Forschung über Seitensprünge

Kuckuckskinder sind selten

07:30 Minuten
Ehepaar sitzt in einer Reihe mit seinen sechs Kindern am Strand.
Der Mensch ist ein monogames Wesen - oder doch nicht? © picture alliance / Sodapix AG / Monika Sandel
Von Volkart Wildermuth · 14.11.2019
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Jedes zehnte Kind sei dem Vater "untergejubelt" worden: Mit diesen Angaben warben Vaterschaftstestlabore lange für ihre Dienste. Eine aktuelle Studie ist zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen: Menschen scheinen treuer zu sein als gedacht.
Mit der Treue ist das so eine Sache. Sie wird als Ideal hochgehalten. Im Leben ergeben sich aber Versuchungen und denen wird gelegentlich auch nachgegeben. Da unterscheidet sich der Mensch kaum von anderen Arten, die in beständigen Paarbeziehungen leben, meint Hans Hofmann, Evolutionsbiologe von der Universität Texas.
"Das sieht man auch im Tierreich in fast allen Fällen, die dahingehend durchleuchtet wurden, dass – wenn man ein monogames Verhalten hat in einer Art – es nicht unbedingt exklusiv ist. Das heißt, dass sowohl das Männchen oder auch das Weibchen unter Umständen sich mit anderen Tieren, die nicht Teil des Paares sind, fortpflanzen können. Das passiert relativ regelmäßig je nach Art und je nach ökologischen Umständen öfter oder weniger oft."

Evolutions- und Ahnenforschung bringen Klarheit

Viele Vogelarten zum Beispiel leben in beständigen Paarbeziehungen und trotzdem zeigen Vaterschaftstests: Für zehn Prozent der Männchen wie auch der Weibchen lohnt es fremdzugehen – und die daraus entstandenen Kinder mitzubringen.
Nun legen nicht nur Seifenopern und hohe Literatur nahe, dass es sich bei Menschen nicht viel anders verhält. Aber wie häufig sind Kuckuckskinder wirklich?
Eine wissenschaftlich interessante Frage, die naturgemäß sozialen Sprengstoff für die betroffenen Familien birgt. Deshalb blickt Maarten Larmuseau in die Vergangenheit. Für den Evolutionsbiologen von der Universität Leuven ist das kein Problem, denn er ist Mitglied der belgischen historischen Gesellschaft, einer Gemeinschaft von Ahnenforschern.
"Das ist ein beliebtes Hobby. Ich hab das als Kind angefangen und jetzt hilft es meiner Forschung. Es ist sehr mühsam, die Archive und Kirchenbücher zu durchforsten. Da hat uns diese Art der Bürgerforschung sehr viel Arbeit abgenommen. Darauf sind wir stolz."

Stammbäume reichen zurück bis ins 14. Jahrhundert

Dank der Freizeit-Ahnenforscher aus Belgien und aus den Niederlanden konnte Maarten Larmuseau so 513 Paare von Männern identifizieren, die einen gemeinsamen männlichen Urahnen hatten – und zwar vor mindestens sieben Generationen, manche sogar schon im 14. Jahrhundert.
In den Stammbäumen fanden sich Daten zu über 6000 historischen Vätern. Die genealogischen Daten spiegeln die soziale Abstammung wieder. Um die biologische Vaterschaft bis weit in die Vergangenheit zu klären, nutze Maarten Larmuseau das Y-Chromosom, das Söhne unverändert von ihren Vätern erben und die von den Großvätern und so weiter.
"Diese Männer haben DNA-Proben abgeben und weil sie einen gemeinsamen männlichen Vorfahren hatten, sollten sie eigentlich dieselbe Variante des Y-Chromosoms besitzen. Ist das nicht so, gab es irgendwo im Stammbaum eine Vaterschaft außerhalb der Ehe. In westlichen Gesellschaften der vergangenen 500 Jahren trifft das auf rund ein Prozent der Kinder zu."

