Filmregisseur Michael Verhoeven

Der unbequeme Wahrheitssucher

Der Regisseur Michael Verhoeven
Der Regisseur Michael Verhoeven © dpa / picture alliance / Ursula Düren
Michael Verhoeven im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 13.07.2018
Mit Michael Verhoeven als Filmregisseur sind Erfolge wie "Die weiße Rose" oder "Das schreckliche Mädchen" verbunden. Immer wieder setzt sich Verhoeven, der heute 80 Jahre alt wird, mit der deutschen Geschichte auseinander - und fragt nach der Verantwortung.
Michael Verhoeven ist in die Welt der Kunst hineingeboren: Sein Vater Paul Verhoeven war Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels in München und seine Mutter, Doris Kiesow, war Schauspielerin. In seinem Elternhaus lernte der heranwachsende Michael Verhoeven zum Beispiel den Schriftsteller und Journalisten Erich Kästner als Freund der Familie kennen.

Beeindruckt von Erich Kästner

Kästner war damals Feuilleton-Chef der von den Amerikanern gegründeten "Neuen Zeitung" in München. "Kästner war einen halben Kopf kleiner als ich und ich war selber nicht groß. Er hatte diesen wunderbaren Dialekt, den ich aus seinen Filmen kannte. Ich habe seine Stimme geliebt. Er war wunderbar mit Kindern, weil er sie nicht behandelte wie unmündige Menschen, sondern er hat mit mir so gesprochen, wie er auch mit meinem Vater gesprochen hätte. Das hat mich sehr an ihn gebunden. Er war ein toller Kerl."
Als 15-Jähriger sei er besonders beeindruckt gewesen von Kästners Argumenten gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Die erste Rolle Michael Verhoevens am Theater war der Anton in der Inszenierung von Erich Kästners "Pünktchen und Anton". Schon mit acht Jahren hatte Michael Verhoeven ein Theaterstück mit dem Titel "Faltrabo" geschrieben, das er im Treppenhaus seines Elternhauses inszenierte. Darin ging es um einen Kriegsheimkehrer, der sich gegen den Machtanspruch seines Vater wehrt. "Das ist sicher auch ein bisschen die Beziehung zwischen meinem Vater und mir, die ich da abgebildet habe ohne es zu wissen oder zu wollen", sagte Verhoeven.

Der Vater als Filmemacher im Nationalsozialismus

Verhoevens Vater, der während des Nationalsozialismus als Filmemacher arbeitete, sprach mit seiner Familie offen über seine Arbeit unter der nationalsozialistischen Herrschaft. "Das war für meinen Vater ein Problem, er hat nur darin keine Schuld gesehen. Vielmehr sah er darin ein großes Glück, dass er Komödien und Musikfilme machen konnte, während andere die Aufgabe hatten, Durchhaltefilme zu machen. Die Machthaber mochten ihn nicht, sie haben ihm nicht zugetraut, dass er einen Film machen kann wie 'Kolberg' oder so. Er musste nicht ein einziges Mal ablehnen."
Er danke seinen Eltern sehr, dass am Esstisch der Familie immer alles habe besprochen werden können, sagte Verhoeven. "Wir saßen nicht schweigend bei Tisch, sondern wir haben geredet und jeder hat seine Probleme besprechen können."

Vom Filmkuss zur Ehe mit Senta Berger

Seine Entscheidung, einen "richtigen" Beruf zu erlernen, Medizin zu studieren und als Arzt zu arbeiten, habe jedoch vorübergehend zum Bruch mit seiner Familie geführt. Dank seiner späteren Frau Senta konnte dieser Bruch allerdings wieder heilen. Senta Berger lernte Michael Verhoeven 1963 bei Dreharbeiten zu "Jack und Jenny" kennen. Er war damals als junger Assistenzarzt am Münchner Kinderspital der Universität und hatte kein Geld. Über eine Schauspiel-Agentin wurde ihm eine Filmrolle angeboten, für die er unter anderem Senta Berger küssen musste. Aus diesem ersten Filmkuss wurde eine Ehe, die inzwischen seit 51 Jahren besteht.

Verhoeven sorgte immer wieder für Skandale

Als Filmregisseur und Filmproduzent sorgte Michael Verhoeven immer wieder für Skandale. Sein größter und liebster Filmskandal sei der gewesen, den er 1970 mit seinem Anti-Kriegsfilm "o.k." ausgelöst habe, sagte Verhoeven. Der Film wurde bei der Berlinale gezeigt und der Vorsitzende der Jury, der US-Regisseur George Stevens, habe seinen Film als Angriff auf die USA missverstanden. Aber viele Schauspieler und Regisseure solidarisierten sich mit Verhoeven und distanzierten sich von der Berlinale. Daraufhin wurden die Berliner Filmfestspiele zum ersten und einzigen Mal in ihrer Geschichte abgebrochen.
Verhoeven wollte mit seinem Film "o.k." Haltung beziehen: "Jeden Abend haben wir in den Nachrichten gesehen, wie die Menschen im Vietnam-Krieg sterben, wie sie gequält werden, wie sie dieser Übermacht ausgeliefert waren. Ich habe mich gewundert, dass meine Landsleute nicht aufstehen und sagen, ‚Wir wollen das nicht als Abendunterhaltung jeden Abend haben, sondern wir müssen Stellung beziehen, eine Haltung haben‘. Die Jüngeren hatten diese Haltung, aber die Erwachseneren, Älteren hatten keine Haltung, weil sie dachten, sie müssten solidarisch sein gegenüber Amerika. Deswegen habe ich diesen Film gemacht."
Szene aus "Die weiße Rose" von 1982 Oliver Siebert als Alexander Schmorell, Lena Stolze als Sophie Scholl, Wulf Kessler als Hans Scholl und Ulrich Tukur  als Willie Graf.
Szene aus Michael Verhoevens Film "Die weiße Rose" von 1982 © imago stock&people

Rebellion im Abspann von "Die Weiße Rose"

Auch sein Film "Die Weiße Rose", der 1982 in die deutschen Kinos kam, geriet in die Schlagzeilen. Im Nachspann des Films forderte Verhoeven eine Revision der Urteile des Volksgerichtshofs unter Vorsitz des Richters Freisler aus dem Jahr 1943. "Mich hat es gestört, dass die jungen Leute der Weißen Rose nie wirklich rehabilitiert wurden. Sie standen immer noch in den juristischen Karteien als 'zurecht Bestrafte'. Dagegen habe ich rebelliert."
Der Film wurde in Deutschland zum erfolgreichsten Kinofilm des Jahres 1982. "Das Justizministerium und das Auswärtige Amt haben gesagt, dass der Film in Deutschland gezeigt werden darf, aber nicht im Ausland. Da wurde unendlich gelogen, damit ich am Ende der Böse bin und die Justiz unfehlbar." Verhoeven erinnert sich genau, dass es 15 Jahre dauerte bis der Bundesgerichtshof 1997 schließlich Selbstkritik übte: "Da kam der Umschwung. Nach der Wende. Das hatte etwas zu tun mit dem Neuanfang nach der Wende, weil die Archive dann plötzlich geöffnet wurden, die man angeblich nicht hatte einsehen können. Ich sage ‚angeblich‘, weil es ja in Wirklichkeit ganz anders war. Man hatte die Kenntnisse, wollte sie aber nicht wahrhaben."
Mehr zum Thema