Rostock verhilft zur Weiterreise
Gern helfe die Stadt Rostock den Flüchtlingen bei der Weiterreise nach Schweden, meint der Journalist Andreas Zecher. Verständnis für deren Lage zu haben, hätten ehemalige DDR-Bürger allerdings immer noch nicht gelernt - trotz all ihrer Urlaubs-Fern-Reisen.
Der Rostocker Hauptbahnhof ist einer der modernsten im Norden. Eine abgetrennte Fläche seiner Unterführung gleicht derzeit einem großen Secondhandshop. Wenn Flüchtlinge mit dem Regionalzug aus Hamburg angekommen sind, können sie sich hier mit frischer Wäsche und Kleidung versorgen. Hunderte nutzen täglich dieses Angebot, bevor sie zum Überseehafen weiterfahren.
Dort an der Fähre in Richtung Schweden erhielten viele von ihnen Tickets, die der Rostocker Oberbürgermeister spendiert hatte. So half Roland Methling den Reisenden weiter, damit Rostock und Umgebung für sie nicht zur Endstation werden. Weniger das Motiv, wohl aber der Griff in Stadtkasse sorgte für Unmut. Plötzlich sei für Flüchtlinge Geld vorhanden, das zuvor angeblich fehlte, als es um Belange der Bürger gegangen sei, hieß es in Leserbriefen an die Lokalpresse.
Überseehafen war für Rostocker kein Tor zur Welt
Ende der 50er Jahre sollte der Rostocker Überseehafen ein Tor zur Welt werden. Tatsächlich ermöglichte er der DDR einen ansehnlichen Seehandel. Zu Weltbürgertum verhalf er jedoch weder den Rostockern noch ihren Landsleuten im Hinterland. So, wie die Ostberliner wehmütig zum regen Flugverkehr über ihren Köpfen aufschauten, blickten die Hansestädter Schiffen hinterher, die sie nicht besteigen durften.
"Passlos" nannte sich der Dichter Steffen Mensching. Im Gedicht "World Time Table" sah er sich einerseits in keine internationalen Angelegenheiten verwickelt, andererseits aber verstaubte sein Reisekoffer im Wandschrank. Das war in den 80er Jahren. Abgeschnitten von Auslandserfahrung wähnten sich selbst wohlmeinende Genossen auf dem "Abstellgleis der Geschichte".
Viele Rostocker Dienstreisende, die regelmäßig in Berlin die Welt erklärt bekamen, saßen auf der Rückfahrt im Neptun-Express "Berlin-Warnemünde-Kopenhagen". Unter den argwöhnenden Blicken der Sicherheitsleute verließen sie auf dem Hauptbahnhof den Zug, denn hier war für sie Endstation.
Das ging so bis in den November 89, bis die Welterklärer in Berlin verstummten und bald Hamburg neues Fahrtziel wurde. Die Passlosigkeit endete, die Reisefreiheit begann.
Reisefreiheit verhalf nicht zu Welterfahrung
26 Jahre ist das nun her. Eigentlich genug Zeit, sich ein eigenes Bild von der Welt zu machen. Wie sich nun zeigt, haben viele nichts von ihr erfahren, weil sie ihre Koffer stets nur für einen Strandurlaub in sonnigen Gefilden packten und unberührt über die Krisenzonen hinwegflogen.
Nur so lässt sich verstehen, dass ein Leserbriefschreiber vom Oberbürgermeister ebenfalls eine Gratis-Schiffstour über die Ostsee verlangte, nachdem er sich zum Bewerber um Asyl im Zielland Schweden erklärt hatte. Und nur so lassen sich die abweisenden Blicke aus der Menschenmenge deuten, die vorübereilt an sich einkleidenden Flüchtlingen in der Unterführung des Bahnhofes.
Es sind Blicke, die nicht die Schärfe haben, mit der die Sicherheitsleute einst auf der Neptun-Linie "Berlin-Warnemünde-Kopenhagen" die Endstation für DDR-Bürger überwachten. Nein, diese Blicke sind besorgt und wollen sagen, hoffentlich ist Rostock, wo wir zu Hause sind, für die da nicht die Endstation.
Denn Rostock hilft: die einen mit gebrauchten Kleidern, die anderen mit bösen Blicken und der Oberbürgermeister mit Tickets – für die Weiterreise durch das Tor zur Welt.
Andreas Zecher, Jahrgang 1953, ist Journalist und Autor. Er lebt in der Nähe von Rostock. Mehr als 20 Jahre berichtete er für den in Neubrandenburg erscheinenden "Nordkurier" aus der nordöstlichen Küstenregion. Zuletzt erschienen: "Heute ein Frosch-Morgen ein König, Verrückte Geschichten aus Mecklenburg-Vorpommern" (Magma Verlag).