Genug geprotzt

Moderation: Dieter Kassel · 05.11.2013
Den Armen zu helfen, das hält die Erfurter Universitätsprofessorin Elke Mack für das wesentliche Paradigma der katholischen Soziallehre. Sie plädiert für eine Distanz zu materiellen Gütern und eine ethische Unternehmensführung. In Kunst seien genügend Kirchenmittel geflossen, jetzt gelte es, sich den Menschen zuzuwenden.
Dieter Kassel: Papst Franziskus fordert von katholischen Geistlichen, sie mögen konsequent das Gebot der Armut befolgen, und er befolgt es auch selbst, was für einen amtierenden Papst nicht immer einfach ist. Aber wie sieht der katholische Armutsbegriff eigentlich aus und wie verträgt er sich zum Beispiel mit dem Bemühen, die Armut auf der Welt zu bekämpfen? Darüber sprechen wir jetzt mit Elke Mack. Sie hat den Lehrstuhl für Christliche Sozialwissenschaft und Sozialethik an der Universität Erfurt inne. Schönen guten Tag, Frau Mack!

Elke Mack: Grüß Gott, Herr Kassel!

Kassel: Im Juli schon hat der Papst etwas gesagt, was immer und immer wieder zitiert worden ist, er hat nämlich gesagt, es tue ihm weh, wenn er einen Priester oder eine Nonne in einem nagelneuen Auto sehe – so etwas ginge einfach nicht. Er hat das, wie so oft, sehr plakativ formuliert, aber davon mal abgesehen: Hat er damit im Grunde genommen die katholische Ethik, was Armut und weltlichen Besitz angeht, gut zusammengefasst?

Mack: Ja. Er ist natürlich ein sehr strenger Mensch in dieser Hinsicht, denn er ist selbst Jesuit und lebt seit Jahrzehnten den evangelischen Rat der Armut, und zwar der selbst auferlegten Armut, und er fordert das jetzt auch von seinen Bischöfen, im Sinne einer christlichen Bescheidenheit und einer Solidarität mit den Armen zu leben und nicht materielle Verschwendung zu praktizieren.

Kassel: Nun sind aber die Jesuiten ein Teil der katholischen Kirche, aber umgekehrt nicht die gesamte. Wie sieht denn überhaupt die katholische Ethik aus, wenn wir über weltliche Besitztümer reden?

Mack: Ja, die Spannbreite ist groß. Wir haben natürlich, wenn wir zurückblicken auf das Neue Testament, schon eine klare Weisung Jesu Christi, irgendwo einen gewissen Abstand von materiellen Gütern zu wahren und Solidarität mit den Armen zu üben, und sich vor allem um die Armen zu bemühen und die Armen aus ihrer Not zu erretten. Also das würde ich auch für die katholische Soziallehre in Anspruch nehmen wollen: Es ist das wesentliche Paradigma der katholischen Soziallehre, sich um die Armen, die Geschundenen, die Leidenden zu bemühen und denen zu helfen.

Kassel: Aber muss man denn, um Solidarität mit den Armen zu üben, selber arm sein?

"Dass wir zumindest nicht mit dem Wohlstand prassen"
Mack: Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen: Es fällt uns ja in der westlichen Welt sehr schwer, überhaupt arm zu sein. Ich würde mal sagen, das, was Hartz-IV-Empfänger hier in Deutschland haben, ist natürlich für manche Menschen in Afrika schon Überfluss. Aber für uns würde es bedeuten, wenn wir solidarisch mit den Armen sind, dass wir zumindest nicht im Wohlstand prassen, dass wir irgendwo eine gewisse Distanz zu Konsumgütern haben und dass wir jetzt nicht jenseits der Mittelklasse leben. Also das würde ich schon für mich auch selbst in Anspruch nehmen, Distanz zu materiellen Gütern.

Kassel: Aber ist nicht – und dann verspreche ich Ihnen, wir kommen von der Autofrage danach weg –, aber ist nicht ein Bischof, der, sagen wir mal, einen 7er-BMW fährt und sich aber eindeutig um Arme bemüht, in seinem Bistum ebenso wie darüber hinaus, besser als ein Bischof, der einen Kleinwagen fährt und sich aber trotzdem nicht um Arme kümmert?

Mack: Ich glaube, ja, das sehen Sie richtig. Also es liegt nicht am 7er-BMW. Es ist natürlich so, dass Bischöfe im Grunde das Leben von Ministern haben und dass sie unglaublich viel reisen müssen und natürlich auch in ihren Autos arbeiten müssen. Also das geht hin bis zu Faxgeräten oder irgendwo internetfähigen Computern, die vorhanden sein müssen, weil sie eine große Verwaltungseinheit managen. Und deshalb muss man auch sehen, dass Bischöfe irgendwo einen gewissen Komfort brauchen, das gehört einfach zum Arbeitsinstrument dazu. Daran würde ich jetzt den Reichtum nicht festmachen wollen.

