Finanzen

Eine Verteidigung der Kirchensteuer

Moderation: Philipp Gessler |
Der katholischen Kirche stehen unruhige Zeiten bevor. In Deutschland könnte die Kirchensteuer infrage gestellt werden. Matthias Drobinski hält das Kirchensteuersystem jedoch für sinnig und "einigermaßen gerecht".
Philipp Gessler: Im vergangenen Jahr haben wir in Deutschland viel über die Macht – und vor allem das Geld! – der beiden großen Volkskirchen gesprochen. Der Anlass war, klar, die Protzerei dieses hessischen Oberhirten, der es mit dem christlichen Gebot der Demut und der rechtlichen Pflicht der finanziellen Klarheit nicht so genau nahm. Der Münchner Journalist Matthias Drobinski, Redakteur der "Süddeutschen Zeitung" und einer der besten Kenner der Kirchen hierzulande, hat schon Monate vor diesem Skandal eine gute Nase bewiesen und die Recherchen zu einem Buch begonnen, in dem es genau um Brisantes bei den Kirchen hierzulande geht, genauer: um ihre Macht und ihr Geld.
Gerade rechtzeitig und aktualisiert um den Skandal in Limburg um Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst hat er sein Buch nun vorgelegt. Mit Matthias Drobinski habe ich vor der Sendung über das brisante Thema Macht und Geld in den Kirchen gesprochen. Meine erste Frage an ihn war, ob er glaube, dass die katholische Kirche in Deutschland zu reich sei.
Matthias Drobinski: Ja, Reichtum ist immer relativ. Es ist natürlich eine sehr reiche Kirche in einer sehr reichen Gesellschaft. Dieser Reichtum ist nicht obszön, man kann jetzt nicht sagen, dass dir Kirche, sagen wir mal, mit großen Händen Geld herauswirft oder prasst, während Leute in Armut leben, das ist in Deutschland natürlich nicht der Fall. Es gibt die Ausnahme von Tebartz-van Elst, wo es immer die Debatte gibt, wie verschwenderisch hat der nun gelebt oder nicht. Aber ansonsten, kann man sagen, sind die reich.
Nicht obszön reich, ich glaube, sie werden einfach auch einen Teil dieses Reichtums verlieren. Einfach weil die Gesellschaft sich wandelt, weil die Zahl der Kirchenmitglieder zurückgeht. Deswegen werden sie sich darauf einstellen müssen, mit deutlich weniger Geld und deutlich weniger Macht auszukommen, und das muss nicht das Schlechteste sein. In diesem Sinne, kann man sagen, wird es da sicher einen Schrumpfungs- und einen Zurückgehprozess geben, der manchmal sehr heilsam für die Kirche sein kann, die dann in bestimmten Bereichen auch sehr beamtenmäßig rüberkommt.
Gessler: Die arme Kirche für die Armen, das ist ja das große Reformprojekt von Papst Franziskus. Die wird wahrscheinlich dann auch die katholische Kirche in Deutschland verändern. Glauben Sie, dass gerade die hiesige katholische Kirche darauf eingestellt ist, ihren Reichtum aufzugeben und tatsächlich, wie Franziskus das fordert, an die Ränder der Gesellschaft zu gehen?
Drobinski: Also, im Grunde stehen wir ja vor so einer Art neuen Armutsstreit, wenn man so will, also, soll die Kirche arm sein, um aus der Perspektive der Armen sehen zu können? Das verändert ja auch die Wahrnehmung, das Sehen. Die deutsche Kirche sagt eher andersherum, wir sind diejenigen, die reich sind und als Reiche auch Gutes tun können. Das ist ja auch legitim, zu sagen, wir können die Dritte Welt unterstützen, indem wir sozusagen Umverteilung organisieren. Das macht sie auch sehr engagiert, sehr gut. Aber tatsächlich steckt da ja noch was anderes dahinter, nämlich die Frage, wie gehen wir mit unserem Geld, unserem Reichtum um? Also, wie nehmen wir den wahr, wie bewerten wir den theologisch? Sagen wir einfach, das ist halt so, das haben wir, oder wird uns bewusst, dass wir Teile eines im Grunde ungerechten Geldsystems sind, das auf Kosten der jüngeren Generationen und auf Kosten der Umwelt lebt? Dann hat man schon eine andere Perspektive, ein anderes Bewusstsein. Man muss das Geld nicht wegschmeißen, aber natürlich uns dann immer viel stärker fragen: Was machen wir damit?
