ganze Schule ausgebreitet, bis hin, dass das dann ins Internet getragen wurde. Also von Beleidigungen über Gerüchte und aber auch körperliche Übergriffe. Das breitet sich eben wie eine Epidemie aus, weil es natürlich auch ansteckt. Das ist so ein Machtgefühl, was ein Täter über ein Opfer gewinnt und daran möchten natürlich auch andere teilhaben. Das liegt, glaube ich, in der Natur des Menschen."
Wie verändert man sich denn dadurch als Mensch?
"In der Situation selber bin ich, glaube ich, sehr in mich gekehrt gewesen, habe mich in der Schule mit keinem mehr unterhalten, habe mich nicht am Unterricht beteiligt. War sehr in mich gezogen und auch sehr traurig. Jetzt im Nachgang kann ich sagen, dass, dadurch, dass ich das verarbeitet habe, ich dadurch, glaube ich, ein wesentlich stärkerer Charakter geworden bin."
Vor allem dem bedingungslosen Rückhalt in ihrer Familie ist es zu verdanken, glaubt Gehres, dass sie ihre Erfahrungen verhältnismäßig gut verarbeiten konnte. Heute ist sie 27 Jahre alt. Und hat ein Buch geschrieben, das anderen Betroffenen Mut machen soll.
"Ich kenne viele ehemalige Opfer, die heute noch Angst haben, auf Leute zuzugehen, in neue Gruppen. Neue Freunde zu finden. Immer mit diesem Hintergedanken unterbewusst, dass einem nochmal sowas passiert."
Jedes Jahr sind von Mobbing mehrere 100.000 Schülerinnen und Schüler betroffen, sagt die Münchner Mobbingforscherin Mechthild Schäfer. Auch wenn der Begriff oft zu beliebig verwendet werde.
"Woran man Mobbing eigentlich ganz klar erkennt: Wenn sich alle gegen einen richten."

Mobbing ist ein Gruppenphänomen

Mobbing sei eben kein einfacher Konflikt zwischen Einzelnen, sondern ein gruppendynamisches Phänomen, in dem ein Opfer systematisch und über einen längeren Zeitraum isoliert werde.
"Ein geeigneter Ort für Mobbing ist ein hierarchisches System mit kontrollfreien Räumen, wo die Möglichkeit rauszukommen extrem schwierig ist und wo man zugeordnet wird. Und damit ist Schule genauso wie zum Beispiel Knast oder Militär einfach ein guter Ort, weil diese strenge Hierarchisierung und damit auch die Akzeptanz eigentlich von Macht oder die Akzeptanz von Autorität im System drinsteckt."
Zum Betroffenen, weiß Schäfer, kann grundsätzlich jedes Kind werden. Klare Kriterien für "das" typische Mobbingopfer gibt es nicht.
"Weil ja immer so gerne diese Diskussion kommt: Ja, gibt es Opfermerkmale? Forschungstechnisch – wir haben einen Längsschnitt gemacht. Und haben geguckt, Kinder, die in der Grundschule Opfer waren, und haben die sechs Jahre später in der weiterführenden Schule in Bayern dann in einem komplett neuen Klassenkontext wieder besucht und haben geguckt: Sind die dort wieder Opfer? Und wir haben gefunden: Nein. Das heißt also: Eine Opferrolle in der Grundschule erlaubt keine Vorhersage über eine Opferrolle in der weiterführenden Schule. Eine Täterrolle hingegen enthält das zweifache Risiko."
Wenn das so weit gekommen ist: Was kann ich denn tun als Betroffener, als Opfer?
"Gar nichts! Einfach nur hoffen, dass das System gut funktioniert. Als Betroffener sind Sie ausgesprochen hilflos. Sie können machen, was Sie wollen. Alle Aktionen, die ein Opfer lostreten könnte oder Betreuer des Opfers, können, wenn das System nicht als Ganzes gegen Mobbing steht ganz leicht gegen das Opfer verwendet werden. Und deshalb ist das häufig eine richtig schwierige Angelegenheit, wenn nicht mitunter sogar eine unmögliche."

Mehr als nur "Hänselei"

Das Mittel der Wahl, sagt Schäfer, sei deshalb Prävention. Die Schulen seien in der Pflicht, ein Klima zu schaffen, in dem Mobbing konsequent geächtet werde und nicht als bloße "Hänselei" unter Gleichaltrigen missverstanden werde.
Was aber, wenn sich die Auseinandersetzung von Schulhöfen und Klassenzimmern in Räume verlagert, die sich nahezu jeder Kontrolle entziehen? Schätzungen gehen davon aus, dass 10 bis 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland Cybermobbing erleben.
Jessica Gehres, die Buchautorin, war als Schülerin auch davon betroffen. Zu einer Zeit, als den Begriff noch kaum jemand kannte. In einem sozialen Netzwerk gründen Mitschüler eine Gruppe mit dem Namen: "Wir hassen Jessica". Darin verbreiten sie Gerüchte, hetzen gemeinsam gegen ihre Mitschülerin.
"Das Schlimme an Cybermobbing im Gegensatz zu Mobbing ist, dass das einen viel größeren Kreis mit sich zieht. Wenn man in der Schule oder aber auch in der Berufswelt gemobbt wird, dann hat das einen sehr eingeschränkten Bereich, nämlich den Schulhof. Und wenn es dann ins Internet getragen wird, dann ist das natürlich viel größer, weil im Prinzip kann es da ja jeder lesen. Das ist so ungreifbar!"
Für Jessica Gehres ist es als Schülerin die Gesamtheit an Erfahrungen – online und offline – die ihr als Siebtklässlerin zeitweise sogar den Lebensmut genommen haben. Was ihre Situation damals noch schlimmer macht: Von vielen Lehrkräften wird ihr Problem nicht ansatzweise ernst genommen.
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