Flüchtlingshilfe

Ehrenamtliche machen sich stark

Ehrenamtliche pensionierte Lehrer geben Flüchtlingen Deutschunterricht
Ehrenamtliche pensionierte Lehrer geben Flüchtlingen Deutschunterricht © dpa/picture alliance/Armin Weigel
Von Beke Schulmann · 12.10.2015
Ehrenamtliche und hier angekommene Flüchtlinge berichten von ihrem Alltag zwischen Flüchtlingsunterkünften, Behörden und Sprachbarrieren. Ehrenamtliche erzählen, warum sie sich engagieren und welche Wege sie gemeinsam mit den Flüchtlingen gehen.
Flüchtlinge, die nach einem langen und oft auch traumatischen Weg in Deutschland ankommen, werden meist in großen Flüchtlingsunterkünften untergebracht und haben daher kaum Kontakt mit den Menschen, die hier leben.
Damit sich das ändert, engagieren sich immer mehr Ehrenamtliche für Flüchtlinge. Sie geben zum Beispiel Deutschunterricht, begleiten und dolmetschen auf Behördengängen oder organisieren Ärzte, die Flüchtlinge kostenlos behandeln. In vielen Städten haben sich ganze Netzwerke von Helfern und vor allem Helferinnen entwickelt, die versuchen, den Flüchtlingen die Ankunft in einem fremden Land leichter zu machen.
"Hallo!"
"Hallo!"
Annika: "Wir fangen jetzt an, und zwar haben wir als erste Zeitform das Futur durchgenommen und ich sage jetzt einen Satz und ihr macht dann die Zukunftsform davon, also ich sage 'Ich fahre Fahrrad' und ihr sagt dann 'Ich werde Fahrrad fahren', okay, hallo Jabot! - Ich werde Fahrrad fahren."
Sieben Männer zwischen 19 und 40 Jahren sitzen rund um den Tisch mit Annika Hesselmann. Die 25-Jährige ist ihre Deutschlehrerin und erste Ansprechpartnerin - eigentlich für alles - sagt sie. Diese Arbeit macht sie ehrenamtlich.
"In dieser Gruppe sind jetzt eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs Afghanen und ein Syrer. Dass es so viele Afghanen sind, ist einfach darauf zurückzuführen, dass es halt mit einem afghanischen jungen Mann angefangen hat, Mohammed, und der dann seinen Freunden davon erzählt hat und die sind dann gekommen und wollten auch mitmachen und so wurden das immer mehr und dann haben wir einen syrischen Schüler dazu bekommen und der hat dann noch weitere syrische Schüler dazugekommen quasi beziehungsweise kurdische Schüler."
Annika unterrichtet die Männer seit etwa einem Jahr. "Ihre Jungs" nennt sie sie. Nach und nach haben sie sich geöffnet und ihre Lebensgeschichten erzählt.
"Insgesamt sind drei Schüler hier, die wirklich auf legalem Wege hergekommen sind, und zwar konnten sie das, weil sie in Afghanistan für die deutsche Polizei gearbeitet haben. Und dadurch sind sie da ins Visier der Taliban gekommen und so wurde denen gewährleistet, wirklich mit dem Flugzeug hierherzukommen und auch mit der ganzen Familie und das war halt super, die haben jetzt sofort den Aufenthaltsstatus bekommen und müssen die ganze Prozedur nicht machen."
"Die Prozedur", wie Annika es nennt, ist das Ringen um Asyl. Andere Schüler sind illegal nach Deutschland gereist - über die Türkei oder mit dem Boot über das Mittelmeer. Sie stecken noch mitten drin im Asylverfahren und hoffen auf eine positive Entscheidung.
"Ein paar der Schüler haben aber schon 'ne Absage bekommen, also die sind jetzt tatsächlich geduldet, noch ein weiterer Schüler hat jetzt gerade 'nen positiven Bescheid bekommen und der wird bald einen regulären Kurs besuchen können. Wobei die Wartezeiten da auch sehr lange sind. Weshalb die Schüler dann auch erst mal bei mir bleiben, bis dann der Kurs beginnt."
