Forscher zu Streitkultur in der Politik

"Dass es auch mal persönlich wird, finde ich in Ordnung"

Eine Nachrichtensendung im Fernsehen zeigt einen Bericht über US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Machthaber Kim
Eine Nachrichtensendung im Fernsehen zeigt einen Bericht über US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Machthaber Kim, die nicht nur verbal gegeneinander aufrüsten. © AFP / Jung Qeon-Je
Thomas Niehr im Gespräch mit André Hatting · 23.09.2017
"Dementer US-Greis" vs. "Rocket-Men": Der verbale Schlagabtausch zwischen den Staatschefs der USA und Nordkoreas spitzt sich zu. Wenn Politiker reden, sei Höflichkeit nicht unbedingt das Maß aller Dinge, sagt Sprachwissenschaftler Thomas Niehr. Es gebe aber Grenzen.
Einspieler: Collage aus Beschimpfungen
André Hatting: Ein Gebot der Höflichkeit – aber wer hält sich noch daran? "Beschimpfungsolympiade" hat der grüne Europapolitiker Reinhard Bütikofer das genannt, was wir gerade erleben, vor allem zwischen Politikern. Das gerade waren nur ein paar Beispiele, die hätten Sie auch verlängert haben können. Thomas Niehr ist Professor für Sprachwissenschaft an der RWTH Aachen, also der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule. Außerdem ist Niehr Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sprache in der Politik. Guten Morgen, Herr Niehr!
Thomas Niehr: Schönen guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Der verbale Schlagabtausch in der UN-Vollversammlung, zwischen dem US-Präsidenten und Nordkoreas Staatschef, das war der Höhepunkt in dieser Woche. "Völlige Zerstörung Nordkoreas", das hat Trump gesagt, "seniler verrückter Greis", das wiederum war die Replik aus Nordkorea. Herr Niehr, wie ist das gerade mit dem Gebot der Höflichkeit in der Politik?
Niehr: Die Beispiele, die Sie nennen, da kann man von Höflichkeit sicherlich nicht mehr sprechen, und das ist, so weit ich sehe, auf internationaler Bühne auch eine neue Qualität. Und dass das gefährlich ist, muss ich wohl nicht weiter betonen. Wenn wir jetzt hier in die Bundesrepublik Deutschland schauen, da hatten Sie auch ein bisschen was eingeblendet – ja, einerseits kann man sich nicht beklagen, dass der Wahlkampf so langweilig ist, wie ich immer lese, und dann andererseits sich beschweren, dass es mal ein bisschen zur Sache geht. Also, Streit gehört schon auch dazu, denke ich. Es ist natürlich die Frage, wie und in welcher Form er ausgetragen wird.

"Auseinandersetzung sollte eigentlich um die Sache gehen"

Hatting: Das würde ich jetzt gern von Ihnen wissen: Wo ist es noch der Schlagabtausch, der Streit, aus dem noch Respekt spricht, und wo wird diese Grenze überschritten?
Niehr: Ich denke, die Grenze wird da überschritten, wenn wirklich Personen abqualifiziert werden, also wenn es überhaupt nicht mehr um die Sache geht, sondern der andere nur noch geschmäht wird, in seiner Person herabgewürdigt wird. Dann hat das ja nicht mehr viel mit politischer Auseinandersetzung zu tun, die ja eigentlich um die Sache gehen sollte oder zumindest auch um die Sache gehen sollte. Dass es auch mal persönlich wird, finde ich vollkommen in Ordnung. Nur, wie gesagt, wenn die persönliche Beleidigung im Vordergrund steht, dann wird es natürlich problematisch.
Hatting: Ist es eigentlich möglich für Sie als Sprachwissenschaftler, da klar Eskalationsstufen in der Kommunikation zu unterscheiden?
Niehr: Man kann, glaube ich, da nicht klare Grenzen ziehen. Das hängt ja auch ein bisschen immer von den persönlichen Temperamenten der Kontrahenten ab, es hängt immer von der Situation auch ab. Da kann man meines Erachtens nicht klar sagen, hier hört die politische Auseinandersetzung auf und da fängt die Beleidigung an. Die Grenzen sind da so klar nicht zu ziehen. Aber wir können Grenzen ziehen zwischen verschiedenen Gruppen, das denke ich schon. Gerade die Extremen versuchen ja, mit Provokationen dann auch immer wieder in die Medien zu kommen.
Hatting: Gibt es einen Umschlagpunkt, wo aus der verbalen Aggression eine reale wird? Kann man das feststellen?
Niehr: Den kann man sicherlich feststellen, wenn dann wirklich die Waffen irgendwann sprechen. Aber man kann, glaube ich, das im Vorhinein leider nicht sagen. Man kann jetzt nicht sagen – also ich würde mir das nicht zutrauen, allein aus den Beschimpfungen, die da von den USA nach Korea und zurück kommen, zu entscheiden, wann da jetzt wirklich etwas passiert. Das funktioniert so leider nicht.
Hatting: Wir haben vorhin in unserer kleinen Collage auch die alten Erzfeinde Herbert Wehner, SPD, und Franz-Josef Strauß, CSU, gehört. Die konnten auch ganz schön austeilen. Würden Sie da trotzdem sagen, das war immer noch von Respekt geprägt?

