Filmprojekt

Geld dürft ihr haben, frei sein nicht!

Moderation: Christine Watty · 17.01.2014
Für seinen Film "iPhoneChina" hat sich der Künstler Christian von Borries in China die Produktionsbedingungen für das iPhone 5 angeschaut. Er hat junge Arbeiter gesprochen, die den Begriff Ausbeutung noch nie gehört haben. Und ihm ist klar geworden, dass man mit alt-linken nicht mehr gegen den Kapitalismus kämpfen kann.
Christine Watty: Die Verhandlungen, die haben jahrelang gedauert. Jetzt ist das iPhone auch Teil des Verkaufsprogramms von China Mobile, mit 760 Millionen Kunden der größte Mobilfunkanbieter der Welt. Und für diese kalifornisch-chinesische Kooperation, da mussten technische Netzwerkstandards in China geändert werden, damit das Netz dort und das iPhone irgendwie zusammenpassen.
Jetzt wird es spannend für Apple, denn der Markt sah für das Unternehmen bisher nicht so rosig aus, die Chinesen haben sich lieber Geräte anderer Hersteller gekauft, sicher auch, weil das iPhone überhaupt nur über zwei kleinere Anbieter zu haben war. Und Apple aber hat dennoch eine Rolle im Land gespielt, nicht zuletzt als Auftraggeber für die chinesischen Foxconn-Ablegerfirmen, deren Arbeitsbedingungen kritisiert werden und die mit relativ hohen Selbstmordraten der Angestellten auch in China Schlagzeilen gemacht haben.
Christian von Borries ist Musiker, Künstler, Filmemacher und hat sich für seinen Film "iPhoneChina" mit der Frage beschäftigt: Wäre Apple ein Staat, würdest du lieber dort leben oder lieber in China? Zudem stellt er die Überlegungen an, ob denn Software eigentlich eine neue Regierungsform sein könnte! Und wir freuen uns, dass Christian von Borries heute zu Gast ist, schönen guten Tag!
Christian von Borries: Guten Tag!
Watty: Wo würden Sie denn lieber leben, in Apple oder doch in China?
von Borries: Ich finde es natürlich erst mal gut, wenn man so Fragen stellt, die man gar nicht beantworten muss, weil es eventuell wichtiger ist, überhaupt erst mal auf eine gute Frage zu kommen, angesichts dieses Dickichts, das Sie gerade beschrieben haben.
Also, da ist so eine Firma, die macht Riesenprofite in Kalifornien, da sind Herstellungsfirmen, die nicht Teile des eigenen Firmenimperiums sind, die kleinere Profite machen, wo die Leute ausgebeutet werden, wo man sich fragen muss, was macht denn der Staat? Muss der die eigentlich nicht schützen?
Ich war ja da, das sind ganz hübsche junge Arbeiter und Arbeiterinnen, und zwar Hunderttausende. Also, in dieser einen Fabrik, da sind 300.000 Leute, die nur das iPhone 5 herstellen. Und dann gibt es natürlich diese alten Linken in der westlichen Welt, und die Linken sagen: Ach, auf denen, auf diesen jungen Arbeitern beruht unsere Hoffnung für die Weltrevolution, für den Sozialismus, die müssen sich erheben. Und wenn man sich das anguckt, da denkt man sich, das ist die größte Überforderung, die man sich nur vorstellen kann! Also, das ist ganz schön schwierig alles. Das heißt, erst mal eine gute Frage stellen, die man gar nicht unbedingt beantworten muss, ist ein Weg, den ich gut finde!
Watty: Wobei diese Gleichsetzung von Unternehmen und Staat natürlich schon eine ganze Weile eine Rolle spielt. Ein Beispiel ist mir eingefallen, ist auch schon ein paar Jahre alt: Als Google auf einmal eben auch in China eigentlich agiert hat wie ein eigener Staat, als Google gesagt hat, wir lassen diese Zensur nicht mehr durch, nachdem es Hackerangriffe von chinesischer Seite auf das Unternehmen gab, und dann auf einmal tatsächlich so eine Auseinandersetzung zwischen einem Unternehmen und einem Staat stattfand, als würden beide auf einer Ebene spielen, und dann auch erstmals die Fragen eben auftauchten: Sind denn diese großen IT-Unternehmen im weitesten Sinne tatsächlich staatenähnlich? Wo sehen Sie denn Parallelen zwischen solchen Unternehmen – Google, Apple, ist ja in dem Fall vielleicht auch ein bisschen egal – und Staaten?