Kassel: Wenn man die Diskussion noch einmal in Erinnerung ruft – da muss man sich nicht stark erinnern, sie ist ja kaum vorbei – um Limburg, da ist mir durch den Kopf gegangen: Wäre die öffentliche Debatte immer so verlaufen, wie sie diesmal verlaufen ist, dann hätten wir doch möglicherweise so beeindruckende Gebäude wie den Kölner Dom und das Ulmer Münster und viele andere nicht. Hat es nicht auch Fälle gegeben in der katholischen Kirche gerade, wo in gewissem Sinne schon geprotzt wurde mit dem Reichtum, aber wo trotzdem Sinnvolles entstanden ist?

Mack: Ja, es hat viele Jahrhunderte gegeben, in denen unheimlich viele Kirchenmittel in Kunst geflossen sind. Ich glaube, über die Zeit sind wir hinaus. Wir haben genug Kunstdenkmäler und wir müssen uns jetzt dem Wesentlichen zuwenden, nämlich den Menschen, und genau das möchte Papst Franziskus jetzt wieder erreichen, dass wir uns auf die eigentliche Botschaft besinnen.

Kassel: Ich möchte noch einmal kurz zurückkommen auf die Frage der Armut zum einen als ethische Vorschrift, das werden Sie so nicht unterschreiben, aber als Regel in der Kirche, aber gleichzeitig doch auch einer der größten Aufgaben, die die Kirche sich auch selber auferlegt hat, nämlich Armut in der Welt zu bekämpfen. Solidarität mit Armen kann ja nicht heißen, sie sind arm und wir nehmen sie trotzdem ernst, der Gedanke ist ja gerade auch von Organisationen wie der Caritas und vielen anderen: Wir bekämpfen die Armut. Passt denn das zusammen, zu sagen: Die Armut auf der Welt wollen wir beenden, aber ein Kirchenmann sollte eigentlich arm sein?

Mack: Ja, das passt sehr gut zusammen, auch wenn es widersprüchlich erscheint, denn Armut, existenzielle Armut ist verwerflich, ist katastrophal für Menschen, führt zu frühzeitigem Tod, führt zu vermeidbaren Krankheiten und ist nicht des Menschen würdig. Das, was die Kirche auf der anderen Seite mit dem evangelischen Rat der Armut meint, ist, dass man sich gerade mit diesen Armen, die in Missständen leben, solidarisch zeigt. Und dass man bewusst sich selbst zurücknimmt, um auch zu erfahren, was Armut überhaupt bedeutet. Natürlich ist Armut immer ein Übel und der evangelische Rat der Armut, den man aus Solidarität lebt, ist eigentlich nur ein Zeichen. Man sollte sich deshalb nicht unbedingt knechten. Man will nur ein Zeichen setzen, und man möchte selber verspüren, dass man irgendwo was gemein hat mit den Armen.

Kassel: Wir sprechen heute Nachmittag hier im Deutschlandradio Kultur mit Elke Mack, Professorin für Christliche Sozialwissenschaft und Sozialethik in Erfurt. Und es gibt bei Ihnen an der Universität in Erfurt einen Masterstudiengang "Theologie und Wirtschaft", da hat man natürlich sofort den Verdacht: Gibt es den vielleicht, weil wirtschaftliche Kompetenz in kirchlichen Organisationen, kirchlichen Einrichtungen im Moment noch eine gewisse Seltenheit ist?

Mack: Nein, also das war nicht unser Motiv, den Studiengang einzuführen. Uns ist bewusst, dass die Kirche mit 1,3 Millionen Arbeitnehmern der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland ist, und uns ist bewusst, dass da ein erhebliches Vermögensmanagement hinter stehen muss, genauso wie eine betriebswirtschaftliche Kompetenz erforderlich ist, vor allem in gemeinnützigen kirchlichen Unternehmen, die sich am Markt behaupten müssen. Und da gibt es ein Nachfragedefizit an kompetenten Leuten. Also irgendwo haben sie da entweder professionelle Betriebswirte oder Juristen, die aber dann vielleicht gerade mal einen Taufschein haben, und auf der anderen Seite haben Sie Theologen, die nicht unbedingt wirtschaftswissenschaftliche Kompetenz haben. Und wir wollen diese Lücke füllen, indem wir Menschen ausbilden, die beides können, die sowohl eine christliche Corporate Identity haben, und auf der anderen Seite dann aber auch eine Firma managen können oder ein Krankenhaus führen können.

Kassel: Aber was ist denn ganz konkret dann christliches, vielleicht sogar katholisches Wirtschaften im Vergleich zu weltlichem Wirtschaften?

