Fisch aus dem Labor

Mit dem Bioreaktor gegen die Ernährungskrise

07:47 Minuten
Ein halb aufgegessener Fisch auf einem Teller.
Klar ist: Auch künstlicher Fisch muss am Ende nach Fisch schmecken. © imago / fStop Images / Malte Müller
Von Christoph Kersting · 01.06.2021
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2013 sorgte das erste Laborfleisch weltweit für Aufsehen. Inzwischen können in Restaurants künstliche Chicken Nuggets geordert werden. In Zukunft soll das Angebot um Fisch aus dem Labor erweitert werden. Daran arbeitet auch ein Start-up aus Lübeck.
"Wir haben jetzt hier auch unterschiedliche Brutschränke, je nachdem, wie wir die Zellen kultivieren", erklärt Sebastian Rakers. Sein Geschäftsmodell schwimmt in einer rötlichen Flüssigkeit, die der Zellbiologe gerade aus einem kalten Brutschrank geholt hat.
Dass die Farbe dabei irgendwie an Lachs erinnert, ist eher Zufall – passt aber gut: Denn die Flasche enthält tatsächlich Bestandteile des Edelfisches, genauer: Muskelzellen, die unter dem Mikroskop gut sichtbar sind. "Also das ist Salmosalar-Muskel, also vom Muskel abstammend", sagt er.

Stammzellen bauen frisches Gewebe auf

Im Brutschrank der Lübecker Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie und Zelltechnik, kurz EMB, lagern auch noch Fett- und Bindegewebszellen. Sie werden Fischen durch eine Biopsie entnommen, ohne dass die Tiere hierfür getötet werden. Übrig bleiben in der künstlichen Umgebung nur sogenannte Stammzellen, der Rest stirbt ab.
Und genau auf diese Zellform haben es die Wissenschaftler abgesehen, denn nur Stammzellen sind in der Lage sich massenhaft zu vermehren und so frisches Gewebe aufzubauen, Muskelfleisch etwa. Das, erläutert Rakers, funktioniere so einfach allerdings nur im Fisch, nicht aber "in vitro", also in künstlicher Umgebung.
"Sie müssen sich vorstellen: Im Fisch sitzt die Zelle gemütlich in einem Gewebe und bekommt Signale, damit sie weiß, was sie zu tun hat. Das sind Signale, die kommen durch den Blutstrom, durch den Nährstoffstrom, durch Hormone", erläutert er.
Sebastian Rakers hält einen durchsichtigen Behälter mit einer rötlichen Flüssigkeit nach oben.
Forschungsobjekt Laborfisch: In zwei bis drei Jahren wolle man marktreife Produkte präsentieren, sagt Sebastian Rakers.© Deutschlandradio / Christoph Kersting
"Jetzt entnehmen sie diesen Zellhaufen, und diese Zellen wissen erst mal gar nicht: Äh, was passiert hier? Und jetzt geht es darum, den Zellen die Signale zu vermitteln: Hey, ihr müsst euch teilen. Darum geht es: diese Stammzellen-Population zu erhalten und diese dazu zu bewegen, effizient Zellbiomasse aufzubauen."

Ein Bioreaktor mit speziellem Nährmedium

Das geschieht in einem Bioreaktor, der im Lübecker Fraunhofer-Institut ein Stockwerk tiefer steht. Ein spezielles Nährmedium regt hier die Stammzellen an, sich massenhaft zu vermehren. Entscheidend für diesen Prozess: so genanntes fetales Kälberserum, ohne das auch kein im Labor gezüchteter Rinder- oder Hühnchen-Burger auskommt.
Das Serum wird schwangeren Kühen in Schlachthöfen entnommen, Sebastian Rakers und sein Team arbeiten aber an pflanzlichen Alternativen zum Kälberserum. Der 40-Jährige ist jedenfalls überzeugt vom Produkt "Fisch aus dem Labor" und hat mit einem Partner das Start-up Bluu Biosciences gegründet: Das erste europäische Unternehmen, das zellbasierten Fisch entwickelt und auf den Markt bringen will.
Bisherige Laborversuche mit Zellen von Lachs, Karpfen und Forelle sind laut Rakers vielversprechend, in zwei bis drei Jahren wolle man marktreife Produkte präsentieren:
"Unser Ziel ist es, zunächst mit unstrukturierten Produkten an den Markt zu gehen, das heißt, etwas wie ein Fischbällchen oder eine Fischpaste, die Sie weiterverarbeiten können. Denn es wird ungleich komplexer, wenn man gleich ein Fischfilet herstellen möchte. Da kommt dann das Thema: Wie kriege ich diese richtige Struktur hin?"
Klar ist: Auch künstlicher Fisch muss am Ende nach Fisch schmecken. Im Fall von In-vitro-Fleisch scheint das ganz gut zu gelingen, bei Verkostungen jedenfalls kommen künstliche Buletten und Chicken Nuggets bislang erstaunlich gut weg.

