Treue und Beziehung

"Frauen gehen anders fremd"

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Die Autorin Michèle Binswanger hat dem Fremdgehen von Frauen ein Buch gewidmet © imago / McPHOTO
Michèle Binswanger im Gespräch mit Julius Stucke  · 12.08.2017
Frauen gehen geschickter fremd, sagt die Schweizer Autorin Michèle Binswanger. Sie hat den weiblichen Erfahrungen nun ein Buch gewidmet und warnt vor falsch verstandener Treue und dem monogamen Beziehungsideal.
Frauen gehen anders fremd als Männer: manchmal, um aus der Beziehung auszubrechen. Manchmal, um drinzubleiben - und sie tun es oft diskreter als Männer. Es kann aus Lust und Leichtsinn geschehen, aber manchmal einfach nur, um zu sehen, ob sie überhaupt noch leben.

Zweifel am monogamen Beziehungsideal

Nach Gesprächen mit zahlreichen Frauen, Paartherapeuten und Sexulogen findet die Schweizer Autorin Michèle Binswanger, dass nicht etwa Untreue das Beziehungsleben zerstört, sondern falsch verstandene Treue. "Gemeint ist da, dass wir natürlich ein monogames Beziehungsideal haben", sagte Binswanger im Deutschlandfunk Kultur. "Das haben sehr, sehr viele Menschen, aber sehr, sehr viele Menschen scheitern auch daran." Sie gingen fremd und das führe dann zu großen Verwerfungen in der Beziehung, auch wenn die Basis eigentlich noch gut sei. Ihr Plädoyer sei, sich das eben genauer anzusehen und sich mit den Gründen für das Fremdgehen und dem Erleben mehr zu beschäftigen. Die Frage sei, ob man das alles nicht in die Beziehung einbringen könne, statt sie zu beenden.

Frauen werden seltener erwischt

"Der Hauptunterschied ist eben, dass die Frauen das eben ein bisschen geschickter anstellen, dass sie weniger dabei erwischt werden", sagte die Autorin des Buchs "Fremdgehen - Ein Handbuch für Frauen" über die Unterschiede beim Fremdgehen. Deshalb habe sie sich in ihrem Buch vor allem den Erfahrungen von Frauen gewidmet. "Man hört ihre Geschichten eigentlich viel weniger, im privaten Umfeld schon, aber eben nicht öffentlich." Deshalb habe sie mit Frauen gesprochen, die fremdgegangen seien, Expertenmeinungen eingeholt und nach Vorbildern in der Geschichte gesucht.

Michèle Binswanger ist eine Schweizer Journalistin, Autorin und Bloggerin. Sie studierte an der Universität Basel Philosophie und Germanistik.Von 2009 bis 2011 war sie als Konzepterin und Co-Autorin aktiv für den Mamablog, eine Plattform des Tages-Anzeigers. 2010 wurde Binswanger gemeinsam mit Nicole Althaus zur Journalistin des Jahres gekürt. 2012 publizierte sie zusammen mit Nicole Althaus das Buch "Machomamas: Warum Mütter im Job mehr wollen sollen". 2016 wurde sie zur "Gesellschaftsjournalistin des Jahres" gewählt.


Das Interview im Wortlaut:

Julius Stucke: Es gibt so manche Sachen, über die plaudert man weniger gerne. Mein Bauchgefühl sagt mir zumindest, fremdgehen ist eine dieser Sachen. Untreue in Beziehungen, die gibt’s immer wieder und überall, das ist klar, aber will man das als Gesprächsthema haben, drückt man das nicht lieber weg, weil es zwar passiert, aber ja, darüber reden dann doch höchstens als Betroffener, der klagt.
Aber vielleicht bin ich da auch hoffnungslos altmodisch und spießig, denn Michèle Binswanger, Journalistin und Autorin aus der Schweiz, redet nicht nur drüber, sie legt es quasi nahe, zumindest wenn ich den Titel ihres Buches richtig verstehe, der heißt "Fremdgehen – Ein Handbuch für Frauen", das sich, so steht es drauf, auch an Frauen richtet, die fremdgehen wollen. Hallo Frau Binswanger!
Michèle Binswanger: Guten Tag!
Stucke: "Falsch verstandene Treue", schreiben Sie, "zerstört Beziehungen und nicht Untreue". Das klingt für mich jetzt ja fast so, als müsse man für die Beziehung fremdgehen.
Binswanger: Nein, das ist natürlich zugespitzt, das mit der falsch verstandenen Treue. Gemeint ist da, dass wir natürlich ein monogames Beziehungsideal haben, das haben sehr, sehr viele Menschen, aber sehr, sehr viele Menschen scheitern auch daran, gehen eben fremd, und das führt dann zu wahnsinnigen Verwerfungen in der Beziehung, auch wenn die Basis eigentlich noch gut wäre. Mein Plädoyer ist, dass man eben das genauer anschaut, warum gehen denn die Menschen fremd, was erleben sie dabei, was suchen sie dabei, und gibt es nicht eine Art und Weise, dass in ihre Beziehung eben einzubringen, dass das nicht unbedingt immer das Ende der Beziehung bedeuten muss.

