Folgen von Trumps Visa-Politik

"Familientreffen nicht gestattet"

06:23 Minuten
Der iranische Musiker Siavash Sabetrohani spielt Geige.
Der iranische Musiker Siavash Sabetrohani ist Opfer der neuen US-Visa-Politik. © Siavash Sabetrohani
Von Jochen Stöckmann · 11.08.2019
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Siavash Sabetrohani ist gestrandet. Der iranische Musikwissenschaftler aus Chicago ist zu Studienzwecken in Berlin. Nun wird ihm die Rückreise verwehrt. Kein Einzelfall: Die Visa-Politik der Trump-Regierung lässt die Wissenschaftslandschaft der USA veröden.
"Im Jahr 2014 war ich noch ein Student in Amsterdam und habe mich mit meinem jetzigen Doktorvater in Belgien getroffen. Dabei habe ich mich entschlossen, in die USA zu gehen, nach Chicago vor allem, weil ich mit diesem Professor arbeiten möchte", sagt Siavash Sabetrohani.
Er ist nicht nur ein Musikwissenschaftler mit Bachelorprüfung in den Niederlanden, sondern auch ausgebildeter Konzertgeiger - für die Universität in Chicago also eine Bereicherung. Aber er kommt aus dem Iran und allein das ist für die US-Regierung Grund genug, dem derzeit in Berlin gestrandeten Barockforscher die Rückreise in die USA zu verwehren.
"Ich weiß nicht, was für eine Gefahr ein Musiker oder ein Musikwissenschaftler für die US-amerikanische Gemeinschaft sein soll", sagt Siavash Sabetrohani.

Die Behörden spielen auf Zeit

Diese Frage hatte sich auch der Supreme Court, das oberste US-Gericht, gestellt, und der pauschalen Zurückweisung ganzer Nationalitäten durch das restriktive Grenzregime Donald Trumps einen Riegel vorgeschoben. Seither spielen die Behörden auf Zeit:
Als Sabetrohani in Amsterdam sein Visum erneuern wollte, wurde ihm die noch einige Monate gültige Einreisegenehmigung entzogen, eine im Mai in Chicago geplante Konzertreihe musste er absagen. Und seitdem wartet er: "Das Problem ist, dass ich keine Absage bekommen habe", berichtet Siavash Sabetrohani.

Provinzialisierung von Wissenschaft und Kultur

Wie Hunderte anderer Wissenschaftler auch bekommt Sabetrohani immer wieder die Auskunft: "further investigation" – die Behörden müssten noch weiter "ermitteln". Nicht nur für seinen Professor Thomas Christensen in Chicago ist diese Hinhaltetaktik Ausdruck eines "rotten state", die gesamte Universität hat Partei ergriffen für ihre Wissenschaftler:
"Sie haben Kontakt aufgenommen mit dem Senator von Illinois. Er hat auch mehrmals an die Konsulate geschrieben. Jeder ist frustriert, dass sie auch nichts tun können", sagt Siavash Sabetrohani.
Die Trump-Administration, also die politische Führung, entzieht sich einer sachlichen und am Ende auch der gerichtlichen Auseinandersetzung über die Hintertreppe: Mit der klammheimlichen Visa-Verweigerung betreibt Washington darüber hinaus eine Provinzialisierung, eine Verödung von Wissenschaft und Kultur.

Globalisierung à la Trump

"Als Iraner, der in Europa wohnt und jetzt in den USA über deutsche Musik im 18. Jahrhundert studiert – ja, ich glaube, man kann hier von Globalisierung reden", sagt Sabetrohani.
"Globalisierung" à la Donald Trump dagegen bedeutet, dass Sabetrohanis Apartment in Chicago seit Monaten leer steht, aber Miete gezahlt werden muss. Und dass ihm neben Unterlagen und Ergebnissen seiner Forschung auch Arbeitsmittel als Konzertmusiker vorenthalten werden: "Meine moderne Geige ist in Berlin, meine Barockgeige liegt noch in Chicago und ich suche jemanden, der mein Instrument mitbringen kann."
Auch wenn der Musikwissenschaftler derzeit in Berlin kurzfristig mit einem DAAD-Stipendium halbwegs gesichert seine Forschungen weiterbetreiben kann, so möchte Sabetrohani doch auch als Konzertgeiger seiner eigentlichen Heimat nicht untreu werden: "Ich persönlich mag die Musik der Barockzeit. Ich fühle mich ganz zuhause in dieser Kultur und in einem Barockpalast oder Kirche."

Persische Musiktheorie im Westen relativ unbekannt

Aber auch persische Musiktheorie und -tradition, etwa die Geschichte des Lauteninstruments Oud, hat Sabetrohani in Chicago zum Thema von Vorlesungen und Konzerten gemacht. Die Bücher hatte er bei der Einreise aus dem Iran im Gepäck und brachte sie problemlos durch die damals schon recht strenge Grenzkontrolle: in fremder Sprache, mit geheimnisvollen Schriftzeichen.
"Weil so viele Traktate, arabische oder auch persische, nicht so bekannt sind in westlichen Ländern. Ich hatte die Gelegenheit, ein paar Bücher mit aus dem Iran nach Chicago zu bringen – und es war ein sehr interessantes Projekt."

Seine Eltern dürfen nicht mehr in die USA einreisen

Einiges davon hätte der Wissenschaftler auch seinen iranischen Eltern präsentiert, die aber nicht mehr einreisen durften, allein der Herkunft wegen. Andererseits wagt kein Iraner in den USA die – wenn auch nur kurze – Reise in die Heimat, weil er bei der Rückkehr um sein Visum fürchten muss. Aber:
"Es gibt eine Bibliothek zwischen den USA und Kanada, wo man eigentlich ohne Visum die Familien zusammenbringen kann. Also: Es sind Familien, die aus dem Iran nach Kanada reisen und die Kinder nach Vermont an die Grenze. Und es gibt diese kleine Bibliothek, sonst wäre es unmöglich", sagt Sabetrohani.

Schlupfloch Haskell Free Library and Opera House

Diese wundersame Ausnahme heißt Haskell Free Library and Opera House. Es ist eine 1904 gegründete Stiftung, deren Gebäude sich quer über die Grenze erstreckt: hüben, in den USA, eine Bibliothek, drüben, in Kanada, ein Opernhaus. Und dazwischen, als Demarkationslinie, nur ein dicker schwarzer Strich.
Niemand hatte sich daran gestört, dass iranische Eltern durch die kanadische Tür kamen und zwischen den Bücherregalen Sohn oder Tochter begegneten, die durch die amerikanische Tür eingetreten waren. Seit einigen Monaten aber sind auf Druck der US-Regierung Verbotsschilder angebracht: "Familientreffen nicht gestattet".
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