Aus der Einzelnachhilfe für Mohammed wurde ein ganzer Kurs
Eigentlich hatte sie gar nicht geplant, sich zu engagieren. Sie sah zufällig eine Anzeige, in der ein Nachhilfe-Lehrer für einen Flüchtling gesucht wurde. Annika meldete sich - auch, weil sie wusste, dass Flüchtlinge kein Recht auf einen Integrations- oder Sprachkurs haben, solange ihr Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist.
"Und dann bleibt denen halt nur, ehrenamtliche Kurse zu machen oder gar nichts. Und trotzdem ist man in so 'nem kleinen Zwiespalt, weil eigentlich hat man das Gefühl, man übernimmt ja eigentlich Aufgaben, die theoretisch staatliche Aufgaben sein sollten und nimm den Staat da so ein Stück weit aus der Verantwortung, auf der anderen Seite ist es aber auch so, wenn man es nicht macht, dann macht's halt im Zweifel keiner und damit ist diesen Menschen ja auch nicht geholfen."
Aus der Nachhilfe für den jungen Afghanen Mohammed ist ein Deutschkurs mit bis zu 15 Teilnehmern geworden. Sie treffen sich im Jugendzentrum in Osnabrück, das in der Nähe der Asylbewerberunterkunft liegt.
"Dann hat sich das natürlich relativ schnell rumgesprochen und nach kurzer Zeit saßen wir dann in dem Wohn-Schrägstrich-Schlafzimmer in dem Asylbewerberheim mit ungefähr zehn jungen Männern."
Zwei Mal in der Woche sitzen sie abends zusammen. Annika bereitet den Unterricht vor - mit Materialien, die sie selbst zusammenstellt. Einer der Kursteilnehmer hat ein Heft für den Kurs angelegt - darauf steht "Deutsch - Frau Annika".
"Er hört Musik."
"Er wird Musik hören."
"Ich fahre Fahrrad, wo ist das Verb?"
"Ihr macht die Hausaufgaben."
"Ihr werdet Hausaufgaben machen."
"Ja!"
"Papa räumt das Wohnzimmer auf."
"Papa wird das Wohnzimmer aufräumen."
Es blieb nicht beim Unterricht. Annika wurde auch zur Beraterin für ihre Sprachschüler. Das Spektrum ist groß:
"Von Briefen, die sie nicht verstanden haben, Gespräche mit Anwälten, wenn irgendwer im Krankenhaus ist, bin ich die erste, die angerufen hat, aber auch so Alltagssachen wie die Kündigung eines Fitnessstudio-Vertrags oder Handy-Vertrags, sowas kommt halt auch vor, und ja, die Begleitung bei Behördengängen ist ein ganz wichtiger Punkt, wo einfach Hilfe notwendig ist und die Sozialberater und Sozialarbeiter, die in diesem Bereich zuständig sind, einfach auch sehr überfordert sind, weil es sehr, sehr viele Menschen gibt, die diese Hilfe in Anspruch nehmen möchten, aber nicht genug Kapazität, dass das gemacht werden kann."
Durch ihr Ehrenamt erlebt Annika auch die Probleme und Sorgen der Asylbewerber: Sie erzählen ihr, dass sie sich manchmal unwohl fühlen, wenn sie zum Beispiel im Bus neben einem Fremden sitzen. Und auch Behördengänge können problematisch verlaufen, sagt sie.
"Da hat man schon das Gefühl, dass viele Menschen nicht so sehr gewillt sind, ein bisschen nachsichtig zu sein, wenn irgendwas nicht verstanden wird oder irgendwas nicht auf Anhieb klappt. Dass Menschen halt superschnell angenervt sind und naja, er hat den Brief ja auch nicht passend eingereicht, kommt dann, aber naja, er hat den Brief halt auch nicht verstanden, 'ne? Das ist ja klar, dass dann irgendwelche Dokumente nicht passend ausgefüllt und eingereicht werden. Da ist dann halt so 'ne Nachsichtigkeit nicht gegeben, man hält sich dann strickt an irgendwelche Formalien, obwohl man halt weiß, dass dieser Spielraum, den Behörden oft haben, nicht ausgereizt wird, das ist aber auch nicht bei allen so. Und man muss dazu noch sagen, dass ich auch Jungs hab, die mittlerweile so gut deutsch sprechen, dass sie's theoretisch alleine machen könnten, dass sie diese Behördengänge alleine machen könnten, aber sagen, naja, wenn du dabei bist, sind die halt irgendwie viel netter. Und das ist schon ein Problem."