Gessler: Vielleicht kann man noch ergänzen, auch eines Geldsystems oder eines Weltwirtschaftssystems, das auch auf Kosten der Ärmsten der Armen, eben im Süden der Welt geht!
Drobinski: Ja, das ist ja die Perspektive auch von Jorge Mario Bergoglio, also dem Papst Franziskus, der eben aus dem Süden kommt, der sozusagen die Schattenseiten auch dieses Systems sieht, der diesen sehr harten Satz gesagt hat: "Dieses Wirtschaftssystem tötet!". Da würde bei uns selbst die Linkspartei rote Ohren kriegen, wenn sie das sagen würde! Natürlich ist diese Radikalität der Botschaft in Deutschland noch nicht so richtig angekommen. Da wird so ein bisschen dann gesagt, na ja, das hat er jetzt ein bisschen stark ausgedrückt. Aber wenn man das ernst nimmt, dann stehen der katholischen Kirche schon auch unruhige Zeiten bevor. Also, übernimmt sie diesen Satz und sagt das auch bei Empfängen irgendwie mal Wirtschaftspolitikern, oder sagt sie halt, na ja, das sagt der Papst halt so, weil er halt so ist, und das müssen wir nicht stärker ernst nehmen.
Kirchensteuersystem in Deutschland ist einmalig
Gessler: Sie verteidigen ja in Ihrem Buch das weltweit praktisch einmalige Kirchensteuersystem in Deutschland. Sie erklären es zumindest als historisch gewachsen, als nicht unbedingt ungerecht. Glauben Sie trotzdem, dass dieses Kirchensteuersystem auf Dauer zu halten sein wird?
Drobinski: Ja, ob das auf Dauer bleibt, das ist genau die Frage. Also, im Augenblick funktioniert das ziemlich gut, kann man sagen. Also, der Staat sammelt für die Kirchen Kirchensteuer ein, wer das nicht will, kann austreten, das ist ja auch völlig okay. Das ist an die Einkommenssteuer gekoppelt, das heißt, es ist sozial auch einigermaßen gerecht, also gerecht oder ungerecht wie die Einkommenssteuer, die Kirchen müssen sich kein eigenes Gerechtigkeitssystem ausdenken. Und der Staat macht sogar noch einen kleinen Gewinn dadurch, dass die Kirchen einen Teil des Geldes, das der Staat für sie einsammelt, auch beim Staat belassen, und das ist aber höher, als das Einsammeln selber kostet.
Also, von daher gibt es sogar einen kleinen Gewinn am Ende. Aber es gibt einfach zwei Fragen: Die eine ist natürlich, aus Sicht der Kirchen glaubt nur, wer zahlt, also, kann man tatsächlich so eine Art Vereinsmitgliedschaft an die Heilgemeinschaft binden. Und je weniger diese Bindung verstanden wird auch von Katholiken, umso prekärer, umso bröckeliger wird die auch werden in den nächsten Jahren. Und da kann ich mir schon vorstellen, dass auch da selbst bei Christen selber die Frage kommt: Brauchen wir dieses Steuersystem noch? Brauchen wir diese enge Bindung noch? Müssen wir etwas eigenes entwickeln oder etwas entwickeln, was halt eine Alternative dazu sein könnte? Ich denke mir, so in 20, 25 Jahren könnte es so weit sein, dass man über diese Dinge auch noch mal ganz anders diskutiert als heute. Aber im Augenblick, das stimmt, steht das natürlich sehr sicher und sehr fest und auch sehr effizient.
Gessler: Wenn man sich das zum Beispiel anschaut in Frankreich, da ist die katholische Kirche ja zum Teil bettelarm und selbst Priester müssen zum Staat gehen, um so eine Art Sozialhilfe zu kommen, damit sie über die Runden kommen. Also, das ist nicht unbedingt das anstrebenswerte Modell, oder?