"Bewusste ethische Unternehmensführung"
Mack: Also es gibt jetzt nichts spezifisch Katholisches, aber es gibt eine bewusste ethische Unternehmensführung. Die kann man sehr wohl praktizieren, indem man sagt, also Gewinnmaximierung ist nicht unser oberstes Ziel, sondern unser Ziel ist es eigentlich, mit marktwirtschaftlichen Methoden Menschen zu helfen. Und das tun Sie natürlich in jedem Krankenhaus, das tun Sie in jeder Sozialstation, in jedem Kindergarten, ja, in jeder pastoralen Einrichtung.

Kassel: Aber sind da nicht auch kirchliche Organisationen in einem Dilemma, weil sie doch in einigen Bereichen tatsächlich in Konkurrenz stehen zu nicht-kirchlichen? Es gibt Vorwürfe, die können – verlange ich jetzt auch nicht von Ihnen – wir jetzt nicht klären, aber Vorwürfe, dass auch in Pflege- und Betreuungsheimen der Caritas nach der Stoppuhr gepflegt wird, es gibt Vorwürfe, dass auch kirchliche Einrichtungen Betriebsräte nicht gerne haben und ihre Arbeitskräfte nicht gut behandeln. Da kann man natürlich sagen: Das darf so nicht sein, das ist nicht das ethische Wirtschaften, das Sie gerade erwähnt haben. Aber andererseits: Die Kirche steht ja nicht allein da auf der Welt und ihre Organisationen auch nicht.

Mack: Also bezüglich des kirchlichen Arbeitsrechtes sehe ich eine erhöhte Bringschuld auf unserer Seite. Aber wenn Sie jetzt zum Beispiel die Stoppuhr ansprechen bei sozialen Diensten – das ist eine Pflicht, die kirchlichen Unternehmen auferlegt wird vom Gesetzgeber, der Bundesrepublik Deutschland, beziehungsweise von den Krankenkassen, die hier dann auch zuständig sind. Und das muss man sehr wohl kritisieren. Es wäre sinnvoller, man könnte sich wirklich den Menschen je nach Bedürfnis widmen.

Kassel: Vom ethischen Wirtschaften mal abgesehen, dient dieser Masterstudiengang an Ihrer Universität auch dem Zweck, ein bisschen mehr Licht zu bringen überhaupt in die finanziellen Verhältnisse der Kirche? Jetzt rede ich doch mal über Limburg, da hatte ich den Eindruck: Einer der Skandale, es waren – wenn man es Skandal nennen will – mehrere auf einmal für mich, war ja auch, dass manchmal niemand so ganz genau erklären kann, was ein Bistum so besitzt, woher es kommt und was mit dem Geld geschieht.

Mack: Ja, also einige Bistümer tun das ja schon, die machen eine offene Bilanz und legen ihre Vermögensverhältnisse transparent und auch ihren laufenden Haushalt. Und ich glaube, der Trend wird dorthin gehen. Ich denke, dass immer mehr Bischöfe dazu übergehen werden, Transparenz zu schaffen. Das würde ich auch für ein sehr hohes Ziel erachten und wichtig, um die Glaubwürdigkeit der Kirche zu erhalten. Das wäre sicherlich in Limburg dann auch für die nächsten Jahre sinnvoll, und ich glaube auch, dass das erfolgen wird.

Kassel: Gehen Sie davon aus, wer diesen Masterstudiengang erfolgreich absolviert in Erfurt, vielleicht auch jenseits der Kirche beliebt ist, dass es andere Arbeitgeber geben könnte, die sagen: Genau diese Kombination möchte ich?

Mack: Ja. Wir haben ja auch Theologen schon in Personalabteilungen großer Firmen oder in vielfältigen anderen wirtschaftlichen Bereichen, und da könnte ich mir gut vorstellen, dass unsere Leute da gute Chancen haben. Vor allem, weil die ja befähigt werden, auch in anderen Non-Profit-Organisationen zu arbeiten. Das muss nicht unbedingt kirchlich sein, gemeinnützig vielleicht. Also ich glaube, dass unsere Leute sich jetzt weniger für technische Details von Autos interessieren als für Menschen. Die möchten natürlich ein ideelles Ziel verfolgen. Das wünsche ich ihnen dann auch, dass sie das dürfen beruflich.

Kassel: Ich wünsche es ihnen auch und wir haben es jetzt rund, weil wir schon wieder bei den Autos sind am Ende unseres Gesprächs. Die Kirche, die Wirtschaft und die Armut, das war ein Gespräch mit Elke Mack, Professorin für Christliche Sozialwissenschaft und Sozialethik an der Universität Erfurt. Frau Mack, ich danke Ihnen sehr!

Mack: Ich danke Ihnen auch, Herr Kassel!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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