Sewan Latchinian und das Theater Rostock

Wer ist hier der Volksfeind?

Sewan Latchinian, der Intendant des Rostocker Volkstheaters
Sewan Latchinian, der Intendant des Rostocker Volkstheaters © dpa / picture alliance / Steffen Rasche
Von Gabriele Struck · 07.11.2015
Im Volkstheater Rostock inszeniert Hausherr Sewan Latchinian Ibsens Gesellschaftsdrama "Ein Volksfeind". Dass den Intendanten der Stoff so interessiert, dürfte angesichts des Streits um sein Haus kein Zufall sein.
"Als Angestellter hast Du kein Recht auf eine eigene Überzeugung. Als Angestellter hast Du keine Überzeugung zu äußern, die im Gegensatz zu denen Deiner Vorgesetzen steht."
Klare Worte des Bürgermeisters, gespielt von Ulrich K. Müller an seinen Bruder, den Badearzt, den er angestellt hat.
Für den Intendanten des Volkstheaters Rostock, Sewan Latchinian, der auch Regie führt, das Schlüsselzitat des Dramas, in dem der Arzt eines Kurbades entdeckt, dass das Wasser vergiftet ist. Doch das darf niemand wissen, denn dann würden die Touristen ausbleiben Mit dem florierenden Kurbad ginge es bergab.
"Ein verantwortungsvoller Arzt, der muss Konzepte entwickeln, Strukturmaßnahmen, Visionen. Die Stadtverwaltung wird nicht abgeneigt sein zu prüfen, in wie weit es möglich sein könnte, an gewissen Stellschrauben zu drehen."
50 Kündigungen am Volkstheater? Sewan Latchinian will das verhindern
Solche Forderungen stellt auch der Rostocker Oberbürgermeister, der, wie von der Bürgerschaft beschlossen, die Umstrukturierung des Volkstheaters will. Doch Latchinian weigert sich, nicht immer diplomatisch geschickt. Sein umstrittener Vergleich des OB und der hiesigen Kulturpolitiker mit den IS-Terroristen im Frühjahr dieses Jahres hätte ihn fast den Job gekostet. Den Beschluss der Bürgerschaft umzusetzen, hieße aber 50 betriebsbedingte Kündigungen aussprechen. Die will Latchinian natürlich verhindern.
"So wie auch der Dr. Stockmann versucht, ganz redlich seinen Job zu machen, die ihm übertragene Verantwortung auszufüllen, ähnlich sehe ich meine Berufung als Intendant des Volkstheaters, um hier dem Gemeinwohl zu nützen, das Volkstheater aus der jahrzehntelangen Krise herauszuführen, die Sparten zu bewahren und die 120-jährige Tradition. Wenn die Gegner auch nicht immer fair sind, dann kann sich das natürlich hochschaukeln. Dann gehören die Gegner zwar zusammen und trotzdem sind sie unvereinbar in ihren Positionen."
Der Arzt Dr. Thomas Stockmann, gespielt von Till Demuth, wird, weil er bei der Wahrheit bleibt, zum Volksfeind erklärt. Er stört das Gemeinwohl. Weil er sich nicht fügt.
Ein Konzept zur Umstrukturierung des Volkstheaters hat die Theaterleitung der Stadt inzwischen vorgelegt, musste aber nachbessern. Sewan Latchinian:
"Seit zwei Monaten haben wir nix gehört. Wir haben gedacht, das Schweigen bedeutet ein stillschweigendes Einverständnis. Aber jetzt mussten wir realisieren, dass er unser Gutachten zwei Monate lang in die Schublade gesteckt hat und mit dubiosen externen Experten seinen Wunsch, die Schließung von zwei Sparten, vorangetrieben hat."
Das Theater ignoriere die von der Bürgerschaft beschlossenen Rahmenbedingungen, heißt es dagegen aus der Stadtverwaltung. Der OB lasse jetzt selbst ein Konzept erstellen, sagt sein Sprecher Ulrich Kunze, nicht ohne zu betonen, dass Theater eine freiwillige Aufgabe ist.
"Wenn wir kein Umsetzungskonzept vorlegen, riskieren wir die Zuschüsse und das Budget für das Volkstheater Rostock. Damit riskieren wir die Zunahme der Dynamisierung der Zuschüsse ab 2021 und wir riskieren die Zusage des Landes, sich an einem Theaterneubau zur Hälfte zu beteiligen."
Kein runder Tisch mit dem Oberbürgermeister
Nachdem die Kooperation des Volkstheaters mit dem Staatstheater Schwerin, abgelehnt worden war, gäbe es nur diese Alternative, das Theater zu erhalten, so Kunze. Dass Latchinian, wenn auch gemäßigter, immer wieder in Interviews auf die Stadtverwaltung schimpft, davon halte er gar nichts. Und vielleicht ist das auch der Grund, dass es keinen runden Tisch mit dem OB gibt, um zu verhandeln. Das habe sich nämlich nicht nur der Intendant, sondern auch die Aufsichtsratsvorsitzende des Volkstheaters, Eva-Maria Kröger von den Linken, gewünscht.
"Und jetzt dieser Schritt, ohne Diskussion zu sagen, ich schreibe ein eigenes Papier, das die Anforderungen des Landes erfüllt. Das finde ich unglücklich, weil die Theaterleitung aus dem Prozess genommen wird, die am Ende am besten weiß, wie ein Betrieb funktioniert und wie nicht."
Die Bürgerschaft, die am vergangenen Mittwoch auch die künftige Struktur des Volkstheaters auf der Tagesordnung hatte, hat das getan, was sie fast immer tut: Das Thema Volkstheater vertagt.
Latchinian will sich dem Druck nicht beugen
Für den Erhalt von Tanz- und Musiktheater kämpft auch die vor einem Jahr gegründete Initiative Volkstheater. Sie hat die Rostocker aufgerufen, beginnend mit der heutigen Premiere Sturmwache zu halten. Dabei darf jeder auch seine Meinung zur Theaterpolitik sagen. Auch wenn es die Initiative Volkstheater geschafft hat, das Volkstheaterproblem bundesweit in die Schlagzeilen zu bringen, auch durch die Statements bekannter Schauspieler wie Charly Hübner oder Devid Striesow: Von 200 000 Rostockern kommen zu den Demonstrationen nicht einmal 1000. Und die, die da sind, sind naturgemäß vor allem Theatermitarbeiter und deren Familienangehörige. Das Volkstheater hat längst nicht das Interesse, das sich Intendant und die Mitglieder der Initiative so sehr wünschen. Stadtsprecher Ulrich Kunze:
"Das große Problem von Theater in Rostock ist, dass sich viele Rostocker eine Stadt ohne ihr Theater nicht vorstellen wollen, was aber noch längst nicht heißt, dass sie dann auch regelmäßig hingehen wollen. Vielleicht ist die Öffnung des Theaters hin zu neuen Zielgruppen der Weg, den man auch in Zukunft weiter beschreiten könnte.
Der zum Volksfeind erklärte Arzt Dr. Stockmann soll am Ende des Stücks widerrufen. Doch er bleibt bei seiner Überzeugung.
Auch Volkstheaterintendant Latchinian will sich dem Druck aus der Stadtverwaltung nicht beugen:
"Wenn es wirklich passiert, dass zwei Sparten geschlossen werden müssen – nicht mit mir."
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