"Es gibt eine wahnsinnige Kreativität"

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 23.09.2013
Das Filmfestival San Sebastian ist das vierte der großen europäischen A-Festivals. 226 Filme sind zu sehen, 13 wetteifern um die Goldene Muschel. Trotz der Krise erlebe der spanische Film einen seiner besten Momente, sagt Festivaldirektor José Luis Rebordino.
Langsam zieht eine Prozession durch Granada. Die Jungfrau Maria trägt einen schweren Mantel aus rotem Brokatstoff. Der Schneider beobachtet die winterliche Prozession durch die Fensterscheibe. Der elegante Junggeselle hat ein dunkles Geheimnis: Er tötet Frauen und verspeist sie. Regisseur Manuel Martín Cuenca erzählt in langsamen, fast gemäldeartigen Einstellungen die Geschichte eines Psychopathen gegen die üblichen Genrekonventionen Hollywoods in einem fast archaisch anmutenden spanischen Provinzalltag.

"Wir sind, was wir sind, wir sind Produkte unserer Kultur. Eine Kultur, die vom Christentum geprägt wurde, ob wir das gut finden oder nicht. Luis Buñuel hat einmal gesagt: 'Ich danke Gott, dass ich Atheist bin.' Für mich persönlich erzählt mir ein guter iranischer Film mehr über den Iran als jeder Nachrichtenbeitrag. Und so erzählen wir unsere Geschichte in einem bestimmten Kontext, wir werten nicht, wir verurteilen nicht, aber bestimmte christliche Motive tauchen in unserem Film auf, wie Vergebung, Tod, Blut, Nächstenliebe, Erlösung."

Drei sehr unterschiedliche spanische Filme laufen dieses Jahr im Wettbewerb. Festivaldirektor José Luis Rebordino ist von der kreativen Vielfalt überrascht:

"Die Krise schadet dem spanischen Film. Es fehlt an Geld und es werden weniger Filme produziert. Aber es gibt eine wahnsinnige Kreativität. Vor einigen Tagen hat mich ein Medium zitiert mit dem Satz: 'Je stärker die Krise, um so besser der spanische Film.' Das habe ich nie so gesagt. Ich sage: Trotz der Krise erlebt der spanische Film einen der besten Momente seiner Geschichte."

Eine der besten Momente seiner Geschichte erlebt zur Zeit auch der lateinamerikanische Film. Seine Präsenz hat in den letzten Jahren auf allen großen internationalen Festivals zugenommen. In San Sebastian ist der Subkontinent schon seit Jahren ein wichtiger Schwerpunkt. Dieses Jahr stehen zwei Filme im Wettbewerb: Der venezuelanische Film "Pelo Malo" (Böses Haar) erzählt subtil und psychologisch eindringlich vom Alltag einer alleinerziehenden Mutter in Caracas. Regisseurin Mariana Rondón hinterfragt dabei auch unaufdringlich tradierte Rollenbilder:

"Der Film ist subtil und unaufdringlich, weil ich gegen meine eigenen Instinkte gekämpft habe, gegen eine karibische Kultur, die sich ganz stark in der Telenovela niedergeschlagen hat. Ich musste mich zusammenreißen, damit dass nicht überwiegt, sondern vielmehr der unspektakuläre Alltag."

Das Unspektakuläre und doch Eindringliche charakterisierte auch andere Wettbewerbsfilme: In dem britischen Beitrag "Weekend" kehrt ein Paar Jahrzehnte nach der Hochzeitsreise wieder nach Paris zurück, um seine Ehe zu retten. In Beiträgen aus Österreich und Frankreich ging es um gescheiterte Lebensentwürfe und nie verarbeitete Konflikte in den Familien. In 13 Programmreihen zeigt das Festival 226 Filme. Eine Retrospektive ist dem japanischen Regisseur Nagisa Oshima gewidmet, eine Retrospektive sucht nach neuen Wegen im Animationsfilm.

Zerstrittener Mikrokosmos im Baskenland
Eine Region im Umbruch, und eine Gesellschaft auf der Suche nach neuen Wegen zeigen die Beiträge der baskischen Filmreihe. Es sind Dokumentarfilme, die sich mit dem Alltag jenseits der politischen Schlagzeilen auseinandersetzen. So dokumentiert die baskisch-deutsche Filmemacherin Jone Karres einen Streit, der seit Jahren die Grenzstadt Irún entzweit. Zum Festumzug, der an den Sieg über die Franzosen erinnert, wurden früher nur Männer zugelassen. Seit die Frauen vor 20 Jahre ihre Teilnahme an dem Kostümumzug reklamierten, ist die Stadt in zwei Festgemeinden gespalten, in Traditionalisten und Moderne. Der Film präsentiert einen zerstrittenen Mikrokosmos, einen Kampf zwischen Tradition und Moderne, der bis in das Privatleben hineinreicht.

"Ein Satz ist ganz prägnant bei mir hängen geblieben und zwar: Was der Spanische Bürgerkrieg in diesem Ort nicht geschafft hat, Freundschaften und Familien zu entzweien, das hat dieses Fest, diese Alarde geschafft. Und das ist sehr tragisch."

Für Auseinandersetzung sorgt immer wieder auch Aufarbeitung der Vergangenheit. Ausgehend von einem bislang unbekannten NS-Propagandafilm analysiert eine baskische Dokumentation das Interesse der NS-Ideologen am baskischen Nationalismus und an der ganz eigenen baskischen Kultur. Wissenschaftlicher Berater war der Historiker Ludger Mees von der baskischen Universität:

"Die Nazis sahen darin die Reinheit, die sie ja selber propagiert haben, als Kern ihrer eigenen Ideologie und von daher, weil auch der baskische Nationalismus in den Ursprüngen auch immer betonte, dass die baskische Rasse eine reine Rasse sei, die sich nicht gemischt hätte mit anderen Rassen, gab es bestimmte Anknüpfungspunkte, die die Nazis versucht haben auszunutzen."

Weitere Informationen zum Filmfestival San Sebastian finden Sie auf der Homepage.
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