Lars Montag über "Träume sind wie wilde Tiger"

Ranji geht nach Bollywood

12:24 Minuten
Ein junge in gelb-oranger Kleidung tanzt mit vielen gleichfalls in gelb-orange gekleideten Frauen in einer Pagode.
Ranji lebt in Deutschland und will nach Bollywood. In Lars Montags Film geht es um Träume, Migration und die Beziehungen zwischen Vater und Sohn. © Wild Bunch Germany / NFP neue film produktion
05.02.2022
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Ranji lebt in Mumbai und will einmal in einem Bollywood-Film mitspielen. Mit zwölf zieht er mit den Eltern weg. Traum adé? Mitnichten! Regisseur Lars Montag sagt, er habe sofort eine Verbindung zu der Figur gehabt und erzählt von einem Traum.
Patrick Wellinski: Ranji ist zwölf Jahre alt, lebt mit seinen Eltern in Mumbai und hat einen großen Traum: Er möchte in einem Bollywood-Film mitspielen. Doch seine Pläne zerplatzen, als seine Eltern ihm sagen, dass die ganze Familie nach Deutschland auswandert. So ist die Ausgangslage im Spielfilm „Träume sind wie wilde Tiger“, der das Bollywood-Kino feiert, aber sich über das Chaos einer gelungen Integration lustig macht. Frage an Sie als Regisseur. Sind Sie selbst ein Bollywood-Fan?
Montag: Ich bin einer geworden. Vor dem Projekt kannte ich ein paar Filme, aber im Laufe der Vorbereitung habe ich mich da reingefriemelt und die Vorzüge erst wirklich kennengelernt – gerade auch dieses New Bollywood, was es jetzt auch aktuell gibt.

Mit Scheuklappen einen Traum verfolgen

Wellinski: Was hat Sie denn an dem Projekt gereizt, der Geschichte eines indischen Jungen, der unbedingt Bollywood-Star werden möchte, dann aber in Deutschland landet?
Montag: Es ist noch viel mehr eine Geschichte von einem Jungen, der einfach einen Traum und eine Idee hat, und wie mit Scheuklappen nicht rechts und links guckt, sondern wirklich der Idee konsequent folgt. Die Geschichte hat mich sofort gereizt, weil sie auch mit meiner Biografie zu tun hat. Ich glaube fast, mit der Biografie eines jeden Menschen. Ich habe große Resonanz gespürt und habe mich richtig drauf gefreut.
Wellinski: Inwiefern identifizieren Sie sich denn mit Ranji?
Montag: Ich habe mir mit acht Jahren meine erste Super-8-Kamera von meinen Eltern und Großeltern zum Geburtstag und zu Weihnachten zusammen gewünscht - so ein großes Geschenk war das. Seitdem habe ich im Keller angefangen, Trickfilme zu drehen, und mich dann irgendwann getraut, mit meinen Freunden Filme zu machen. Ich habe mich nie gefragt, wie viele Leute bewerben sich an Filmhochschulen und wie viele werden genommen, sondern ich habe Feuerwehrmann und Lokomotivführer als Berufswunsch übersprungen. Trotz vieler, vieler Absagen von Filmhochschulen gab es für mich keine andere Option. Letztendlich hat es geklappt. Das ist auch ein bisschen die Geschichte von Ranji.

Emotion und Logik in Ranjis Familie

Wellinski: Ranji ist ein unfassbar emotionaler Junge, der sehr viel über die Gefühle macht, und er ist wirklich ein Energiequell. Interessanterweise konfrontiert er sich immer wieder mit seinem Vater, der Mathematiker und sehr logisch ist. Das scheint eine Art binäre Welt zu zeigen in dem Film: Auf der einen Seite die Emotion, die Welt der Kunst – auf der anderen Seite der logische Vater, der übrigens deshalb einen Job in Deutschland bekommt.
Montag: Genau. Diese Welt ist eine transgenerationale: Es gibt den Opa, der Schauspieler war, der wirklich verrückte Ideen hat, ein Spinner erster Klasse ist. Und was passiert mit dem Sohn eines solchen Mannes, nämlich mit Ranjis Vater? Er wird natürlich eher rational. Wenn man einen Spinner als Vater hat, hält man sich an das, was man berechnen und kalkulieren kann.

