Flimmern in Zempow

Einziges Autokino der DDR macht wieder Programm

11:02 Minuten
Der Einfahrtsbereich des Autokinos Zempow. An einem Schenkel des Baus ist die Einfahrt, an der Wand des anderen hängt ein Programmkasten.
Die Menschen der Region haben schöne Erinnerungen an das einzige Autokino der DDR. © imago / Frank Sorge
Von Vanja Budde · 10.06.2021
Audio herunterladen
Heinz Mögelin gründete in den 70er-Jahren das einzige Autokino der DDR. In der Provinz, was durchaus sein Gutes hatte. Irgendwann war Schluss, das Kino auf der Wiese nur noch in Erinnerungen lebendig. Dann kam Denise Grduszak und das Kino lebt wieder.
Mühsam zieht Denise Grduszak per Handkurbel die verblichenen hölzernen Fensterläden hoch. "Hier haben wir die letzte Woche ordentlich aufgeräumt und ein bisschen gestrichen. Von hier aus wird dann projiziert und jetzt gibt es diese tolle alte Kurbel."
An Filmabenden kann dann der Lichtstrahl des Beamers auf die 60 Meter entfernte Leinwand fallen. Die Kurbel ist genauso alt wie der Bungalow, der als Vorführraum dient: Das Autokino Zempow wurde 1974 gegründet.
"Das ist die Vorführklappe", aber da müsse man sich dringend noch etwas einfallen lassen, denn es sei sehr mühsam. "Jetzt lasse ich die noch mal runter. Wenn das während der Vorstellung runter kracht, dann habe ich natürlich ein Problem. Denn dann steht hier der Beamer. Das aber ist bislang noch nicht passiert."

Autokino auf der terrassierten Wiese

Der marode Bungalow und das alte Sofa täuschen: Das Autokino Zempow ist quicklebendig. Der Blue Ray-Beamer ist einer von der teuren Sorte und darum erst einmal ausgeliehen. Die Leinwand ist funkelnagelneu und beeindruckend riesig: 21 mal 9 Meter.
Das Kinogelände liegt in Brandenburg am Rand des winzigen Ortes Zempow, unmittelbar an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern, mitten in der idyllischen Mecklenburger Seenplatte: Eine große, vom Gründer geschickt terrassierte Wiese, von hohen Bäumen umstanden. In denen hat der selten gewordene Wiedehopf eine Heimstatt gefunden, wie die Mitglieder des Dorfkulturvereins stolz berichten.
Seit zwei Jahren betreiben sie das Kino ehrenamtlich. Im Gras steht ein Bollerwagen, mit dem haben sie im vergangenen Sommer die Getränke verkauft. Demnächst soll es eine kleine Bar geben, und Grillwurst statt nur Chips und Popcorn. Ein paar Campingstellplätze für Wohnmobile sind geplant.
Schon heute kann man nach der Vorstellung noch am Lagerfeuer sitzen und quatschen. "Kino ist viel mehr, als nur einen Film zu schauen. Es ist das ganze Drumherum, also die Gemeinschaft, die den Film stemmt und diese Vorführung möglich macht. Das Reden darüber im Anschluss. Die Auswahl." An die einzelnen Filme könne sie sich nicht erinnern, sagt Ulrike Rott, heute 55.

Großes Kino in der DDR

Sie lebte schon damals und wohnt auch heute noch im Nachbardorf Flecken Zechlin. "Aber ich weiß, wir waren immer eine große Clique." Damals seien sie noch nicht mit Auto, sondern mit Mopeds gekommen. "Das muss so 79, 80, 81, 82 in dem Dreh gewesen sein. Das war immer so ein kleines Highlight für uns. Kino war immer speziell und gerade auch mit dem Imbiss, das fanden wir alles toll."
Andere auch: Vor dem Imbiss stand meist eine lange Schlange von Urlaubern aus den Ferienheimen ringsum. Viele kamen aus fernen Großstädten wie Dresden oder Leipzig. Wenn Pommes, Bier und Limo gebunkert waren, machte es sich die Dorfjugend auf Decken vor der Leinwand bequem, rund 200 Autos standen hinter ihnen auf der Wiese.
Fünf Menschen vor einem Schild im einer Wiesen- und Waldlandschaft. Auf einem Schild steht "Kinoton über Autoradio 92,6 Mhz"
Ulrike Rott steht ganz links neben Marina Gensch, Denise Grduszak sitzt und Wilhelm Schäkel steht rechts. © Deutschlandradio / Vanja Budde
Dass die Filmauswahl in der Tat speziell und oft auch sehr politisch war, das stand für sie damals nicht so im Vordergrund, gesteht Ulrike Rott grinsend. "Natürlich kam auch die eine oder andere Begegnung, man hat sich gefreut auf den Abend." Und klar: "Es gab auch die eine oder andere Knutscherei."