"Wir sind insgesamt politisch korrekter geworden"

Niehr: Ja, ich finde das relativ schwierig. Ich glaube, so wie in den 60er-, 70er-Jahren teilweise gesprochen wurde, das hätte ich zumindest noch bis vor wenigen Jahren gesagt, so kann man in der Politik heute nicht mehr sprechen. Wir sind schon insgesamt politisch korrekter geworden. Das hat so lange gegolten, bis die AfD die Bühne betreten hat und Pegida die Bühne betreten hat. Das hat dann wieder eine neue Qualität. Und da ist es dann doch wieder – ja, wie soll man sagen? – teilweise oder zu großen Teilen auch in die persönliche Herabwürdigung abgeglitten.
Hatting: Sie haben die AfD angesprochen. Der FDP-Politiker Kubicki beobachtet in dem Zusammenhang eine Verrohung der Sprache. Würden Sie das auch so bezeichnen?
Niehr: Dem würde ich zustimmen, zumindest, was die AfD angeht. Und ich glaube, die Taktik, die dahintersteckt, ist einfach, mit solchen gezielten Provokationen immer wieder die Agenda zu bestimmen. Kommunikationswissenschaftler sprechen da auch von Agenda-Setting. Das heißt, durch solche Provokationen weiß man, man wird wieder Schlagzeilen provozieren, und dann hat man wieder die Öffentlichkeit.
Hatting: Und dann geht man wieder zwei Schritte zurück?
Niehr: Dann geht man wieder zwei Schritte zurück und sagt beispielsweise, dabei habe man sich nichts gedacht oder das sei nicht absichtlich passiert. Aber es funktioniert erstaunlich gut immer wieder. Und die Medien sind da ja auch in einer undankbaren Rolle. Einerseits sollen sie informieren und andererseits bereiten sie solchen Leuten immer wieder eine schöne öffentliche Bühne.
Hatting: Wie kommen wir da wieder raus? Oder werden wir uns daran gewöhnen müssen, so lange, wie die AfD hier in Deutschland eine Rolle spielt?
Niehr: Ich habe ehrlich gesagt kein Patentrezept, wie man da wieder rauskommt, denn einerseits sollen Sie ja informieren, möglichst vollständig. Vielleicht ist das Rezept, zusätzlich das zu tun, was Journalisten nun wirklich, was ihre Kernkompetenz ist, Stichwort Faktencheck. Also da auch noch mal jeweils nachzuhaken und zu schauen, wie ist es gelaufen. Und vielleicht, so schwierig das ist, nicht über jedes Stöckchen zu springen, das diese Gruppierungen Ihnen hinhalten.
Hatting: Thomas Niehr, Professor für Sprachwissenschaft an der RWTH Aachen. Ich danke Ihnen und wünsche noch einen schönen Tag!
Niehr: Sehr gern, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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