Fluthilfe

Das lange Warten auf die Hochwasserspenden

09:56 Minuten
Elena steht vor ihrem Haus in Bad Neuenahr das von der Flut zerstört wurde, 25. August 2021.
Flutopfer in Bad Neuenahr: Die Hilfe kommt nicht so schnell wie erhofft. © AFP / Ina Fassbender
Von Vivien Leue · 09.09.2021
Audio herunterladen
Nach der Flut im Westen und Südwesten Deutschlands gingen mehr als 430 Millionen Euro Spenden ein. Bei den Menschen ist davon offenbar noch wenig angekommen. Erst müssten die Versicherungen ran, heißt es. Einige organisieren Hilfe weiter privat.
Bei Spendengalas etwa von ARD und Sat.1, bei Benefizveranstaltungen oder durch Aufrufe in den Tageszeitungen und Lokalradios, sind in den Wochen nach der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Hunderte Millionen Euro zusammengekommen. Nach ARD-Recherchen sind es insgesamt mehr als 430 Millionen.

Viele fühlen sich in Stich gelassen

Spricht man mit Betroffenen in den Flutgebieten, wie Petra Großmann aus Kirspenich bei Bad Münstereifel, fühlen sich viele allerdings im Stich gelassen. Spendengelder? Seien bei ihnen nicht angekommen, so die überwiegende Antwort: "Ich habe mal gehört, die verteilen das sowieso nicht als Bargeld und wenn, dann nur an die Hilfsorganisationen", berichtet Petra Großmann.
Seit der Hochwasserkatastrophe Mitte Juli stehen Tausende Menschen vor den Trümmern ihrer Existenz. Die Bilder der zerstörten Dörfer sind um die Welt gegangen, die Hilfsbereitschaft war – vor allem in den ersten Wochen nach der Flut – überwältigend. Nun aber sind viele Häuser vom Schutt befreit, jetzt braucht es professionelle Hilfe, Bautrockner, Baumaterialien, Gutachter – und die kosten.
Auch Andrea Berkmüller und ihr neunjähriger Sohn aus Bad Münstereifel fragen sich, wie sie das finanzieren können. Manfred Kern aus Weilerswist kennt Nachbarn, die sich keine Handwerker leisten können und bisher auch keine Hilfe bekamen: "Hier sind Familien, die nicht versichert sind, die haben den Estrich drin gelassen", sagt er. "Die gehen auf volles Risiko. Weil sie sagen: Wir können das nicht bezahlen, wir können den Estrich jetzt nicht raus machen."
Vor allem zwei große Hilfsbündnisse haben Spenden eingesammelt: Das "Aktionsbündnis Katastrophenhilfe", das unter anderem mit der Caritas, der Diakonie und dem Deutschen Roten Kreuz zusammenarbeitet, und die "Aktion Deutschland hilft". Hier sind unter anderem der Arbeitersamariterbund, die Arbeiterwohlfahrt, die Johanniter und Malteser dabei.
Birte Steigert, Sprecherin der "Aktion Deutschland hilft", sagt, sie erreichten aktuell viele Fragen nach den Spendengeldern. Immerhin rund 230 Millionen Euro hat ihr Bündnis bisher erhalten: "Die Spendengelder werden dafür verwendet, die Hilfsorganisationen im Bündnis bei den Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen nach dem Hochwasser zu unterstützen."

Bautrockner und Notstromaggregate

Die Maßnahmen gliederten sich in drei Phasen: "Das war und ist immer noch die akute Not- und Soforthilfe. Das war ganz zu Beginn Rettung, Bergung, die Versorgung mit Lebensmitteln und Trinkwasser zum Beispiel in Notunterkünften, aber auch die Auszahlung von finanziellen Soforthilfen."
Aktuell laufe die zweite Phase an, in der es um erste Instandsetzungen und die Verteilung von Bautrocknern oder Notstromaggregaten gehe. Erst dann komme die wohl größte – und teuerste – Aufgabe: der Wiederaufbau.
Wer bis dahin dringend Geld brauche, erhalte finanzielle Soforthilfen, erklärt Ingo Radtke, der Fluthilfekoordinator der Malteser.
"In ausgewählten Orten nehmen wir Kontakt auf, in der Regel mit den Ortsvorstehern oder Ortsbürgermeistern. Die sagen uns, welche Leute betroffen sind." Die bekämen dann ein Angebot. "Das Angebot, das wir als eine Organisation, die bei der 'Aktion Deutschland hilft' dabei ist, machen, sind 2500 Euro pro Haushalt ohne Nachweispflicht. Die Leute müssen uns bestätigen, dass sie einen Schaden haben, der über 5000 Euro ist, und sie müssen uns ihre Kontonummer angeben."
Freiwillige organisieren Hilfe in einem Laden für die Flutopfer in Dernau. Auf dem Schild über den Köpfen steht auf einem selbstgemalten Schild: Tante Emma Laden. 19. August 2021.
Privat organisierte Hilfe für die Flutopfer - hier in Dernau.© AFP / Ina Fassbender
In etwa 15 Orten in Nordrhein-Westfalen und noch einmal so vielen in Rheinland-Pfalz seien die Malteser bisher mit ihrem Soforthilfe-Angebot gewesen. Auch andere Organisationen geben diese Hilfen aus, zum Beispiel die Arbeiterwohlfahrt.
Familie Kern aus Weilerswist hat die Unterstützung erhalten. Auf solche Hilfen, sagen sie, seien sie zum Teil über Facebook-Gruppen aus der Nachbarschaft aufmerksam geworden. Auch die Mund-zu-Mund-Propaganda auf der Straße funktioniere manchmal. Aber sie wüssten von einigen, an denen diese Hilfsangebote bisher vorbeigegangen seien.