Landfilmvorführer Heinz Mögelin

Die Leinwand war aus Segeltuch und motorbetrieben. Den Mechanismus hatte sich Kinogründer Heinz Mögelin ausgedacht, ein Tüftler und Landfilmvorführer aus Zempow.
Landfilmvorführer brachten in der DDR Sommerkino in fast jedes Dorf. Der Legende nach erfand Heinz Mögelin 1974 an einem Abend das Autokino, als die Filmvorführung auf dem Dorfplatz im Regen unterzugehen drohte und alle in ihre Autos sprangen und weiter guckten.
Mögelin reiste also in den Westen – angeblich auf Verwandtenbesuch – und schaute sich dort Autokinos an. So inspiriert, baute er das Gelände am Rand von Zempow aus.
Er war ein umtriebiger und auch mutiger Mann, denn Heinz Mögelin zeigte damals Filme, die in der DDR eigentlich verboten waren, erzählt Marina Gensch, heute 69 Jahre alt: "Diese abgelegene Lage von Zempow wurde auch ein bisschen ausgenutzt, um mal ein paar Filme zu zeigen, die man woanders so nicht zeigen konnte. Zum Beispiel auch 'Druskat', der nach einmal zeigen im Grunde genommen verboten wurde und hier im Autokino gezeigt wurde. Das hat mich sehr gereizt."

Kritik in verschlüsselter Form

"Daniel Druskat", "Spur der Steine", "Die Legende von Paul und Paula": Für Marina Gensch waren das Autokino und sein Publikum Gründe dafür, 1987 aus Ostberlin nach Zempow zu ziehen und in dem 120-Seelen-Dörfchen ein Galeriecafé zu gründen.
"In der DDR hatte man eine andere Form der Kritik und der Möglichkeit, Kritik zu äußern, oft in sehr verschlüsselter Form", sagt Gensch. "Das konnte man dann natürlich über solche Filme machen und dann hier eben auch den Austausch so ein bisschen genießen."
Autokino in Zempow im Norden Brandenburgs, 1990.
Das Autokino im Norden Brandenburgs 1990. © akg-images / Peter Hebler
Die Staatssicherheit sei damals immer mit dabei gewesen, habe aber nicht eingegriffen, erzählt Wilhelm Schäkel, der heutige Besitzer des Geländes. "Man konnte nicht richtig was dagegen machen, weil 30.000 Besucher, Feriengäste. Das Stasi-Auto stand hier immer da, aber wenn die Leute durch das Tor gekommen sind, hatten sie ein Gefühl von Freiheit."
Es sei klar gewesen, dass man die Gäste im Urlaub nicht zu sehr herausfordert, sondern dass es einfach entspannt ist, sagt er lachend. "Insofern hatte das vorne so ein bisschen was von einem Grenzposten, über den man schreitet, der Eingang. Dann war man halt hier im Autokino."
Das Kino lief nach der Wende noch eine ganze Weile sehr erfolgreich weiter. In manchem Sommer kamen bis zu 56.000 Gäste, erzählt Schäkel. Trabis, Wartburgs und die neuen Westautos stauten sich bunt gemischt auf der Dorfstraße. Doch der Gründer ging irgendwann in Rente.