"Die Meere sind überfischt"

Auch Nick Lin-Hi ist sich sicher: Künstliche, zellbasierte Fisch- und Fleischprodukte werden mittel- und langfristig auf den Markt kommen und sich dort behaupten können. Lin-Hi lehrt Wirtschaft und Ethik an der niedersächsischen Uni Vechta und forscht zu Themen wie nachhaltiger Konsum und kultiviertes Fleisch.
"Das Erste ist natürlich: Wir haben hier die Möglichkeit, weltweite Nahrungssicherheit zu befördern. Also wir wissen ja: Die Meere sind überfischt. Viele Speisefische sind wirklich im Grenzbereich mittlerweile, und das ist hier eine Möglichkeit, genau das zu entlasten. Wenn wir das Thema Klimawandel mit reinnehmen, wird es ja gerade so sein, dass dieser vor allen Dingen zu massiven Problemen, Verwerfungen in afrikanischen Ländern führen wird", erklärt er.
"Wir werden dort den Verlust von Agrarflächen haben, und entsprechend haben wir dann die Frage: Wo bekommen wir das tierische Protein her? Und genau da kommt dann so etwas rein wie kultivierter Fisch, kultiviertes Fleisch, weil ich es eben unabhängig von klimatischen Bedingungen erzeugen kann. Und wir reden ja von fast zehn Milliarden Menschen bis 2050, und die müssen wir irgendwie satt kriegen, und das kriegen wir mit der heutigen Art und Weise der Nahrungsmittelproduktion gar nicht hin."
Hinzu kommen laut dem Wirtschaftsexperten Lin-Hi noch andere Faktoren: der nachweislich hohe CO2-Ausstoß durch Massentierhaltung und nicht zuletzt gesundheitliche Fragen, die zunehmende Belastung von Seefisch durch Mikroplastik etwa.

Energieaufwand bisher schwer abzuschätzen

Es spricht einiges für Fisch und Fleisch aus dem Labor, das sieht auch Silvia Woll so. Die Technikphilosophin vom Karlsruher Institut für Technologie KIT gibt aber zu bedenken: Auch In-vitro-Produkte seien keine Heilsbringer, das Thema Energieverbrauch etwa sei bislang eine Rechnung mit vielen Unbekannten.
"Der erste In-vitro-Fleisch-Burger, der ja 2013 von Mark Post hergestellt wurde, das waren zwei Burger-Patties, und die sind beide in der Petrischale gezüchtet worden. Wenn wir jetzt tatsächlich eine Stadt ernähren wollen, dann wird das nicht in der Petrischale funktionieren. Dafür brauchen wir Bioreaktoren. Bioreaktoren kennt man eigentlich schon lange, die kennt man aus der Medizin", erklärt sie.
"In der Medizin wird schon lange Gewebe gezüchtet, aber natürlich in sehr kleinen Mengen, da züchtet man mal zu Forschungszwecken ein Stück Haut, ein Stück Leber. Entsprechend gibt es solche großen Bioreaktoren bislang noch gar nicht. Und da es den Reaktor als solchen noch gar nicht gibt, ist es auch sehr schwer abzuschätzen, wie viel Energie der am Ende verbrauchen wird. Aber es wird auf jeden Fall ein deutliches Mehr sein an Energie als in der konventionellen Landwirtschaft."
Für eine Studie zum Thema In-vitro-Fleisch hat Silvia Woll mit ihrem Team auch Diskussionsrunden mit Experten und Konsumenten organisiert. Die Karlsruher Forscherinnen wollten wissen: Was denken die Leute über Fleisch oder Fisch aus dem Labor? Würden sie es probieren? Spontane Reaktion bei den meisten Menschen: nein, danke.

Mögliche Alternative zur Massentierhaltung

Fleisch aus dem Labor, klingt doch eher abstoßend – aber: "Wenn man dann anfängt, mit den Leuten zu reden und ihnen zu erklären, was genau In-vitro-Fleisch denn eigentlich ist und mit welchen Vorteilen es einhergehen könnte, dann fangen die Leute schon auch an drüber nachzudenken: Naja, ok, wenn das wirklich alles so funktioniert, dann könnte ich es mit vielleicht doch vorstellen", erzählt Silvia Woll.
Der Erfolg von Fisch aus dem Labor wird natürlich auch vom Preis abhängen. Der werde, kündigt Firmengründer Sebastian Rakers an, irgendwann sogar unter dem von herkömmlichem Fisch liegen.
"Wir werden nicht jeden damit einsammeln können", gibt er zu. "Es wird immer auch Leute geben, die sagen: Nein, ich möchte mich rein vegan ernähren, und das ist vollkommen in Ordnung. Aber so ein Angebot zu schaffen für Leute, die sagen: Ich esse gerne Fleisch, ich esse gerne Fisch, und ich will mich aber in Zukunft nachhaltiger ernähren, weil ich möchte nicht, dass es zu einer Massentierhaltung kommt, dass wir unsere Ressourcen so ausbeuten, und dafür möchten wir Angebote schaffen."
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