Drobinski: Das muss nicht unbedingt das anstrebenswerte Modell sein. Also, ein Priester, der arm ist – man kann jetzt sagen, es gibt ja evangelische und katholische Gemeinde, evangelische, katholische Geistliche –, also, sagen wir mal, ein evangelischer Geistlicher, der seine Familie nicht mehr ordentlich ernähren kann, das ist vielleicht auch nicht das Ideal. Armut alleine, kann man auch jetzt andersherum sagen, macht auch noch nicht einen guten Menschen.
Gessler: Aber die Staatsleistungen, die ja für viele tatsächlich als ein Zeichen der Ungerechtigkeit des deutschen Kirche-Staat-Systems gelten, die werden wahrscheinlich nicht zu halten sein? Also, Staatsleistungen, diese Leistungen, die die Kirchen aufgrund der Enteignung vor 200 Jahren immer noch bekommen?
Drobinski: Ja, die sind erst mal ein Rechtsanspruch, da kann man sagen, okay, Verträge sind auch zu halten, das ist auch ganz gut so, dass sozusagen die Kirchen hier auch nicht einfach enteignet werden können und der Staat sagt, das sacken wir jetzt selber ein. Also, da bin ich Vertreter des Rechtstaatsgedankens, also, wenn das nun einmal deren Anspruch ist, dann haben die das, das ist das eine. Das andere ist aber, sie sind eben kaum noch zu erklären. Also, warum soll in Bayern der Staat die Renovierung der Pfarrhäuser bezahlen, nicht aber die Toilettenheizung? Also, das steht da drin, dafür muss dann die Kirche aufkommen. Da sieht man, das ist irgendwann mal vor 200 Jahren formuliert worden, von Vertrag zu Vertrag gekommen, und irgendwann machte sich keiner mehr große Gedanken. Ich glaube, da muss man sich irgendwelche Modelle überlegen, wie man das ablöst. Also, die eine Variante ist, dass man sagt, es läuft halt aus.
Es gibt so Juristen, die rechnen, dass man sagt, 20 bis 25 Jahresraten wäre ungefähr die Ablösung, warum sagt man dann nicht, das läuft noch 20 Jahre, dann ist es vorbei. Eine andere Variante, die der Thomas von Mitschke-Collande, ein alter McKinsey-Direktor, der die Kirchen noch beraten hat, vorgeschlagen hat, das finde ich eine ganz schöne Idee, der sagt, die Kirchen verzichten darauf, der Staat sackt es aber nicht einfach ein, sondern zahlt es in einen Fonds. Und dieser Fonds ist für Dinge da, die der Staat nicht so einfach finanzieren kann, also sagen wir mal, für Hausaufgabenhilfe, für Obdachlosenhilfe, für unbürokratische Hilfen da, wo vielleicht die Rechtslage schwierig ist, oder für Kulturereignisse, wo vielleicht eine Kommune nicht so Geld für hat. Das finde ich eine gute Idee, dass man da sagt, man geht kreativ mit diesem Geld um. Die Kirchen werden ein Stück ärmer, diese Staatsleistungen sind ja nicht viel, das sind fünf Prozent der Kirchensteuereinnahmen. Also, um diese fünf Prozent wird die Kirche ärmer, um beispielhaft zu zeigen, wir gehen anders mit Geld um. Das wäre echt ein Zeichen, da könnte die Kirche sagen, guck mal an, wir sind eben nicht diese reiche, prassende Kirche, sondern wir machen uns Gedanken!
"Die Kirche braucht Grauzonen"
Gessler: Der frühere Papst hat ja bei seiner Deutschland-Reise 2011 in Freiburg von einer Entweltlichung der Kirche geredet und sie gefordert. Das war einerseits negativ zu interpretieren, so nach dem Motto, der will jetzt eine kleine, feine Herde, die sich wirklich so aus der Gesellschaft zurückzieht, das war die negative Interpretation, oder man kann das so interpretieren, wie man vielleicht Bergoglio auch verstehen könnte, eine Entweltlichung im Sinne eben einer armen Kirche für die Armen. Was, glauben Sie, hat damals Papst Benedikt gemeint?