Umbrüche und Neuerungen

Neue Pächter übernahmen, mit Folgen für das Programm, wie Marina Gensch sich grausend erzählt. "Dann wurden eigentlich nur noch so Actionfilme gezeigt. Am Anfang lief auch noch "Otto, der Film" und so was, da standen die Leute hier Schlange bis ans Ortsende." Ihr Café sei dann als Toilettenbude genutzt worden. "Also, es war unglaublich. Ich dachte 'meine Grube, meine Grube' – ich hatte noch nicht die Kläranlage – das ist furchtbar, gleich ist sie voll."
Wilhelm Schäkel kam 1992 nach Zempow, um einen Biohof aufzubauen. Er ging damals lange Jahre nicht wegen der Filme ins Autokino, sondern weil es ihm vor der Vorführung als Kneipenersatz diente. Denn fast ausnahmslos alle Gaststätten machten nach der Wende dicht.
Klimatisierte Kinos mit Dolby-Stereo-Ton machten in den umliegenden Städten auf, das Streaming im Internet hielt Einzug, in Zempow lief vor immer weniger Publikum nur noch ein Film in der Woche, meistens Komödien. 2017 stellte das Autokino dann den Betrieb ein, ein Jahr später starb sein Gründer Heinz Mögelin.

Erst die Doktorarbeit, dann das Kino

Das Gelände blieb zwar bekannt, weil ein großer Flohmarkt die Menschen weiterhin anlockte, aber Filme konnte man hier nicht mehr gucken. Bis die Kino-verliebte Denise Grduszak in dem lauschigen Weiler Urlaub machte. Wie es der Zufall wollte, auf dem Hof von Wilhelm Schäkel. Der bietet nämlich für Großstadtmüde auch Gästezimmer an.
Eines Abends saßen die beiden mit einer Flasche Rotwein am Lagerfeuer. "Dann kam raus, ihm gehört jetzt das Gelände. Da habe ich gesagt, Du, wenn ich meine Doktorarbeit fertig habe, dann machen wir dieses Kino wieder groß und wir machen das wieder auf, weil das so toll ist. Ich will das unbedingt machen."
So geschah es: Grduszak nahm ihren Zweitwohnsitz in Zempow, wurde Mitglied im Dorfkulturverein. Der warb erfolgreich Fördermittel in der Landeshauptstadt Potsdam ein. Für den Juli vergangenen Jahres war eine Großveranstaltung geplant: eine Ausstellung über die Geschichte des Autokinos mit drei Filmvorführungen. Die Förderung wurde am 4. März 2020 zugesagt. Dann kam Corona.

Hygienekonzept und Tonkonzept

Nach dem ersten Schock des Lockdowns schrieb der Dorfkulturverein ein Hygienekonzept, ließ eine Homepage für die Online-Kartenreservierung bauen und schaffte es, die Fördermittel umzuwidmen, die neue große Leinwand zu finanzieren und den Sound via Radiofrequenz zu organisieren, sodass die Besucher den Filmton übers Autoradio hören können.
Den ganzen Sommer 2020 war Programm. Der Kraftakt lohnte sich: Knapp 4.000 Besucher sahen die 74 Filme. "'Die Känguru-Chroniken' ist eingeschlagen wie nix. Wir haben natürlich die Cannes-Gewinner der letzten Jahre gezeigt, viel Arthouse-Kino, Jim Jarmusch, Lieblingsfilme", berichtet Grduszak.
"Wir haben aber auch Klassiker gezeigt: 'Spiel mir das Lied vom Tod', 'Paul und Paula' lief wieder, 'Sieben Sommersprossen'. Also wir haben so ein bisschen versucht, alles abzudecken, was ein bisschen Anspruch hat, aber auch unterhaltsam ist. Die Komödien haben immer am meisten gezogen."
Denise Grduszak erzählt, während sie die Plakate für diese Saison neu klebt: Einige programmierte Filme haben sie dann doch nicht bekommen. Der Verleih war zu teuer für das älteste Autokino des Ostens.

Abspielring mit andern Kinos

Sie haben sich darum mit den Abspielringen Mecklenburg zusammengetan: Das sind 70 kleine Kinos und andere Partner, um gute Filme auf dem Dorf zu zeigen. Man teilt sich die Verleihgebühr und der Streifen geht dann reihum.
"Wir können jetzt richtig loslegen", sagt die kinobegeisterte Macherin. "Wir haben jetzt die richtigen Kanäle und ich gehe eigentlich davon aus, dass dieses Jahr schon mindestens 6.000, im besten Fall aber vielleicht auch 7.000 Leute kommen."
Mehr zum Thema