Das Spendenlager ist privat organisiert

Maria Zibell kennt solche Familien auch. Sie lebt im Bad Münstereifeler Stadtteil Eicherscheid und hat dort in einer ehemaligen Gaststätte ein Spendenlager aufgebaut.
"Die Leute, die hier wirklich alles verloren haben, sind dankbar, dass sie es sich hier kostenlos holen können. Wir haben im Dorf nun mal sehr viele, die keine Elementarversicherung haben, die also vor dem Nichts stehen", erzählt sie Ende Juli, zwei Wochen nach der Flut. "Das ist das größte Problem für die Leute momentan. Weil die nichts wissen, im Unklaren gelassen werden."
Jetzt, acht Wochen nach der Katastrophe, sei die Situation quasi unverändert, berichtet Maria Zibell am Telefon: "Wir haben immer noch Leute ohne sanitäre Einrichtungen, die bei den Nachbarn auf Toilette gehen und die im Winter keine Heizung haben werden."
Größere Unterstützung von Hilfsorganisationen habe sie bisher nicht erhalten. Stattdessen seien es vor allem Einzelspender, die ihr Lager in Eicherscheid füllen: "Wir sind komplett privat organisiert. Meine Aufgabe ist es, die Firmen anzurufen. Ich bin im Mittelstand, im Arbeitgeberverband ein bisschen unterwegs und hole alte Bekannte ans Telefon und bettele einfach."
Das funktioniere ganz gut. Etliche Waschmaschinen, Werkzeuge, Baumaterialien oder auch feste Schuhe mit Stahlkappen habe sie so einwerben können. Aber was ist mit den Spenden-Millionen?
"Die Malteser hatten vor fünf Wochen versprochen, Geld zweckgebunden zu überweisen. Das Geld – es ist beantragt, aber wir warten seit Wochen darauf. Wir haben dann erst mal privat vorgestreckt, aber es ist noch nichts geflossen."
Rückfrage bei Ingo Radtke von den Maltesern. Mehr als zehn Millionen Euro hätten sie bisher für Hilfen bereitgestellt, sagt er: "Es ist schon ein ganz schöner Brocken. Und wir sind auch noch weiter dabei, die Region ist so groß."

Zuerst müssen die Versicherungen zahlen

Manches dauere einfach länger, weil eben so viele Orte und Menschen betroffen sind. Außerdem seien Absprachen mit anderen Organisationen nötig, auch das koste Zeit: "Wir wollen ja nicht an der einen Stelle doppelt und dreifach zahlen, auf der anderen Seite irgendwo Leute überhaupt nicht bedacht wissen. Da stimmen wir uns mit anderen Organisationen sehr eng ab."
Er wisse, dass viele Menschen nun auf Gelder warten – bestenfalls auf größere finanzielle Hilfen, mit denen sie die ersten Arbeiten im Haus bezahlen könnten. Hier müssten die Betroffenen aber einfach noch Geduld haben, denn zuerst seien die Versicherungen in der Pflicht, zu zahlen – sofern die Hauseigentümer versichert waren. Wenn nicht, komme der Wiederaufbaufonds von Bund und Ländern ins Spiel. Aus ihm sollen 80 Prozent der Schadenssumme beglichen werden.
"Wenn das geklärt ist, dann kommen wir wiederum als Hilfsorganisation in Frage. Denn wir als Malteser, aber da sind wir nicht alleine, gehen dann hin und sagen, dass die Menschen bei uns – wenn sie bedürftig sind – noch die restliche Schadenssumme beantragen können. "

Von Spenden werden auch Psychologen finanziert

Die akuten – finanziellen – Bedürfnisse und Wünsche der Flutbetroffenen und die auf Langfristigkeit ausgelegten Planungen der Hilfsorganisationen gehen hier offenbar aktuell auseinander. Manche Hilfsangebote werden von den Betroffenen vielleicht auch gar nicht als solche erkannt. So erzählt Petra Großmann aus Kirspenich von einem Team von Psychologen, die neulich an der Tür klingelten.
Ingo Radtke erklärt: "Was jetzt angeboten wird zunehmend, ist die psychosoziale Unterstützung zur Verarbeitung der Traumata." Auch diese Teams würden von Spendengeldern bezahlt.
Maria Zibell aus Eicherscheid wünscht sich allerdings, dass sie nicht nur tageweise an den Türen klingeln. Sie brauche sie hier dauerhaft: "Wir haben stundenweise Teams gehabt, die hier waren, die durchs Dorf gezogen sind. Aber das dauert natürlich, bis sich eine Familie öffnet, dass sich Kinder öffnen. Wir haben Kinder, die nicht mehr duschen wollen, weil sie Angst haben."
Bedürfnisse und Angebote gehen auch hier offenbar aktuell noch auseinander. Allerdings: Kaum eine Unwetterkatastrophe hat in Deutschland je ein so großes Gebiet betroffen. Bisherige Hochwasser oder Stürme waren lokal begrenzt. Das stellt viele Hilfsorganisationen vor große Herausforderungen. Ingo Radtke von den Maltesern aber verspricht: "Wir bleiben so lange, wie die Menschen uns dann brauchen." Er rechnet mit einem Einsatz von mehreren Jahren.
Mehr zum Thema