Drobinski: Ich glaube, dass da eben so beide Motive ineinander spielen. Das eine, sicher sind ihm Privilegien zuwider, das merkt man schon, dieses Gefühl, da ist eine reiche, satte Kirche. Zum anderen gibt es bei ihm manchmal schon so den Wunsch, na ja, es ist besser, wenn wir sozusagen 100 Prozent Katholizismus leben und uns von dem trennen, wo wir in Grauzonen kommen. Ich glaube aber, die Kirche braucht Grauzonen, also, muss auch sich den Zonen des nicht reinen Glaubens stellen, auch in den Gemeinden. Nicht jeder Mensch ist gleich gläubig, auch wenn er sich als katholisch empfindet oder als Katholik auch bewusst sieht. Das ist das eine. Das andere ist auch tatsächlich, in diesem Begriff der Entweltlichung, da steckt ja auch was drin. Die Kirche soll ja tatsächlich nie ganz diese Welt sein. Sie soll ja tatsächlich immer auf was anderes verweisen, ohne sich jetzt in die Sakristei zurückzuziehen.
Also, das Christentum war nie eine esoterische Religion, die gesagt hat, wir sind nur für die wenigen hundertprozentig Überzeugten da, dann wäre sie eine kleine Sekte geblieben, sondern sie sagt ja auch ganz bewusst, wir sind für alle da, wir dürfen uns nicht zurückziehen, wir sind auch für die Zweifler, manchmal auch für die Verzweifelten da. Und nicht, indem wir einfach so ein Paket haben, hier, das musst du glauben, sonst gibt es nichts, sondern indem man sagt irgendwie, wir sind so weit in dieser Welt, dass wir alle Brüche, alle Grauzonen, alle Merkwürdigkeiten dieser Welt auch kennen. Das wäre schlimm, wenn die Kirche das aufgeben würde.
Gessler: Jetzt springen ja viele Bischöfe auf den Bergoglio-Zug auf, die sich vorher nicht getraut haben, auch nur ein Sterbenswörtchen gegen Papst Benedikt zu sagen. Warum haben die Bischöfe hierzulande, oder viele von ihnen, so wenig Mut?
Drobinski: Ja, das hat verschiedene Gründe. Das eine ist natürlich schon, dass sich viele auch in so einer Loyalität dem Papst gegenüber fühlen, den kritisiert man erst mal nach außen hin nicht. Das Gefühl, was ich aber auch letztlich falsch finde. Loyalität bedeutet ja nicht immer Kritiklosigkeit, das ist, glaube ich, eine der Verwechslungen. Da dürfen wir nach außen hin kein Blatt Papier zwischen uns und den Heiligen Vater kommen lassen, das spielte sicher auch bei einigen eine Rolle. Dann auch das Gefühl, wir sind in so einer besonderen Welt auch groß geworden. Viele Bischöfe haben ja auch ein ganz eigenes Leben gehabt, also vom Priesterseminar, als Priester leben, zum Teil in Rom auch ausgebildet. Und da dieses Gefühl, wir müssen zu dieser Kirche halten, das ist vielleicht wichtiger als Dinge zu sagen, die uns schmerzen. Da ist so eine Mentalität gewachsen.
Man kann sagen, das ist manchmal mangelnder Mut, das kommt sicher auch dazu, dass Kirchen dazu neigen zu harmonisieren oder Konflikte auch zu verschweigen, aber zum Teil auch, dass diese kritische Loyalität, so zu sagen, ich halte aus vollem Herzen zu diesem Laden, genau deshalb muss ich was kritisieren, das ist, glaube ich, unterbelichtet auch bei vielen Bischöfen. Vielleicht ändert sich das in der nächsten Generation, das kann natürlich sein, wir stehen ja in der katholischen auch in den nächsten zwei, drei Jahren vor einem Generationenwechsel. Und da bin ich mal gespannt, ob das zunimmt, dann wird es natürlich auch eine Auseinandersetzung geben, da werden wir Journalisten vielleicht wieder schreiben, guck mal, Kirche streitet!
Wir haben ja auch eine merkwürdige Doppelrolle, einerseits beklagen wir immer, dass die keinen Mut haben, das schreibe ich ja auch immer wieder mal, haben sie aber mal Mut und sagen verschiedene Dinge, dann sagen wir, guck mal, jetzt streiten sie! Aber im Grunde ist natürlich dieser Streit, diese Auseinandersetzung viel besser als dieser Mehltau, der sich ja über die katholische Kirche gelegt hatte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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