Ein jugendlich frecher Mittsiebziger

Von Christian Geuenich · 11.07.2013
Am Samstag wird Michael Verhoeven, einer der wichtigsten politischen Filmemacher in Deutschland, 75 Jahre alt. Mit seinem experimentellen Anti-Kriegsfilm "o.k." sorgte er 1970 für den bis heute einzigen Berlinale-Abbruch. Die Sturheit gehört zu seinem Erfolgsrezept.
Michael Verhoeven: "Ich habe natürlich meine Filme nicht gemacht, um diesen Widerstand überhaupt zu spüren, aber wenn ich dann schon so ein wichtiges politisches Projekt habe und man versucht das zu liquidieren, dann kann ich schon kämpfen. Und insofern sind gerade 'o.k.' und 'Die Weiße Rose' mit Kampf erstritten, ja. Aber ich habe niemandem gesagt, nun kämpft mal, weil ich will dagegen kämpfen (lacht), das war eher mühsam."

Michael Verhoeven sitzt an einem alten Holztisch im Besprechungsraum seiner kleinen Filmproduktionsfirma "Sentana" in München. In einer Ecke steht ein alter kaputter Flipper "Modell Hollywood", den er sich aus New York mitgebracht hat, an den Wänden hängen in einfachen Wechselrahmen Plakate seiner Kinofilme – unter anderem von "o.k.", dem experimentellen Vietnam-Anti-Kriegsfilm, der 1970 für den bis heute einzigen Berlinale-Abbruch sorgte.

"Es war eine Hetzkampagne gegen mich. Also es war so angeheizt, dass man immer aufpassen musste, dass man nicht paar reingehauen bekommt. Weil es gab ja viele Leute, die einfach in dieser Stadt der Luftbrücke gesagt haben, was auch immer die Amerikaner in der Welt tun, ist gut, und sie tun das gegen den Kommunismus, und sie tun das für uns. Und diese Meinung habe ich halt nicht geteilt und viele Studenten auch nicht."

1969 arbeitet der promovierte Mediziner und autodidaktische Filmemacher als Arzt in Los Angeles. Im "Spiegel" liest er einen Artikel über eine Gruppe amerikanischer Soldaten, die ein vietnamesisches Mädchen vergewaltigt und getötet haben. Er verlegt die Handlung nach Bayern, lässt die Soldaten breitestes Bayrisch sprechen und dreht einen Antikriegsfilm. Dem amerikanischen Jurypräsidenten der Berlinale gefällt das gar nicht, er möchte das "bayrische Vietnam" vom Wettbewerb ausschließen. Es folgen Debatten, Pressekonferenzen, Anfeindungen und dann die Solidarisierung anderer Filmemacher mit Verhoeven gegen diese Zensur.

"Das ist auch eigentlich etwas, was ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen könnte, diese Entspannung, dieses plötzlich einem wildfremden Menschen um den Hals fallen, der neben einem steht, einfach weil man auch glücklich war, das durchgestanden zu haben."

Michael Verhoeven sieht freundlich aus in seinem grauen Wollpulli, der dunkelblauen Breitkordhose und den für ihn typischen breiten Koteletten. Aber in seinen strahlend blauen Augen blitzt immer noch das Rebellische auf, die jugendliche Frechheit eines Mitte-70-Jährigen, und als er mir erzählt, dass er sich als Kind gerne geprügelt hat, als Kleinster gegen die Großen, kann ich mir das gut vorstellen.

"Wahrscheinlich ist es so, dass ich doch in meinen Anschauungen eher zu einer Minderheit gehöre und dass es eh wurscht ist, was ich mache, werde ich immer irgendwie anecken."

1982 eckt er mit seinem Kinofilm "Die weiße Rose" an – vielmehr mit einem provokanten Nachspann, der darauf hinweist, dass die Todesurteile des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs gegen die Widerstandsgruppe bis dahin immer noch gültig sind. Michael Verhoevens Beharrlichkeit, man könnte auch Sturheit sagen, führt schließlich zum Erfolg.

"1985, also drei Jahre nachdem der Film rauskam - drei Jahre des Kampfes dann – gab es eine Erklärung des Bundestags, das war gar kein Gericht, das war ein Terrorinstrument in einer juristischen Hülle."

1990 feiert Michael Verhoeven mit "Das schreckliche Mädchen" seinen größten Erfolg. Der Film um eine Schülerin, die bei der Recherche zum Aufsatzthema "Meine Heimatstadt im Dritten Reich" auf die braunen Wurzeln der Nachkriegsgesellschaft trifft, wird für einen Golden Globe und einen Oscar nominiert. Einen Tag vor der Oscar-Verleihung gibt es eine Gesprächsrunde.

"Und draußen wurde demonstriert gegen den ersten Irakkrieg. Und da kam das Wort an mich, und da habe ich gesagt, Moment mal, ich fänd’s besser, wir sollten rausgehen und da mitdemonstrieren gegen diesen Krieg. Da war aber der Teufel los (lacht)."

Michael Verhoeven wird 1938 als jüngstes Kind des berühmten Schauspielers, Film- und Theaterregisseurs Paul Verhoeven und der Schauspielerin Doris Kiesow in Berlin geboren und wächst nach Kriegsende in München auf. Mit acht Jahren inszeniert er mit Freunden im Treppenhaus sein erstes selbstgeschriebenes Theaterstück um einen Kriegsheimkehrer. Mit 13 spielt er am Theater die Hauptrolle in "Pünktchen und Anton", zwei Jahre später gibt er sein Kinodebüt in "Das fliegende Klassenzimmer".

"Die Schauspielerei, da bin ich nicht mal reingewachsen, da war ich schon drin, bevor ich es überhaupt gewusst habe, dass ich das mache, das war selbstverständlich. Ohne Schauspielerei kann man ja gar nicht leben, so ungefähr war das."

Als er seinem Vater mitteilt, dass er aus idealistischen Gründen Medizin studieren möchte, führt das kurzfristig zum Zerwürfnis mit der Familie. Um sich dieses Studium zu finanzieren, arbeitet er aber weiter als Schauspieler und lernt mit 25 Jahren bei Dreharbeiten seine spätere Frau Senta Berger kennen. 1965 gründen sie zusammen die unabhängige "Sentana Filmproduktion".

"Also das war schon die Absicht, ich bleibe bei der Medizin, das auf jeden Fall, aber Film kann ich auch nicht lassen. Und dann habe ich aber immerhin doch bis Ende '72 als Arzt gearbeitet."

Auch an seinem aktuellen Filmprojekt "Let’s Go" um ein jüdisches Mädchen, das direkt nach dem Krieg in Bayern aufwächst, ist er mit seiner Produktionsfirma beteiligt. Nach 15 Jahren Arbeit, 20 Drehbuchfassungen und einer langen beharrlichen Suche nach Geldgebern brennt er darauf, dass es endlich losgeht.

"Man muss schon auch ein Durchhaltevermögen haben in diesem Beruf, sonst geht es nicht."