Probleme mit den jungen Männern gibt es dagegen gar nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Annika pflegt ein freundschaftliches Verhältnis zu ihren Schülern.
"Missverständnisse führen halt oft auch zu Lachern und da baut man schon 'ne schöne Beziehung auf. Man erlebt natürlich auch Hoch- und Tiefpunkte, einfach dadurch, dass man so Behördenbriefe übersetzt, das ist natürlich manchmal schön, wenn man dann liest, krass du hast deinen Asylstatus bekommen, und manchmal aber genauso frustrierend, wenn man dann sagen muss, ok, du halt nicht."
Anlaufpunkt Kleiderkammer: Verständigung mit Händen und Füßen
In Lüneburg wohnen rund 200 Flüchtlinge in ehemaligen Kasernengebäuden. In den beiden Häusern leben vor allem Menschen, die aus Syrien geflüchtet sind. Viele kommen aber auch aus Afghanistan, Iran, dem Irak, Serbien oder afrikanischen Ländern wie dem Sudan, Eritrea oder Somalia. Seit einigen Monaten gibt es in ihrer Unterkunft jeden Freitagnachmittag den Kleidertreff der Willkommensinitiative Lüneburg.
"Unser Ziel ist es auch das zweimal in der Woche zu machen, zwei Stunden sind wir dann geöffnet, damit die Menschen kommen können, alles anschauen, wir beraten sie auch, wenn sie es wünschen, und sich für Kleidung oder auch andere Gebrauchsgegenstände entscheiden können."
Martina Früchtnicht-Truxius engagiert sich seit einem halben Jahr in der Initiative und kümmert sich heute um den Kleidertreff. Sie packt Tüten mit Kleidern, Schuhen und Taschen aus und räumt Bettwäsche und Handtücher in die Schränke - alles Spenden aus der Bevölkerung. Die Halle, ist vollgestellt mit Schränken, Regalen und vielen Kleiderständern. Fast schüchtern schauen sich die Besucher die Stapel durch, halten sich Jeans an und freuen sich über ihre Fundstücke.
"Das sind Kleiderspenden, also Spenden von Privatmenschen, die vielleicht zu Hause ausgeräumt haben, Frühjahrsputz, Herbstputz, und ihren Kleiderschrank aufgeräumt haben und mit den Sachen hier ankommen. Wir wünschen uns vor allem Bekleidung für Herren, son bisschen modern mit Kapuzen-Tshirts oder Kapuzenjacken, Turnschuhe, Jeans, weil das wird gebraucht und was wir auch brauchen sind Sportsachen, viele machen Sport und haben sich auch dem Fußballverein hier anschließen können und würden gerne Fußball spielen, aber da mangelt es an Turnschuhen."
Martina, in rosafarbenem Rock und Stickjacke, dazu pinkfarbene Sandalen, nimmt 2 Euro entgegen - dafür gibt es zwei T-Shirts. Zum Kleidertreff kommen deutlich mehr Männer. In den Unterkünften in Lüneburg wohnen zwar auch Familien mit Kindern und auch Kinder, die alleine ohne ihre Eltern geflüchtet sind. Doch durch die Umstände der Flucht schaffen es mehr Männer nach Deutschland als Frauen, sagt sie.
"Also die Männer können nicht ihre ganze Familie mitnehmen und ich sag mal, die Flucht ist so anstrengend, so traumatisierend, dass die Menschen sich natürlich auch überlegen, was man den Kindern zumutet, den Jugendlichen, auch den Frauen, Frauen, die schwanger sind, das ist alles sehr, sehr schwierig. Und das ist der Grund, warum Männer hier ankommen, nicht weil sie ihre Frauen oder Familien alleine lassen, das ist ganz, ganz praktisch, einfach praktisch und weil es ums Überleben geht."
Viele kommen auch zum Kleidertreff, um sich Sorgen von der Seele zu reden. Sie wissen: Martina hört zu. Wenn es mit Deutsch oder Englisch nicht weitergeht und niemand übersetzen kann, dann klappt die Verständigung mit Händen und Füßen. Durch den Raum klingt ein Sprachmix aus Deutsch, Englisch, Arabisch, Farsi und Urdu.
"Tabletten?"
Mann: "Tabletten, Tabletten."