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Und Ranji, der Sohn von diesem Vater, der nur auf Rationalität, auf Berechnung und Kalkulierbarkeit geht, wird viel eher wieder sagen: Nein, für mich ist die Fantasie das Maß aller Dinge und ich trete eher in die Fußstapfen meines Opas.

Abenteuer und Migrationsgeschichte

Wellinski: Im Grunde erzählen Sie zwei Geschichten: Die Abenteuergeschichte unseres jungen Helden Ranji, der unbedingt in einem Bollywood-Film mitspielen möchte und das auch in Deutschland versucht, der versucht, an einem Casting teilzunehmen. Auf der anderen Seite ist es eine Migrationsgeschichte und da vor allem die seiner Eltern, die sehr damit beschäftigt sind, in Deutschland überhaupt anzukommen.
Montag: Es gibt eigentlich noch mehr Layer: Es gibt den Bollywood-Film, es gibt die „Folge deinen Träumen“-Ebene, es gibt die Migrationsgeschichte und es ist auch eine starke Freundschaftsgeschichte, die sich gerade im zweiten Teil des Films dann entwickelt.
Wellinski: Noch mal zu den Eltern, weil ihre Herausforderungen zu groß sind. Sie glänzen eher durch Überassimilation, nicht wahr? Sie essen das Brot, weil sie wissen, die Deutschen lieben das Brot. Wie wichtig ist gerade dieser Teil für die ganze Geschichte, für den ganzen Film, auch für die Konstruktion?
Montag: Er ist noch ein bisschen größer geworden im Laufe der Vorbereitung, weil zum Beispiel der Schauspieler, der Ranjis Vater spielt, Murali Perumal, irgendwann sagte, 'Ach, weißt du, Lars, eigentlich spiele ich hier die Geschichte meines eigenen Vaters. Der ist nach Deutschland gekommen und der war genauso wie Ranjis Vater, der hat genauso gesprochen wie der' – und er hat dann noch ein bisschen mehr seiner Geschichte eingebracht: Der Vater, der sagte, wir müssen werden wie die Deutschen, wir brauchen deutsche Freunde, wir essen nur noch deutsch. Die eigene Familiengeschichte des Darstellers und seines Vaters und seiner Geschichte der Ankunft hier haben also die Filmgeschichte noch mal beeinflusst.

Ohne Irshad Panjatan kein Opa

Wellinski: Wie war das überhaupt bei den Dreharbeiten? Ich kann mir vorstellen, dass das Casting sehr aufwändig war, weil vielleicht der Pool an indischen Schauspielern, die auch Deutsch sprechen, nicht so groß ist. Sie mussten beim Hauptdarsteller, beim Jungen, bestimmt lange suchen? Aber wenn Sie erzählen, dass die Schauspieler auch ihre Lebensgeschichten mit einbringen konnten – war das von vornherein so angesetzt, dass man eben auch auf diese Menschen zugeht und sagt, wir entwickeln da viel mehr auch mit euch gemeinsam und ihr seid nicht einfach nur besetzt für Rollen, die schon vorneweg quasi feststehen?
Montag: Ich bin ja kein Inder – eine indische Realität und eine Migrationsrealität, sei es auch im Rahmen einer Culture-Clash-Komödie, kann ich mir also nicht aus einer eigenen Erfahrung heraus erarbeiten. Da war ich darauf angewiesen.
Ein gutes Beispiel dafür ist der Opa. Er wird von Irshad Panjatan gespielt, mit dem ich vor über zehn Jahren mal einen „Tatort“ zusammen gemacht habe, und ich wusste, diese Figur des Opas, die gibt es nur, wenn Irshad das spielt, weil er ist wirklich der einzige indische Bilderbuch-Opa, den wir in Deutschland haben.
Ein alter Mann mit weißen, lockigen Haare, dem unterhalb der Nase einen Schlauch durchs Gesicht läuft, blickt auf ein Smartphone.
Irshad Panjatan spielt Daada und unterstützt seinen Filmenkel Ranji aus der Ferne. © Wild Bunch Germany / NFP neue film produktion
Und darüber hinaus ist es ja auch seine Geschichte, die wir mit benutzen wollten: Er hat im Schuh des Manitu mitgespielt, und weil Ranji einen Opa hat, der schon mal in Deutschland Schauspieler und Pantomime war und so gut Deutsch kann, kann auch Ranji besser Deutsch. Das ist wirklich so maßgeschneidert auf diesen Schauspieler. Ich habe ihn dann besucht, und eigentlich ist er über 90 und dreht gar nicht mehr. Ich habe ihn wirklich bekniet, für uns seinen Ruhestand zu unterbrechen, und das hat er gemacht und ist sogar mit nach Mumbai geflogen.

