Flüchtlingsunterbringung

"Maximal 50 Personen pro Sammelunterkunft"

Ein Flüchtlingskind in Eisenhüttenstadt (2011)
Ein Flüchtlingskind in Eisenhüttenstadt (2011) © dpa / picture-alliance / Patrick Pleul
28.02.2015
Die Bundesländer erwarten in diesem Jahr über 300.000 Flüchtlinge. Für ihre menschenwürdige Unterbringung ist der Staat "in der Pflicht", sagt Ariane Böttcher von der brandenburgischen Liga der freien Wohlfahrtsverbände.
Angesichts der wachsenden Zahl von Flüchtlingen dringt die Vorsitzende der Liga der brandenburgischen Wohlfahrtsverbände und Geschäftsführerin des AWO-Landesverbandes, Anne Böttcher, auf menschenwürdige Unterbringung. "Dort, wo es tatsächlich nicht möglich ist, die Menschen in Wohnungen unterzubringen, (...) fordern wir, dass die Gemeinschaftsunterkünfte nicht größer als für 50 Personen sind", sagte Böttcher am Samstag im Deutschlandradio Kultur. Auf dem gestrigen zweiten Asylgipfel in Brandenburg beriet die rot-rote Landesregierung die Situation unter anderem mit Vertretern von Wohlfahrts- und Flüchtlingsverbänden.
Mindeststandards für menschenwürdige Unterbringung
Zu den geforderten Mindeststandards zähle auch, dass die Flüchtlinge in den Unterkünften mit einer angemessenen Zahl von Sozialarbeitern und Sozialpädagogen betreut werden müssten, so Böttcher. Generell seien in der Unterbringungspolitik in Brandenburg aber nicht Sammelunterkünfte, sondern Wohnungen das Mittel der Wahl, "sodass die Flüchtlinge tatsächlich auch mit Privatsphäre, mit sozialer Begleitung und Betreuung integriert werden. Egal ob im Speckgürtel um Berlin oder in der Fläche des Landes". Man müsse nun sehen, ob dies wirklich in die Tat umgesetzt werde, so die Vorsitzende der LIGA der Wohlfahrtspflege in Brandenburg und Geschäftsführerin des AWO-Landesverbandes.
Zuständig ist zuallererst der Staat
In der Diskussion um fehlenden Wohnraum für Flüchtlinge kritisierte Böttcher, dass Kommunen in Brandenburg bereits im Herbst den Landkreisen Wohnraum angeboten hätten, ohne dass dies abgefragt worden sei. Zur Forderung des saarländischen Innenministers Klaus Bouillon (CDU), der die Kirchen bei der Schaffung von Wohnraum stärker in der Pflicht sieht, warnte die AWO-Geschäftsführerin davor, Verantwortlichkeiten abzuschieben. Die menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen sei zuallererst "Aufgabe des Staates", betonte Böttcher. "Und da entledige ich mich nicht meines eigenen Problems mit dem Hinweis, "dass vielleicht jemand mehr Geld in der Tasche hat."
Kirchenasylkompromiss sollte die Hürden für Flüchtlinge nicht noch erhöhen
Zur Einigung im Streit um das Kirchenasyl, nach der künftig jeder Fall von Kirchenasyl nicht wie bisher nur auf lokaler Ebene behandelt werden soll, sondern auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Kirchenleitungen damit befasst werden sollen, sagte Böttcher: "Ich warne davor, jetzt die Hürden von Verwaltung und Administration in solchen Fällen so hoch zu hängen. (...) Damit tun wir den Menschen hier keinen Gefallen."
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Das Interview im Wortlaut:
Miriam Rossius: Vielleicht war es ja so etwas wie die Zahl der Woche, aber ohne Grund zum Jubeln, weil es ein trauriger Rekord ist: 57 Millionen, das ist die Zahl der Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, so viele wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Das vermeldete Amnesty International am Mittwoch. 9.200 Flüchtlinge sind da sehr, sehr wenig im Vergleich, und doch ein großes Problem im Land Brandenburg, wo sie nämlich Schutz finden sollen. Wie man damit umgeht, das war Thema beim Asylgipfel der rot-roten Regierung gestern, und mit dabei war Anne Böttcher von der Arbeiterwohlfahrt. Sie ist Geschäftsführerin des Landesverbandes Brandenburg und auch Vorsitzende der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Brandenburg. Ich grüße Sie, Frau Böttcher!
Anne Böttcher: Schönen guten Tag!