Martina: "Ihr habt alles, was man sich vorstellen kann, ja okay."
Ein älterer Mann in Hemd und Sakko packt eine große Tüte mit Medikamenten vor Martina aus.
Mann: "I sorry."
Martina: "Nein, everything fine. Gut gut gut gut."
Mann: "No Money ... "
Martina: "Nicht bezahlt??"
Mann: "Operation."
Martina: "Am Ohr, ja ... Er hat gezeigt, dass ist vielleicht seine Frau, das hab ich nicht ganz verstanden, sie ist sehr krank ja, hat viele verschiedene Erkrankungen, und er erzählt gerade, dass er Ohrtropfen verschrieben bekommen hat, wo die Kosten nicht übernommen werden."
Der Mann verabschiedet sich mit Handkuss von Martina. Er kommt aus Serbien und ist häufig beim Kleidertreff.
"Ich glaube, seine Frau ist immer sehr daran interessiert, viele Dinge hier mitzunehmen und einen sehr guten Preis auszuhandeln und dann sprechen wir auch manchmal miteinander und lachen und sind mal ein bisschen lauter und energischer und da hat er sich jetzt, glaub' ich, so'n bisschen, wollt er auch mal was dazu sagen."
Der 53-Jährigen ist es wichtig, sich die Zeit für solche kleinen Gespräche zu nehmen.
"Ich glaube, trösten kann man nicht, aber man kann zuhören und man kann vielleicht den Menschen das Gefühl geben, dass man ihnen zur Seite steht. Das ist der Punkt. Die Willkommensinitiative ist eine Ansammlung von Menschen, die ehrenamtlich arbeiten, wir machen das nicht beruflich. Wir können den Menschen zur Seite stehen. Wir können nicht die Probleme lösen, aber wir können ihnen vielleicht manchmal das Gefühl geben, sie sind nicht alleine."
Flüchtlinge aus allen Ländern: "Keiner kommt freiwillig"
Martina und die anderen Ehrenamtlichen der Initiative erfahren viel über die Geschichten der Flüchtlinge - zum Beispiel, wenn sie ihnen helfen, Anträge auszufüllen oder sie zur Ausländerbehörde, zum Sozialamt oder Arbeitsamt begleiten. Da bleibt es gar nicht aus, über die Hintergründe der Flucht zu sprechen, sagt Martina.
"Aus meiner Sicht kann ich nur immer wieder sagen, dass ich bisher nicht einen Menschen getroffen hab, der gerne seine Heimat verlässt. Nicht einen Menschen, der gerne seine Familie, seine Kultur, sein Essen, sein Trinken, seine Feste verlässt. Ich denke mal, sagen zu können, dass ich bisher niemanden getroffen hab, der hier freiwillig hergekommen ist und die Fluchtwege sind unterschiedlich. Und natürlich kommen viele über diesen schrecklichen Wasserweg, was wir alle in den Medien verfolgen, ich denke, keiner dieser Menschen verlässt seine Heimat gerne. Und alle sind traurig, alle sehnen sich nach ihren Familien, nach ihren Kindern, nach ihren Eltern, das Ausmaß ist für uns, glaub ich, gar nicht nachvollziehbar, was da passiert."
Beruflich ist Martina im Gesundheitsmanagement tätig. Immer freitags und manchmal auch an anderen Wochentagen schaut sie nach Feierabend in der Unterkunft vorbei. Sie streicht sich die blonden Haare aus der Stirn und überlegt, warum sie sich hier eigentlich einbringt.
"Ich möchte nicht mehr Radio hören, ich möchte nicht mehr Nachrichten sehen und das Gefühl haben, ich tu' nichts. Ich will nicht mehr hilflos sein. Denn wenn ich die Bilder im Fernsehen sehe, fühl ich mich hilflos. Ich will nicht mehr hilflos sein. Ich möchte dazu beitragen, dass wenigstens ein paar Menschen sich vielleicht ein bisschen wohl fühlen."
Neben dem Kleidertreff, der Beratung und Begleitung versucht Martina auch immer wieder, Wohnungen für Asylbewerber zu organisieren. Abends klickt sie sich auf ihrem Sofa durch Immobilien-Anzeigen, damit die Flüchtlinge die Sammelunterkünfte möglichst schnell verlassen können.