Fälle in der Geschichte

Stucke: Nun ist Ihr Buch ein Handbuch explizit für Frauen. Gehen Frauen denn anders fremd?
Binswanger: Ja, ich habe für mein Buch mit Psychologen und Paartherapeuten gesprochen, und der Hauptunterschied ist eben, dass die Frauen das ein bisschen geschickter anstellen, dass sie weniger dabei erwischt werden. Das ist auch einer der Gründe, warum ich dachte, ich schreibe jetzt mal ein Buch über die Erfahrung von Frauen, weil man liest ja sehr viel von Männern, die sich bei einem Seitensprung und so weiter erwischen lassen. Frauen tun das auch, aber eben, man hört ihre Geschichten eigentlich viel weniger – im privaten Umfeld schon, aber eben nicht so öffentlich.
So habe ich mit Frauen gesprochen, die fremdgegangen sind. Ich hab nach Fällen gesucht von fremdgehenden Frauen in der Geschichte, es gab doch einige, sie sind vielleicht nicht so bekannt, aber wenn man das liest, dann kommt einem das eben schon auch von der Erfahrung her ein bisschen bekannt vor, und man sieht, das ist jetzt nicht so ein modernes Ding, sondern das gab's immer schon, und Frauen sind auch immer schon fremdgegangen.
Stucke: Frauen sind dabei geschickter, haben Sie gesagt – klingt für mich ein bisschen nach einem Klischee, aber Sie sagen, Sie haben das bestätigt gefunden für Ihr Buch. Wie sieht's denn mit einer anderen Schablone aus, die man im Kopf hat, dass man sagt, wenn Frauen aber erwischt werden, dann ist man ihnen gegenüber im Urteil viel härter, als man es bei fremdgehenden Männern ist.
Binswanger: Ja, das war lange sicher so, also Frauen haben immer mehr riskiert, weil sie natürlich auch abhängig waren von ihren Männern. Ich glaube, dass die Gesellschaft eigentlich sich eher dazu entwickelt hat, nicht dass man die Frauen jetzt strenger, noch strenger beurteilt, sondern dass die Männer inzwischen auch ziemlich streng beurteilt werden in diesem Verhalten. Also, die Gesellschaft ist da sehr moralisch geworden, und es ist inzwischen auch bei den Männern nicht mehr nur so gentlemanlike.
Bei Frauen zeigt sich das aber auch – das haben mir die Fremdgeherinnen erzählt –, dass die auch bei anderen Frauen wenig auf Verständnis stoßen. Ich denke, das ist auch ein Unterschied bei den Männern, die können sich da so auch anvertrauen und man hat eben ein Verständnis, dass so was passieren kann. Bei den Frauen hab ich gehört, dass das moralische Urteil auch von Freundinnen manchmal sehr harsch ausfällt und dass man da sehr wenig Verständnis aufbringt für diese Schwäche und dieses Scheitern, das es ja oft bedeutet.

Mysterium weiblicher Sexualität

Stucke: Hatten Sie bei Ihrer Arbeit eigentlich so ein bisschen die Angst vielleicht, in so Fallen zu tappen, wenn Sie die Frauen und die Männer sich anschauen, weil was ist in dem Fall das Verhalten der Frau, die fremdgeht, oder das Verhalten des Mannes, das kann man doch alles vermutlich nicht verallgemeinern, oder?
Binswanger: Genau. Es ist natürlich immer ein Risiko, wenn man von den Frauen spricht und von den Männern, weil es ist ja klar, die individuellen Unterschiede sind groß, es gibt da immer in Spektrum. Trotzdem würde ich behaupten, dass es Unterschiede gibt zwischen dem weiblichen und dem männlichen Verhalten, auch natürlich gerade in der Sexualität. Das war auch ein Thema, das mir sehr wichtig war, dass eben die weibliche Sexualität auch noch so ein Mysterium ist, weitgehend unverstanden ist.
Das sieht man auch, wenn man mit Sexologinnen spricht, wenn man die entsprechenden Studien sich anschaut – da gibt es noch sehr viele Unbekannte, warum Frauen so und so in ihrer Sexualität funktionieren. Es ist natürlich auch ein anderer biografischer Verlauf, kann man sagen, dass viele Frauen erst länger brauchen überhaupt, um ihre Sexualität zu entdecken, zu entdecken, wie sie sie leben wollen und so weiter. Darum glaube ich, akzentuiert sich das Thema eben auch oft bei Frauen dann so ab Mitte 30, wenn sie in einer Familie stecken und unzufrieden sind vielleicht in der Beziehung und eben merken, doch, ich hab auch sexuelle Bedürfnisse, wie kann ich die jetzt ausleben.
Stucke: Und wozu brauchen Frauen dazu ein Handbuch?
Binswanger: Ja, es ist halt ein Lesehandbuch, es ist nicht so zu verstehen jetzt, das ist eine Anleitung, wie man das macht, sondern es ist wirklich ein Handbuch. Ich reise da durch die verschiedenen Felder. Ich überlege mir, wie hat sich das Fremdgehen … was hat das heute für eine Bedeutung. Es gibt heute viel mehr Möglichkeiten, als es früher gab, gerade für Frauen, also kann man auch davon ausgehen, dass das Verhalten sicher zunehmen wird.
Und dann wollte ich einfach auch die Geschichten von diesen Frauen erzählen, auch die Geschichten eben von den historischen Figuren und so weiter. Und das ist also durchaus auch so gemeint, dieses Buch, dass Leute, die solche Erfahrungen gemacht haben, darin herumlesen können und sehen, ja, wir sind da nicht alleine und das ist ein Phänomen, das sich in der Geschichte schon niedergeschlagen hat.
Stucke: "Fremdgehen – Ein Handbuch für Frauen", Michèle Binswanger, Journalistin und Autorin aus der Schweiz, hat es geschrieben. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Bisnwanger!
/Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.//

Michèle Binswanger, Fremdgehen – Ein Handbuch für Frauen, Ullstein Verlag 2017, 14,99 Euro.

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