Vermutlich einer der letzten Culture Clash-Filme

Wellinski: Wie ist das überhaupt? Es ist eine Culture-Clash-Komödie, die muss mit Stereotypen und Klischees spielen. In einigen Rezensionen wird das positiv ausgelegt. Es wird aber auch zum Teil als unsensibel angesehen, die Art und Weise, wie im Film mit Stereotypen und Klischees umgegangen wird. Welche Rolle hat das gespielt beim Inszenieren des Films für Sie?
Montag: Wir haben auch da die Amplituden ein bisschen höhergefahren und im Schnitt uns noch mal entschieden und angepasst: Der Hausmeister, von Herbert Knaup gespielt, war noch ein bisschen böser, als er jetzt im Film ist. Die Inder waren auf der einen oder anderen Ebene noch ein bisschen skurriler in ihren Wortverdrehungen.
Wir sind jetzt mit dem Level sehr zufrieden. Aber natürlich ist überhaupt das Genre Culture Clash, glaube ich, eine vom Aussterben bedrohte Art, weil das Thema Anmaßung ist völlig zu Recht ein großes Thema gerade: Culture Clash lebt von einer Stereotypisierung einzelner Charaktermerkmale. Ich glaube, das ist ein Auslaufmodell.
Es wundert mich nicht, dass es zum Teil sehr positiv wahrgenommen wird und dass es zum anderen dann Teil der Kritik ist. Wir sind mit diesem Weg, den wir jetzt genommen haben, sehr zufrieden, auch alle indischen Darsteller sind damit sehr zufrieden. Aber, ja, es wird vermutlich einer der letzten Filme seiner Art sein zum Thema Culture Clash.

Dreh in Indien rechtzeitig zu Ende

Wellinski: Dazu gehört für mich übrigens auch der Umgang mit der Musik im Film: Die ist wunderbar, auch extra komponiert. Sie hat Bollywood-Anleihen, sie ist aber nicht ganz richtig Bollywood. Was war die Idee dahinter, hinter den Songs?
Montag: Wir wollten keinen Bollywood-Film machen, sondern Bollywood interpretieren, auf ganz eigene Art und Weise. Die Songs kommen immer an den Stellen, wo Ranji mit seinen Emotionen entweder so mit dem Rücken an der Wand steht, dass er über die Emotionen besser singen als sprechen kann. Es wird eine traurige Ballade oder es kommt, bei der Fahrkartenkontrolle, der große Hilf-dir-selbst-Song, der ihm Mut macht. Das ist die eine Seite der Musik. Die andere Seite der Musik ist der Score, den wir mit echten indischen Instrumenten mit dem Babelsberger Filmorchester auf eine ziemliche Größe angelegt haben. Und obwohl alle gesagt haben: "Nehmt kein Orchester bei einem Kinderfilm, das dankt euch keiner, da reichen normale Samples aus dem Keyboard" haben wir gesagt, nein, das sind echte indische Instrumente, das ist ein fettes Orchester und da wird auch richtig Gas gegeben.