"Das ist auch so gewollt von der Bundesregierung, aber was dem entgegensteht, ist, dass es ganz, ganz wenige Vermieter nur gibt, die bereit sind, eine Wohnung an Flüchtlinge zu vermieten. Das ist ein Riesenproblem und das wünsch' ich mir so sehr, dass es mehr Menschen gäbe, die sagen, ja klar, klar vermieten wir 'ne Wohnung an jemanden, der geflüchtet ist. Klar können wir jemanden aufnehmen, der geflüchtet ist. Die Gesetze sind geschaffen, dass der Weg geebnet ist und da würd ich mir erheblich mehr Empathie mit den Menschen wünschen und viel mehr auch die Bereitschaft, an Geflüchtete Wohnungen zu vermieten. Sofern die Geflüchteten keine Arbeit haben, kommt die Miete erst mal vom Sozialamt oder von der Arbeitsagentur. Die Miete ist sicher."
In der Flüchtlingsunterkunft in Lüneburg steht Martina in einer Traube von Menschen. Alle wollen etwas von ihr wissen. Sie setzt sich mit ihnen an einen großen Tisch im Nebenraum zur Beratung. Diese bietet die Initiative in der Unterkunft zweimal pro Woche an - immer mit dem Hinweis, dass die Helfer weder Juristen sind, noch von einer Behörde kommen.
"Manchmal geht es um Übersetzungen und dann müssen wir uns darum bemühen oder wir bemühen uns um jemanden, der diese Sprache kennt und dann geht es manchmal um die Übersetzung von Schriftstücken oder von Nachrichten, und da sind wir immer sehr bemüht, dass wir zu den jeweiligen Terminen auch die Menschen da haben, die in die verschiedenen Sprachen übersetzen können."
Bei Martina sitzt ein Übersetzer. Er gibt auf Englisch wieder, was der Mann neben ihm sagt. Martina spricht zwar Sprachen wie Nepali, Sanskrit und Hindi - arabisch kann sie allerdings noch nicht.
"Außer Salam Aleikum"
In der Beratung hilft Martina zum Beispiel dabei, Anträge für die Jobbörse oder zum Arbeitslosengeld auszufüllen:
"Ich weiß noch nicht, was er will. Das muss ich jetzt erst mal klären. So what does he want from me?"
Mann übersetzt auf Arabisch, anderer Mann erzählt seine Geschichte. Mann übersetzt auf Englisch für Martina: "He escaped from Bulgaria and he got not residence here in Germany until, so he ask, what he can do."
Der Mann kommt ursprünglich aus Syrien und floh über Bulgarien nach Deutschland. Nun will er seine Familie nach Deutschland holen. Er ist verzweifelt, hat Angst um seine Familie, das sieht man ihm an. Martina kann nichts zu seinem Fall sagen - schon gar nicht will sie ihm Versprechungen oder Hoffnungen machen.
"In dem Fall von dem Herrn, der jetzt hier gerade sitzt, geht es darum, ihm vielleicht zu helfen, einen Rechtsanwalt zu finden, der sich seines Falls annimmt und ihm bei weiteren Maßnahmen helfen kann, und erreichen kann, dass er eine wie auch immer gestaltete Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland erhalten könnte."
"They can't send him away, because his case is in procedure. So I think they can't do anything but our best word: wait!"
Martina kann nicht weiterhelfen. Sie sucht in ihrem Handy nach der Nummer eines Anwalts. Oft hört die 53-Jährige traurige und dramatische Lebensgeschichten, die wenig Raum für Hoffnung lassen. Damit umzugehen ist nicht immer leicht.
"Manchmal macht mich das sehr traurig und ich denk darüber nach, wenn ich zu Hause bin oder spazieren gehe oder Auto fahre in so diesen Gedanken-Momenten und das ist sehr schwierig, also manchmal krieg ich auch einfach Wut auf das, was passiert in der Welt, also das ist immer gemischt zwischen ich bin traurig und ich schaff das ganz schnell, mich abzugrenzen oder ich bin auch wütend. Natürlich gibt es niemanden, auf den man wütend sein kann, weil das ein globaler Prozess ist, aber es macht schon auch wütend."
Martina versucht, gegen die Hilflosigkeit und die Wut anzuarbeiten - das ist ihr Weg. Neben ihr steht schon der Nächste, der Hilfe sucht.