Rossius: Das war gestern der zweite Asylgipfel in Potsdam. Zum ersten waren soziale Träger gar nicht eingeladen. Fühlten Sie sich denn gestern wenigstens ernst genommen mit Ihrem Anliegen? War das ein Austausch auf Augenhöhe?
Böttcher: Zunächst mal muss man sagen, dass wir als Wohlfahrtsverbände mit sehr, sehr hohen Erwartungen in dieses Treffen gegangen sind. Ich kann als Fazit zunächst einmal sagen, wir haben gestern an dem Tag, beim zweiten Asylgipfel, alle miteinander sehr, sehr viel gelernt, und nach der Pressekonferenz, die es hinterher gegeben hat, kann ich das wirklich auch für alle Beteiligten sagen, sowohl für die Vertreter der Landesregierung, den Ministerpräsidenten und die Sozialministerin als auch für die Landtagspräsidentin und die Vertreter der Nichtregierungsorganisationen. Dieses Fazit haben alle gezogen. Und jetzt geht es eben darum, das, was wir gestern gelernt haben voneinander, das, was wir gehört haben, jetzt auch wirklich in die Tat umzusetzen und ins Arbeiten zu kommen.
Rossius: Ja, wie beurteilen Sie denn den Wert dieses Treffens auf längere Sicht?
Böttcher: Wir hoffen sehr, dass sich ein Stück weit auch das Bewusstsein verändert hat und auch noch in den nächsten Wochen und Monaten verändern wird. Wir haben in Brandenburg die Situation, dass nach der gesetzlichen Regelung im Landesaufnahmegesetz die Kommunen, sprich die 14 Landkreise und vier kreisfreien Städte, für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern zuständig sind. Und natürlich sagen jetzt ganz viele Personen, die an dem Prozess beteiligt sind, das sind Riesenzahlen, Sie haben es ja gerade genannt mit 9.200 als erste Prognose für das Jahr 2015. Wir gehen davon aus, dass sich diese Prognose mindestens noch ein-, wenn nicht sogar zweimal ändern wird und die Zahlen auch noch höher werden. Wir sagen also, alle miteinander müssen an einen Tisch, und wir müssen darüber reden, wie in Brandenburg die Unterbringung nicht in Gemeinschaftsunterkünften als Mittel der Wahl, sondern so menschenwürdig stattfinden kann, dass die Flüchtlinge eben tatsächlich auch mit Privatsphäre, mit einer entsprechenden sozialen Begleitung und Betreuung integriert werden in unsere Gesellschaft, egal, ob es im Speckgürtel rund um Berlin ist oder in der Fläche des Landes.
Rossius: Was ist denn aus Ihrer Sicht akzeptabel und menschenwürdig?
Böttcher: Wir sagen ganz klar, dass es sicherlich in Teilen des Landes ganz, ganz schwierig ist, geeigneten Wohnraum zu finden und zur Verfügung zu stellen. Wir haben rings um Berlin natürlich das Problem, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Da leben unendlich viele Leute. Und wir haben in der Fläche des Landes über Jahre mit Programmen, die das Land gefördert hat, den Abriss von Wohnsiedlungen und Plattenbauten tatsächlich auch gefördert, die wir jetzt möglicherweise bräuchten. Das heißt, wir müssen einfach gucken, dass die bis hin zur kleinsten Gemeinde, bis hin zur kleinsten Stadt alle sich dieses Flüchtlingsthemas tatsächlich auch annehmen. Ich hab in dieser Woche Briefe bekommen von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern aus kleinen Städten und Gemeinden in Brandenburg, die gesagt haben, Mensch wir haben schon im Herbst des Jahres dem Landkreis Wohnraum angeboten, und es wird einfach nicht abgerufen. Ich wünsche mir einfach, dass da auch die kommunale Familie gut funktioniert, dass man voneinander weiß und dass man sich einfach an einen Tisch setzt und versucht, so viel wie möglich an Unterbringung zu gewährleisten. Und wenn es tatsächlich überhaupt nicht möglich ist, die Leute in Wohnungen unterzubringen, weil es zu wenige gibt, dann fordern wir, dass die Gemeinschaftsunterkünfte nicht größer als für 50 Personen sind. Und auch da müssen entsprechende Sozialarbeiter und Sozialpädagogen in der Einrichtung nach einem angemessenen Schlüssel vorhanden sein, die sich um die Leute kümmern und die versuchen, mit denen eben tatsächlich auch Integration zu leben.