"Der Film lädt eigentlich zum gemeinsamen Nachdenken ein"
von Borries: Ja, es war so für mich: Also, einmal gibt es natürlich schon seit Längerem solche Formulierungen wie die Deutschland-AG, und das gibt es auch bei China. Also, China, Inc. zum Beispiel ist so ein Terminus technicus, wenn man jetzt den "Economist" liest oder solche englischsprachigen Wirtschaftszeitungen, da ist davon immer die Rede. Es heißt, ein Staat wird geführt wie ein Wirtschaftsunternehmen, das heißt, auf Effizienz und auf Profit auch. Das kann man auch sehen, wenn man hier aus dem Fenster rausguckt und Berliner ehemals staatliche Immobilienunternehmen sieht, die eigentlich dafür da sein sollten, sozusagen die Grundlagen eines menschenwürdigen Lebens, nämlich Wohnungen, die bezahlbar sind, zu garantieren. Die müssen inzwischen auch privatwirtschaftlich auf Profitorientierung basierend agieren.
Also, erst mal sind die Staaten wie Firmen. Und dann habe ich eine Sache von Eric Schmidt, und Eric Schmidt war der CEO, also der Geschäftsführer von Google, der sagte irgendwann, Unternehmen wie Apple und wie Google, die werden wie Staaten geführt. Damit meinte er, wir führen keine Kriege, Staaten führen heute auch keine Kriege mehr, wir einigen uns. Und da war plötzlich sozusagen auch das Andersrum formuliert.
Und da habe ich gedacht, also, diese Ideen, die muss man ja finden. Die fallen mir ja nicht in den Schoß. Wenn ich die finde, dann muss man sie sozusagen mit was anderem zusammen kombinieren, also einen Assoziationsraum schaffen. Das ist alles, was ich gemacht habe, weil ich die Frage nicht beantworten kann. Aber dass sie plötzlich so offen auf dem Tisch liegt, dann macht es unheimlich Spaß, weiterzudenken. Und das macht dieser Film, der Film lädt eigentlich zum gemeinsamen Nachdenken ein. Also, dann bin ich auf so einen Begriff gestoßen zum Beispiel wie Californian Ideology. Das wusste ich vorher überhaupt nicht, was das ist, die kalifornische Ideologie.
Denn diese Firmen, also nicht nur Apple, sondern auch Google, und eigentlich handelt dieser Film, den ich gemacht habe, von denen allen, also, man kann jetzt keineswegs sagen, ah, Apple sind die Bösen und Samsung sind die Guten, oder Facebook ist nur halb so gut wie … Nein! Mich interessiert was anderes, mich interessiert eine Ideologie, die dahinter steht. Und die ist interessant, weil die … Ja, die Hippies aus Kalifornien, so eine neoliberale Ideologie, sind eigentlich dieselben Leute. Also sozusagen: Kiffen, Start-up gründen, Geld verdienen! Aha, was ist denn das jetzt, da habe ich gerade von einem Staat gesprochen oder von einer Firmenidee? Ist das nicht eigentlich sozusagen das, was die USA ausmacht, was wir sozusagen auch American Dream nennen? Jetzt sprechen die in China aber von Chinese Dream!
Watty: Sie beschreiben diesen Film eben als Assoziationsraum, rund um eben diese große Fragestellung, und haben ja auch schon zu Recht gesagt, das ist keine Frage, die man so einfach beantworten muss und man hat hinterher ein Ergebnis. Aber sind Sie trotzdem auf Ergebnisse oder Antworten sozusagen gestoßen, also wie sehr staatenähnlich, wie sehr unternehmenähnlich jeweils das andere Konstrukt ist?
von Borries: Also, eine Sache ist natürlich erst mal ganz klar, ein Staat kann ultimativ mit der Polizei vorfahren und einen verhaften, das kann eine Firma nicht. Andererseits sehen wir natürlich jetzt durch diese NSA-Affäre, wie eng diese Firmen zusammenarbeiten mit Staaten. Also, insbesondere natürlich mit dem Staat, in dem sie gegründet worden sind und der sie schützt. Also gibt es große Grauzonen. Und so eine Organisation eben wie ein Geheimdienst ist ohne soziale Netzwerke und die Auswertbarkeit dieser Datenmengen ja heutzutage überhaupt nicht handlungsfähig. Also sprechen wir von einer Grauzone. Und diese Grauzone ist das, was interessant ist.
Wir sind bisher davon ausgegangen, ah, ich benutze mein Telefon, ich benutze ein E-Mail-Programm und das und das mache ich, ah, und bestimmte Sachen, die mir nicht so richtig recht sind, die mache ich vielleicht über einen Tor Browser, der also eine große Verschlüsselungskapazität hat. Plötzlich merkt man, ah, egal, ist alles egal! Sogar wenn dein Rechner offline ist, kann er übrigens auch überwacht und abgehört werden!
Das wundert einen eigentlich nicht, es ist aber natürlich eine neue Qualität. Und diese neue Qualität ist eben nicht nur da bei dem, was Sie am Anfang beschrieben haben, 800 Millionen neue Kunden für Apple, sondern was bedeutet das eigentlich? Die Chinesen sind ja gar nicht, ich glaube, die kaufen keine Apple, es gibt ja viel bessere Telefone. Es gibt zum Beispiel eine chinesische Handyfirma, die für 200 Euro die Dinger herstellt, die viel besser sind. Gibt es aber in Europa noch nicht und in den USA auch nicht. Also, sozusagen auf der Ebene, dass wir uns in die Geschäftsmodelle dieser Firmen eindenken müssen, glaube ich, da brauchen wir gar nichts zu machen, das wird schon irgendwie laufen.