Ärztevermittlung für Flüchtlinge – natürlich ehrenamtlich
Auch die 23-Jährige Lisa Palm hat sich entschieden: Sie will helfen.
"Im Grunde musste ich 'ne Lösung dafür finden, dass ich ja immer wieder in Nachrichten im Radio oder im Fernsehen höre, oder sehe, wie ja das Menschen durch Verfolgung und Leid in ihrem Herkunftsland, dass dazu veranlasst, dass sie sich auf den Weg begeben, dass sie also ne Reise in Kauf nehmen, die lebensbedrohlich ist um sich eventuell ein besseres Leben in 'nem anderen Land aufzubauen und wenn man das sieht, dann gibt einem das erst mal das Gefühl , sehr ohnmächtig zu sein, dass ist so eine komplexe Problematik und ist so groß und schwierig, sodass ich dann schnell das Gefühl hab, da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll und auf die Große EU-Politik, was hab ich da schon für'n Einfluss und so und deswegen will ich praktisch dieses Gefühl kanalisieren in ein konstruktives Mich-Einbringen soweit ich's kann und für einige Personen kann ich eben dazu beitragen, dass es etwas besser wird und es ist eben ein guter weg, mit diesem Ohnmachtsgefühl das entsteht, wenn man die Nachrichten liest und nicht weiß wie man als erstes anpacken soll, wenn man ganz konkret hier vor Ort anfängt."
In Hannover arbeitet Lisa in der Gruppe Medinetz mit. An Medinetz können sich Menschen wenden, die ohne Papiere in Deutschland leben - die also zum Beispiel kein Asyl bekommen haben und lieber untertauchen, als in ihre Heimat zurückzugehen. Dadurch haben sie keine Krankenversicherung. Die Gruppe sucht für sie Ärzte, die sie kostenlos behandeln. Lisa ist in dieser Woche die Ansprechpartnerin für alle Hilfesuchenden.
"Ich hab' jetzt dieses Handy für eine Woche und bin damit die Ansprechpartnerin für alle Menschen, die sich in dieser Woche an uns wenden wollen, an Medinetz wenden wollen, die rufen uns tatsächlich auch an übers Telefon und schildern dann, ob sie Schmerzen haben, inwiefern sie krank sind und dann überleg ich, welcher Arzt oder welche Ärztin dafür sinnvoll wäre, wir haben so eine Kartei mit Fachärzten auch, ruf dann bei denen an, mach 'nen Termin an und ruf dann bei der Person an, die mich davor kontaktiert hatte, und sag' ihr, wo sie hinkommen soll und oft ist es dann auch gar nicht notwendig damit hinzugehen und dann läuft es eigentlich von selbst."
Die Medizinstudentin trägt das Handy immer bei sich - auch jetzt, während sie mit ihren Mitbewohnern kocht. Manchmal begleitet sie die Patienten auch zu den Terminen - wenn zum Beispiel eine längere Krankheitsgeschichte geschildert werden muss, oder zum Übersetzen.
"Also oft kommt es vor, dass Frauen anrufen, die schwanger sind. Es ist so, dass die Menschen, die uns anrufen ja in einer sehr großen Angst leben, sich an irgendwelche Behörden oder irgendwelche Stellen zu wenden. Das heißt, die Menschen, die sich zu uns wenden, machen das eigentlich nur, wenn's gar nicht anders geht, weil die Barriere ist so groß sich an jemanden zu wenden, weil die Angst vor der Abschiebung so groß ist, dass sich Menschen im Grunde nicht wegen 'nem kleinen Infekt an uns wenden würden und deswegen sind die Gründe meistens entweder starker Schmerz oder ein starkes Leiden oder eben Schwangerschaft, weil dann braucht man ja auf jeden Fall Unterstützung. Und dann ist es auch so, dass die Frauen oft schon fortgeschrittener sind in der Schwangerschaft. Ja dann ist es ganz wichtig, dass wir schnell Termine ausmachen für Vorsorgeuntersuchungen, damit geschaut werden kann, ob das Kind gesund wird und damit dieses Kind sicher auf die Welt kommen kann ist es eben unglaublich wichtig, dass dann da gleich Vorsorgeuntersuchungen stattfinden und Nachsorgeuntersuchungen auch."