Rossius: Die Unterbringung ist ja nun für alle Bundesländer immer das zentrale Thema. Vorgestern hat der saarländische Innenminister Klaus Bouillon bei uns im Gespräch da mehr Unterstützung für die Kommunen gefordert, und zwar von den Kirchen. Ich würde Ihnen gerne mal sein Statement vorspielen.
O-Ton Klaus Bouillon: Die Kirchen spielen eine wichtige Rolle, aber nach meiner Einschätzung könnten sie eine noch wichtigere Rolle spielen. Ich denke, die Schaffung von Wohnraum sollte auch aktiv, proaktiv durch die Kirchen betrieben werden. Es ist ja kein Geheimnis, dass viele Diözesen über Gott sei Dank, wenn man den Medien glauben darf, sehr viel Geld verfügen. Und wir wünschen uns natürlich, dass die Kirche uns hier etwas aktiver als bisher begleitet, weil die Finanzlage der Kommunen ist äußerst prekär.
Rossius: Ja, Frau Böttcher, können Sie diesen Appell nachvollziehen, auch vor dem Hintergrund, dass es gerade einen großen Streit um das Kirchenasyl gab?
Böttcher: Wir dürfen natürlich in dieser Situation, in der wir uns jetzt befinden, die Flüchtlinge kommen nach Deutschland, die stehen vor der Tür der Erstaufnahmestellen, dürfen wir einen Fehler nicht machen, nämlich versuchen, uns Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten hin und her zu schieben. Das wäre das Allerschlechteste, was wir für die Menschen hier tun können. Und ich hab da so ein bisschen das durchgehört gerade bei dem Einspieler, dass quasi an der Stelle irgendwie Kirche für etwas eintreten muss, was zuallervorderst Aufgabe des Staates ist, nämlich dafür zu sorgen, dass die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, menschenwürdig und entsprechend auch der entsprechenden Konventionen untergebracht werden. Und ich erlebe das in Brandenburg, dass sowohl die verschiedenen diakonischen Werke als auch die Caritasverbände sehr, sehr engagiert am Thema Flüchtlinge sind, das haben wir in Berlin schon erlebt, als es um die Flüchtlinge auf dem Oranienplatz ging. Und insofern sage ich, wir müssen da alle am gleichen Strang ziehen, und es nützt momentan nichts, zu sagen, da hat vielleicht jemand mehr Geld in der Tasche oder andere Möglichkeiten, und damit entledige ich mich jetzt meines eigenen Problems. Nein, wir müssen das alle miteinander tun, und egal, wer da jetzt mehr Möglichkeiten hat zu helfen, der ist aufgefordert und eingeladen, sich wirklich in diesem Prozess auch sehr aktiv zu begegnen.
Rossius: Es gab ja nun gerade einen Kompromiss mit der Bundesregierung, also zwischen Kirchen und Bundesregierung. Jeder Fall soll nicht nur lokal behandelt werden, sondern auch zwischen Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geklärt werden. Was halten Sie von diesem Verfahren in puncto Kirchenasyl?
Böttcher: Man muss sich natürlich immer mal vor Augen führen, über welche Menschen wir hier reden. Das sind Menschen, die mussten mit dem, was sie am Leibe tragen, mit ganz, ganz wenig Hab und Gut ihr Heimatland verlassen. Das macht man nicht einfach aus Jux und Dollerei, sondern das macht man, weil man sich in einer ganz, ganz schwierigen und schlimmen, im Zweifelsfall Kriegssituation befindet, um sein Leben fürchtet und keine andere Möglichkeit sieht, als das Heimatland zu verlassen. Die Menschen, die hier nach Deutschland kommen, die haben einen unendlichen Leidensweg hinter sich und kommen jetzt hier an und sollen dann quasi noch in ein Verwaltungsverfahren sich hineinbegeben, in dem jeder Einzelfall durch ein Bundesamt mit geprüft wird. Ich warne wirklich davor, jetzt die Hürden von Verwaltung und Administration in solchen Fällen so hoch zu hängen. Wir müssen immer gucken, wir handeln hier für die Leute, für die Flüchtlinge, für die Asylbewerber, und da bitte ich jeden herzlich darum, das genau im Auge zu behalten und tunlichst den Versuch zu unterlassen, das irgendwie administrativ in die Höhe zu hängen. Damit tun wir den Menschen hier keinen Gefallen.
Rossius: Der Standpunkt von Anne Böttcher, Geschäftsführerin des Landesverbandes Brandenburg bei der Arbeiterwohlfahrt. Haben Sie herzlichen Dank!
Böttcher: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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