Filmfestival

Goldene Muschel zu gewinnen

Der spanische Schauspieler Antonio Banderas mit einer Figur aus seinem Film "Automata" während des 62. San Sebastian Filmfestivals in Spanien.
Der spanische Schauspieler Antonio Banderas mit einer Figur aus seinem Film "Automata" während des 62. San Sebastian Filmfestivals in Spanien. © AFP / Rafa Rivas
Von Wolfgang Martin Hamdorf · 23.09.2014
Einfühlsames "Cine Noir" prägte die ersten Tage des Wettbewerbs im spanischen San Sebastian. Die gezeigten Filme handeln von Leid, Abschied und düsteren Visionen. Noch bis Samstag läuft der Wettbewerb - ein deutscher Beitrag könnte am Ende die Goldene Muschel bekommen.
Antonio Banderas: "Warum gehen die Außerirdischen immer in die USA? Weil Hollywood das Geld hat, um diese Filme zu produzieren. Wenn wir in Spanien Science-Fiction machen, sind es immer Komödien."
Der Schauspieler Antonio Banderas ist Produzent und Hauptdarsteller der spanisch-bulgarischen Produktion "Automata". Banderas plädiert für intelligente Science-Fiction- Filme, die statt endloser Raumschiffschlachten kluge Gegenwartsbezüge schaffen. "Automata" führt ins Jahr 2044. Die Erde ist radioaktiv verstrahlt, nur noch wenige Menschen leben hinter dicken Betonmauern in den Städten. Die Roboter entwickeln eine Intelligenz, die ihren Schöpfern gefährlich wird.
Nach der Apokalypse
Aber "Automata" erreicht die selbst gesteckten Ziele nicht. Zwar schafft der Film eine beeindruckende postapokalyptische Atmosphäre, bleibt aber dann doch in einfachen Klischees stecken. Im Zeichen der Krise setzen viele spanische Filmemacher auf vertraute Genrestrukturen. Ein gelungenes Beispiel ist der zweite spanische Wettbewerbsbeitrag. "Isla Minima" ist ein sehr atmosphärischer Krimi über einen Serienmörder im Mündungsdelta des Guadalquivirs südlich von Sevilla. Die Geschichte spielt im Jahre 1980, in der Zeit des Übergangs von der Franco-Diktatur zur Demokratie und für Regisseur Alberto Rodriguez ging es besonders um das Lebensgefühl jener Jahre:
"Man lebte mit zusammengebissenen Zähnen, das charakterisiert diese Zeit besonders: Diese allgegenwärtigen sozialen und politischen Konflikte, die Eskalation der Gewalt. Das war die Grundströmung für unseren Film, diese Zerrissenheit zeigt sich auch in den beiden Kommissaren, von denen jeder eine politische Richtung verkörpert."
16 Filme stehen im Wettbewerb um die "Concha de Oro", die goldene Muschel. Einfühlsames und überzeugendes "Cine Noir" prägte die ersten Tage des Wettbewerbs, ob als dunkles Genrekino oder Autorenfilme, die Leid und Abschied im täglichen Leben inszenieren. Immer wieder ging es um Tod und Trauerarbeit. In dem dänischen Wettbewerbsbeitrag "Stilles Herz" trifft sich eine Familie zum letzten Mal mit der unheilbar erkrankten Mutter, die sich für den Freitod entschieden hat. Aber in der scheinbaren Harmonie des Abschieds brechen alte Familienkonflikte und Rivalitäten aus. Für den dänischen Regisseur Bille August liegt die Stärke seines Films gerade in einer fast ruhigen Alltäglichkeit:
"Das macht die Geschichte auch interessant, weil es an der Oberfläche dieser Familie so harmonisch zugeht, ein fast perfektes Leben. Und was zunächst wie ein ganz normales Familientreffen wirkt, ist in Wirklichkeit eine große Anspannung für alle: Wie sollen wir uns verhalten? Was sagen wir, was dürfen wir nicht sagen?
Radikale Vision der deutschen Nachkriegszeit
In die Reihe dunkler Wettbewerbsfilme passte auch der deutsche Beitrag "Phoenix" von Christian Petzold. Er führt zurück in die unmittelbare Nachkriegszeit: Eine junge jüdische Sängerin hat das Konzentrationslager überlebt, wurde dabei aber so schrecklich misshandelt, dass sie durch eine Operation ein neues Gesicht erhält. Sie versucht an ihrem früheren Leben anzuknüpfen,versucht den Kontakt zu ihrem Ehemann wieder aufzunehmen, obwohl sie weiß, dass er sie vermutlich verraten hat. Christian Petzold zeichnet eine durch und durch zerstörte Nachkriegsgesellschaft, Menschen, die unfähig zu Reue und Mitgefühl sind. Die menschlichen Ruinen sind belastender als die zerstörten Häuser und Straßen.
Christian Petzold: "Wir machen auf der einen Seite eben dieses Luftige, Schöne, der wahnsinnig schöne Sommer, den es da gegeben hat und auf der anderen Seite eben die Menschen bringen die Traurigkeit da herein, (...) die Leute, die immer noch so gebeugt sind, noch so umherschleichen und sich noch verstecken."
"Phoenix" ist ein verstörender Film. Er erzählt keine Liebesgeschichte, sondern die langsame und quälende Selbstbefreiung einer jungen Frau. In seiner bitteren und distanzierten Darstellung der Nachkriegsgesellschaft unterscheidet sich Petzolds Film deutlich von vielen gut gemeinten Kostümfilmen über Krieg und Nachkriegszeit:
"Ich habe mir gedacht, natürlich ist das, was hier passiert in 'Phoenix' nicht nur ein Kontrapunkt, sondern das ist einfach im Grunde genommen am Rande des Perversen. Und das lässt sich nicht mehr pädagogisch auffangen. Und da kann man nicht nachher noch Günther Jauch und sechs Experten und drei Überlebenden zusammen einen Halbkreis bilden und eine Diskussion drüber machen. Da ist eine Forderung in den Figuren, aber auch in dem Film selber, eine unmögliche Forderung, nämlich diesen Abgrund zu überschreiten."
In San Sebastian wird "Phoenix" als Favorit in einem insgesamt sehr anspruchsvollem Wettbewerb gehandelt. Petzolds radikale Vision der deutschen Nachkriegszeit fand anhaltenden Applaus beim Publikum und überwiegend positive Kritiken.
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