Medinetz übernimmt die Laborkosten, dafür erhält die Gruppe Spenden. Durch ihr Engagement wurden die anonymen Flüchtlinge aus den Nachrichten zu einzelnen Menschen mit Geschichten. Und sie reagiert jetzt auch ganz anders auf eine Abschiebung, sagt Lisa.
"Das ist schrecklich und das löst schon so'n ein Ohnmachtsgefühl aus. Andererseits bin ich auch froh, dass ich mich mit diesen Menschen auseinandersetzen kann und es eben nicht nur 'ne anonyme Gruppe von Menschen bleibt, von denen ich lese, und erst wenn ich diese Menschen kenne, dann entsteht da eben mehr und dann wird es auch erfahrbar, was es bedeutet, wenn Menschen 'ne lebensbedrohliche Flucht auf sich nehmen und dann ihnen gesagt wird, jetzt muss du wieder zurück gehen, du hast hier kein Recht zu bleiben."
Dann ist da auch eine gewisse Wut bei der 23-Jährigen. Schließlich stehe das Recht auf körperliche Unversehrtheit doch im Grundgesetz, sagt Lisa.
"Im Grunde wartet man ja, dass sich behandelbare Erkrankungen in Notfälle wandeln und dann müssen Krankenhäuser dann behandeln, dürfen nicht anders und das macht gar keinen Sinn, also man kann Leid verhindern und das Recht dieser Menschen durchsetzen und sollte man es auch tun."
Die 23-Jährige würde sich freuen, wenn sich mehr Menschen aktiv für Flüchtlinge einsetzen würden. So könnte Offenheit und Verständnis füreinander entstehen, hofft sie.
"Ich glaub', gleichzeitig, dass es für viele schwierig ist, sich zu engagieren, einfach weil auch viele Menschen wirklich viel arbeiten müssen um über die Runden zu kommen, dann vielleicht noch ne Familie haben und dann bleibt kaum mehr Zeit übrig, ich fänd's schön, wenn's für alle Menschen möglich wär, sich zu engagieren und ich glaube, es könnten sich auch mehr engagieren, ich glaube, viele denken, dass es schwerer ist als es wirklich ist, einfach müsste man nur mal anfangen. Es macht einfach Spaß und tut gut, deswegen kann ich's allen ans Herz legen. Und auch die Ungerechtigkeit zu sehen, die in unserer Gesellschaft existiert auch zu sehen, wir als Land sind auch dafür verantwortlich, dass andere Menschen in anderen Ländern es sehr schwer haben, ich glaube, dieses Gefühl würd' ich sehr schlecht aushalten können, wenn ich nicht gleichzeitig weiß, ich kann mich auch hier und jetzt dafür einsetzen, damit es einigen Menschen vielleicht ein Stück weit besser geht und vielleicht auch 'ne politische Veränderung mit zu bewirken."
Auch Ehrenamtliche kommen an ihre psychischen Grenzen
"Jungs wo ist eure Mappe, kennt ihr dieses Bild? Guckt mal, ob ihr das dabei habt, ein paar hab ich auch ausgedruckt. Ihr dürft Euch jetzt ein Tier aussuchen und das beschreiben wir. Welches Tier möchtet ihr beschreiben?"
In Osnabrück hat Politikstudentin Annika durch ihren Deutschkurs viel über ihre Schüler erfahren. "Ihre Jungs", wie sie sagt, kommen aus Krisengebieten wie Syrien, Irak und vor allem Afghanistan.
"Der Löwe ist kleiner, der Elefant ist größer. Der Löwe ist stark, Elefant auch stark."
"Manchmal ist es auch für mich nicht einfach, damit umzugehen, wenn man so schlimme Geschichten hört, weil das für uns auch gar nicht unbedingt greifbar ist, gar nicht unbedingt vorstellbar ist, sowas passiert bei uns im Alltag einfach nicht, das ist einfach schwierig zu verarbeiten, andererseits, wenn die Menschen darüber sprechen möchten, hör ich's mir natürlich auch an und manchmal kann ich es natürlich auch nicht umgehen, wenn es zum Beispiel so ist, dass ich zu Psychiatern oder Psychologen begleite, zu Ärzten begleite und ich dann einfach dabei bin, wenn solche Sitzungen stattfinden oder Berichte bekomme, dann erfährt man's halt, ohne danach gefragt zu werden, ob man das gerne hören möchte, das gehört aber auch dazu."