Superstar aus "India got Talent" an Bord

Wellinski: Sie haben zum Teil auch in Mumbai gedreht, zumindest auch in einem echten Bollywood-Studio. Könnten Sie mal diese Kulturerfahrung schildern? Das ist vielleicht mal etwas anderes als Regisseur, der aus Deutschland kommt und sich so was mal ansieht, das ist ja eine komplett andere Kinokultur.
Montag: Zum einen hatten wir wirklich großes Glück, den Dreh in Indien wirklich gerade abgeschlossen zu haben, bevor die Pandemie in Indien ankam. Wir sind mit dem letzten Flieger noch rausgeflogen aus Mumbai. Das war nach dem Holi-Festival, wo die ganzen bunten Farben geworfen werden, und da haben wir noch gedreht. Eigentlich hätten wir noch zwei Nächte in Mumbai zum Runterkommen verbracht, mussten dann aber in der Nacht nach dem letzten Drehtag zurückfliegen. Und obwohl wir uns geduscht und geschrubbt hatten und die beste ökologische Holi-Farbe verwendet haben, sind wir in Deutschland am Flughafen noch mit grünen und violetten Flecken im Gesicht und an den Händen aus dem Flieger gestiegen.
Der Dreh in Mumbai in den Bollywood-Studios war eine unglaubliche Erfahrung: Die haben unfassbar viel Platz da und jede Dekoration, die die aufbauen, jedes Schloss, jeden Maharadscha-Palast lassen die dann stehen, ziehen ein paar hundert Meter weiter, bauen die nächste Dekoration. Das sieht man im Film, da gibt es diese unfassbare Landschaft voller Kulissen. Da zu drehen, mit diesen unfassbar gut organisierten Tänzern, die komplexe Choreografien innerhalb von Kürzester Zeit lernen, das hat mich schon geflasht.
Die Tänzer sind gewerkschaftlich wirklich hart organisiert. Die Größe der Garderoben ist festgelegt und wie viele Make-up-Artists man pro Tänzer braucht, also es ist eine Industrie.
Wenn ich mir vorstelle, dass die beiden Kinder oder die beiden jungen Darsteller Annlies und Shan mit 12 und 13 Jahren das erste Mal vor der Kamera stehen in ihrem Leben, noch nie in einem Film mitgespielt haben. Und dann in Mumbai vor diesem 350-Mann-Team stehen, wo selbst ich keine Ahnung hatte, was die alle wirklich genau machen außer Brot backen und Chai-Tee kochen. Wo alleine schon zehn Menschen mit beschäftigt waren, dann denke ich mir: Wow, was muss die das in den Bann gezogen haben.
Wellinski: Aber man hat Sie schon begrüßt, oder hat man mit den Augen gerollt, dass da ein Deutscher so eine Art Bollywood-Film macht?
Montag: Wir hatten einen Riesenvorteil: Wir hatten mit Terrence Lewis, der diesen Star spielt, den Ranji anhimmelt, wirklich einen der Top drei Bollywood-Choreografen. Der sitzt in der Jury von „India‘s Got Talent“, was „Deutschland sucht den Superstar“ auf Indisch ist, und ist in Indien einfach ein Superstar. Er hat mit seiner Teilnahme diesen Film ohnehin geadelt und das ganze indische Team ist ausgeflippt: Wow, wir drehen mit Terrence! Das hat eine tolle Eigendynamik entwickelt.
Dem Team habe ich den Film gezeigt, und die Inder sagten: Ach Mensch, toll, mal endlich wieder einen richtigen Bollywood-Film gemacht zu haben, denn im Moment schaut man in Indien eher schmunzelnd auf die Bollywood-Tradition. Da passieren ganz neue Netflix-Filme, Arthaus-Filme und so weiter. Mal wieder einen Film zu machen, in dem gesungen und getanzt wird, ist für die fast eine kleine Reminiszenz gewesen und die hatten richtig Spaß dran.
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