Gerade einmal ein Prozent Kuckuckskinder

Ein Prozent der Kinder haben also einen anderen als den offiziell registrierten Vater. Eine ganze Menge, aber doch sehr viel weniger als die zehn Prozent, mit denen Labore für Vaterschaftstests lange Zeit um ihre Kunden warben. Woher kommt der Mythos?
"Vaterschaftslabore finden vielleicht zehn Prozent Kuckuckskinder. Aber die werden ja auch von Vätern aufgesucht, die schon einen Verdacht haben. Insofern ist das nicht repräsentativ. Die zehn Prozent sind eine urbane Legende."
Aber auch wenn man nur von einem Prozent ausgeht, würde das für Deutschland bedeuten, dass jedes Jahr etwa 7900 Kuckuckskinder zur Welt kämen. Das ist der Durchschnitt. Doch Maarten Larmuseau fand auch interessante Abweichungen in den historischen Daten.
"Gerade im 19. Jahrhundert konnten wir zeigen: Die Häufigkeit von Vaterschaften außerhalb der Ehe in den Städten und dort in den ärmeren Schichten lag deutlich höher, bei sechs Prozent, als auf dem Land. In derselben Zeit hatte aber nur ein halbes Prozent der Kinder von Bauern einen anderen Vater."

Seitensprung oder Vergewaltigung?

Über die Gründe, warum es diese Unterschiede gibt, kann derzeit nur spekuliert werden, betonen auch die Forscher. Gab es in den dicht bevölkerten Städten zur Zeit der industriellen Revolution einfach mehr Gelegenheit für Seitensprünge? War dort die soziale Kontrolle niedriger als auf dem Land? Und welche Rolle mag es gespielt haben, dass Arbeiterinnen und Weberinnen wenig Schutz vor männlicher Aggression hatten?
"Das Problem unserer Studie ist: Wir können die Leute nicht nach dem Hintergrund der Vaterschaft außerhalb der Ehe befragen. War es ein Seitensprung oder das Ergebnis einer Vergewaltigung? Niemand kann das wissen. Deshalb ist eine interdisziplinärere Perspektive wichtig. Hier sind nicht nur Biologen gefragt, sondern auch Soziologen, Historiker, Anthropologen. Unsere Daten eröffnen aber erstmals einen Ausblick auf das sexuelle Verhalten unserer Vorfahren. Aber das ist nur ein Punkt, dem müssen jetzt weitere Untersuchungen folgen."

Eifersucht als evolutionäre Entwicklung

Immerhin weiß man: Sicherheit und Bevölkerungsdichte sind auch Faktoren mit denen Evolutionsbiologen erklären, weshalb Tierarten als Ganzes überhaupt den Weg der Monogamie wählen. Hans Hofmann:
"Zum Beispiel wenn es sehr schwierig ist, einen Paarungspartner zu finden, weil es wenige gibt, weil die Populationsdichte sehr niedrig ist oder so, dann kann es sich als günstig herausstellen, wenn man mit diesem Tier zusammenbleibt und ein Paar bildet. Denn es kann günstiger sein für die Reproduktion, es so zu machen, als dass man wieder rausgeht und praktisch von vorne anfangen muss mit der Suche."
Beim Menschen spielt vor allem die Abhängigkeit der Kinder eine große Rolle. Sie brauchen Mutter und Vater und die jeweilige Verwandtschaft noch dazu. Um deren Investitionen abzusichern, hat sich im Laufe der Evolution bei Männern wie bei Frauen das Gefühl der Liebe und der Eifersucht entwickelt.
"Deshalb gibt es bei Menschen vergleichsweise wenige Vaterschaften außerhalb der Ehe", sagt Maarten Larmuseau. Aber auch beim Menschen bleibt die Monogamie ein Ideal, das je nach den sozialen Umständen oft – aber eben nicht immer – erreicht wird.
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