Solche Eindrücke zu verarbeiten, ist schwer für sie. Für ehrenamtliche Helfer gibt es kaum Hilfe.
"Es gab' eine Situation, wo ich ganz besonders eingebunden war, weil ich den Dolmetscher begleitet hab' zum Psychiater und da hab ich auch eine ganz bedrückende Geschichte, eine Familiengeschichte, die sich in Afghanistan abgespielt hat, erfahren, die mich auch wirklich belastet hat, weil das auch Dinge sind, die man hier nicht erfährt, da ging es darum, dass er als kleiner Junge mit angesehen hat, wie seine Familie von den Taliban ermordet wurde. Und das wurde nicht aufgearbeitet und da hat sich auch ein Trauma draus entwickelt, was auch zu einer großen psychischen Krankheit geführt hat, die sich auch niedergeschlagen hat im Auftreten und in der Lernfähigkeit, natürlich, 'ne? Das bekommt man schon sehr stark mit und da fühlt man dann auch mit und das ist manchmal ein bisschen schwierig, weil man da als Ehrenamtlicher natürlich nicht die Möglichkeiten hat, zu 'ner Supervision zu gehen oder ja, klar, man kann das mit der Sozialarbeiterin besprechen, die zuständig ist, aber man ist ja nicht konkret ausgebildet und das ist manchmal schon schwierig."
Auch Annika fühlt sich alleingelassen - vom Staat. Eigentlich sollte sich niemand engagieren müssen, findet sie. Bildung sei schließlich ein Menschenrecht.
"Also ich muss ja auch sagen, dass ich der Meinung bin, dass Engagement zwar gut ist aber eigentlich staatliche Aufgabe ist. Dennoch halt ich's halt für ganz wichtig, dass diese Begegnung stattfindet, weil viele kennen Flüchtlinge nur aus dem Fernsehen und ich glaube, das ist ein ganz großes Problem bei der Integrationsdebatte und auch rassistischen Strömen oder einfach Vorurteilen, dass diese Begegnungen nicht stattfinden und das kann man durch so ein Engagement einfach kitten."
Eigentlich kann sich jeder engagieren, findet Annika. Man braucht viel Geduld und muss aus Tiefpunkte einstecken können, sagt sie.
"Das muss nicht so weit gehen, dass jeder ein therapeutisches Gespräch begleitet, weil das ist vielleicht wirklich nicht jedermanns Sache und es muss nicht jeder Deutschunterricht geben, aber es gibt ja auch Menschen, die einfach eine Fußballmannschaft trainieren und danach mit den Jungs ein Bier trinken gehen, es kann ja auf ganz vielen Ebenen Engagement stattfinden, das kann zum Einen sein, dass man mit Frauen Kaffee trinkt, dass man Kindern Nachhilfe gibt, man kann aber auch irgendwie in 'ner Wandergruppe oder Gärtnergruppe engagiert, da gibt es wirklich vielfältige Möglichkeiten und ich denke, nicht jeder ist für Bürokratie gemacht, nicht jeder hat Lust sich mit Leuten in Ämtern zu streiten, nicht jeder möchte Öffentlichkeitsarbeit machen, aber irgendwas kann, glaub ich, jeder."
Und ganz nebenbei gibt so ein Engagement auch noch ein gutes Gefühl, sagt Annika. Auch sie selbst fühlt eine gewisse Selbstbestätigung durch ihren Einsatz.
"Irgendwie ist es ja oft so, dass man im Studium und Berufsleben um Sachen kreist, die gar nicht so relevant sind, und dann guckt man sich Nachrichten an und denkt, oh Gott, was passiert alles Schlimmes in der Welt! Und es ist schon auch so, dass einem im Alltag Probleme wie, oh Gott, mein Arsch wird fetter und meine Fingernägel sind nicht lackiert und was zieh ich morgen an, ereilen und es nimmt manchmal 'ne relativ große Dimension ein, vor allem bei jungen Frauen. Und dem muss man ja nicht entgegenwirken, ich glaube nicht, dass Flüchtlingsarbeit einen davon komplett heilt, aber manchmal zeigt es einem schon: Es gibt halt auch noch andere Probleme auf der Welt."
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