Aber interessanter ist es eben wie so eine Metaebene, von außen zu beobachten, was da passiert und was es bedeutet. Das bedeutet natürlich einmal mehr Kunden, aber wenn der Staat auch schon sagt, beteilige dich nicht an politischen Diskursen… Und das hat Deng Xiaoping, der diesen neuen chinesischen Staat definiert hat vor 30 Jahren gesagt: Wir wollen keine politische Einmischung, das macht die Partei! Aber ihr dürft reich werden, ihr dürft sozusagen individualisierte Kapitalisten sein, das dürft ihr so viel ihr wollt! Das ist ähnlich natürlich auch in Russland passiert. Das passiert in diesen Staaten, es passiert natürlich hier tendenziell auch. Hier gibt es immer noch Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, also sozusagen, weshalb ja jetzt auch Kriege geführt werden und so weiter!
Watty: Wir sprechen mit Christian von Borries im "Radiofeuilleton" im Deutschlandradio Kultur anlässlich des Starts der Kooperation von China Mobile und Apple und vor allem auch anlässlich Ihres Filmes "iPhoneChina". So, wie Sie das natürlich jetzt beschreiben, geht es auch – wenn man zuhört und das nachvollzieht alles – um eine Art der Bewusstseinsmachung all dieser Zusammenhänge. Und das ist ja eh das große Thema der Zeit. Jetzt waren Sie in China unterwegs, haben eben auch mit Foxconn-Arbeitern gesprochen. Diese Bewusstseinsmachung für jemanden, der das mit durchdenken will, was gerade in der Welt passiert, ist die eine Sache, aber wie ist es dann direkt vor Ort in China gewesen? Ist das ein Gedankengang, der da passiert und der auch wirklich mit nachvollzogen wird?
Der Begriff Ausbeutung war dem interviewten Arbeiter unbekannt
von Borries: Das ist eine komplexe Angelegenheit, weil einerseits gibt es natürlich so ein paar Organisationen, die vor allem in Hongkong sind, die das recherchieren, was da passiert mit diesen Arbeitern, eben auch diese … Also, die Spitze des Eisbergs sind natürlich diese Selbstmorde, wo die wirklich vom Fabrikdach runtergesprungen sind, also, um auch ein Zeichen zu setzen, daraufhin wurden diese Netze installiert. Diese Geschichten haben wir ja gehört in den Medien. Andererseits, die Arbeiter, die ich interviewt habe – und in diesem Film ist auch ein längeres Interview mit einem Arbeiter, irgendwann frage ich ihn dann, also, er beschreibt wirklich ausbeuterische Bedingungen –, frage ich ihn: Würden Sie das, was Sie da erleben, mit Ausbeutung umschreiben? Und er antwortet, also mit einer Übersetzerin dazwischen, er sagt: Ausbeutung? Ich weiß gar nicht, diesen Begriff kenne ich nicht, ich weiß gar nicht, was das bedeuten soll!
Das ist natürlich sehr interessant. Wenn man sich überlegt, was da eigentlich gerade passiert ist: Es ist klar, ein Staat, der selbst einerseits diese schizophrene Rolle dieses chinesischen Staates zwischen sozialistischer Einparteienstaat und dann aber so entfesselter Kapitalismus … Im sozialistischen Staat gibt es keine Ausbeutung, der ist ja gerade dazu da, um Ausbeutung zu überwinden! Also muss der junge Arbeiter, der vielleicht 16 oder 18 Jahre alt ist, der braucht ja diesen Begriff nicht zu kennen! Solange er den Begriff nicht kennt, wird er nie was an diesem Ausgebeutetsein verändern!
Jetzt zurück zu unsereins: Vielleicht haben Sie so ein iPhone, ich habe jetzt kein iPhone, ich habe ein anderes, sozusagen dasselbe in grün. Was bedeutet das für uns? Was können wir als Konsumenten eigentlich daran ändern? Und ich glaube, das Einzige, was wir machen können, ist erst mal, uns zu fragen, in was für einem Staat leben wir eigentlich? Und was diese Technologie angeht, können wir höchstens sagen: Lass uns die Produkte, die wir haben, so lange wie möglich benutzen! Was anderes fällt mir auch nicht ein. Ich kann die Welt ja nicht verändern dadurch, dass ich so einen Film mache!
Watty: Vielleicht aber ein bisschen! Zumindest haben Sie uns jetzt mit den großen Fragen in Richtung Wochenende schon geschickt! Christian von Borries war das, Musiker und Filmemacher. Sein aktueller Film heißt "iPhoneChina" und wir haben gesprochen anlässlich des großen Startes zwischen China Mobile und Apple in China. Vielen Dank, dass Sie heute bei uns waren!
von Borries: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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