Machtmissbrauch bei Filmfestival

In der Grauzone

Schild mit dem Logo des Film Festivals Cologne.
Film Festival Cologne: Sind es 20.000 oder 30.000 Besucher im Jahr? © picture alliance / dpa / Horst Galuschka
Von Jule Hoffmann und Max Kuball |
Im vergangenen Jahr erhoben Mitarbeitende Vorwürfe gegen die Leiterin des Film Festival Cologne und beklagten ein Klima der Angst. Eine Deutschlandfunk-Recherche geht der Frage nach, inwieweit solche Strukturen typisch sind für die Kulturbranche.
Das Film Festival Cologne, ehemals bekannt als Cologne Conference, ist ein Film- und Fernsehfestival, das einmal pro Jahr in Köln stattfindet. Es gilt als wichtiges Branchentreffen in Nordrhein-Westfalen und kombiniert Veranstaltungen für ein Fachpublikum mit einem öffentlichen Festivalprogramm für Filminteressierte.
Gezeigt werden internationale Premieren von Filmen und Serien. In den letzten Jahren waren oft große Namen unter den Gästen, wie David Lynch, Paolo Sorrentino, Mads Mikkelsen oder Margarethe von Trotta. Festivalleiterin und alleinige Geschäftsführerin der Cologne Conference GmbH, die das Festival organisiert, ist Martina Richter. Gegen sie gibt es schon länger erhebliche Vorwürfe. Die Ergebnisse einer Deutschlandfunk-Recherche.

Welche Vorwürfe werden gegen die Festival-Leitung erhoben?

In zwei offenen Briefen aus dem letzten Jahr berichteten ehemalige und aktuelle Mitarbeitende von einem „Klima der Angst“, einem autoritären Führungsstil, von Mobbing und psychischer Belastung. Zudem werfen sie Martina Richter problematische Beschäftigungsstrukturen wie Scheinselbstständigkeit und einen intransparenten Umgang mit öffentlichen Fördermitteln vor.
Die drei Hauptgeldgeber des Festivals sind die Stadt Köln, das Land NRW und die Film- und Medienstiftung NRW, die das Festival in den Jahren 2023 und 2024 mit über einer Million Euro gefördert haben. Die ehemaligen und aktuellen Mitarbeitenden forderten in ihren Briefen eine neue Trägerschaft mit mehr öffentlicher Kontrolle.

Was haben unsere Recherchen zu den Vorwürfen ergeben?

In unserer Doku schildern sechs ehemalige Mitarbeitende die Arbeitsatmosphäre beim Festival. Sie beschreiben, wie sehr sie einerseits das Betriebsklima belastet hat und wie stark sie sich andererseits mit dem Festival identifiziert haben.
Was sie erlebt haben, lässt sich mit Willkür, Gaslighting, Mikroaggression und einem herabwürdigenden Umgangston der Leitung gegenüber den Mitarbeitenden beschreiben. Martina Richter weist die Vorwürfe zurück.
Außerdem liegen uns interne Unterlagen vor, aus denen hervorgeht, dass öffentliche Angaben des Festivals zu Ticketverkäufen und Besucherzahlen nicht mit Zahlen übereinstimmen, die intern dokumentiert wurden. Bei den Festivals 2023 und 2024 wurden demnach jeweils weniger als 20.000 Ticketverkäufe registriert, gegenüber den Förderern und der Öffentlichkeit allerdings jeweils mehr als 30.000 Besucher kommuniziert.
Eine Erklärung für die große Differenz liefert das Festival auf Nachfrage nicht. Die drei Geldgeber des Festivals betonen, dass die Besucherzahlen kein Förderkriterium darstellen.
In Förderanträgen und Bewilligungen für das Festival aus den letzten beiden Jahren wird allerdings auch mit den hohen Besucherzahlen argumentiert. Demnach scheint die Frage, wie viele Menschen kommen, doch nicht irrelevant zu sein. Grundsätzlich seien korrekte Angaben zu machen, schreibt die Stadt Köln.

Welche Reaktionen und Konsequenzen gab es?

Wir haben Martina Richter mit den Vorwürfen zu Machtmissbrauch gegenüber Mitarbeitenden, zu möglicherweise problematischen Geschäfts- und Beschäftigungsstrukturen sowie zum Umgang mit Fördergeldern konfrontiert. Zurück kam ein Anwaltsbrief, ein sogenanntes „Informationsschreiben“, das uns warnt, Falschbehauptungen zu verbreiten, und das uns größtenteils ausdrücklich verbietet, daraus wörtlich oder sinngemäß zu zitieren.
Vor einem Jahr hatte Richter die Vorwürfe in Interviews bestritten. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung betonte sie ihre Verantwortung für das Festival und ihre „hohen Erwartungen an die Leistungsbereitschaft“ der Mitarbeitenden, die „naturgemäß immer mal zu Konflikten“ führten. Auch habe sie das Gespräch mit den ehemaligen und auch aktuellen Mitarbeitenden gesucht. Eine Mediation oder externe Beratung, die eine Aufarbeitung neutral begleitet und unterstützt hätte, gab es nicht.
In Reaktion auf unsere aktuellen Recherchen beruft sich Martina Richter zudem auf ein Awareness-Konzept, das in Zusammenarbeit mit dem Kölner Startup Diversity Culture Cologne für das Festival erarbeitet wurde. Auf unsere Nachfrage bei diesem Startup stellte sich allerdings heraus, dass der Fokus dabei nicht auf internen Strukturen, sondern auf dem Publikum und dem Festival als öffentliche Veranstaltung liegt. Martina Richter betont, es sei sehr wohl auch um das Betriebsklima gegangen.
Die drei Geldgeber des Festivals – die Staatskanzlei von Nordrhein-Westfalen, die Stadt Köln sowie die Film- und Medienstiftung NRW – haben im letzten Jahr angekündigt, den Vorwürfen aus den offenen Briefen nachgehen zu wollen. Auch sie haben sich in ihren Stellungnahmen uns gegenüber auf das erarbeitete Awareness-Konzept berufen. Auf unsere Nachfragen haben sie jetzt eine erneute Prüfung angekündigt.
Die einzige konkrete Konsequenz zog bisher ein Kooperationspartner des Festivals: Das Kölner Kurzfilmfestival (KFFK) hat die Zusammenarbeit mit dem Film Festival Cologne nach den offenen Briefen im letzten Jahr ausgesetzt.

Gibt es Lösungsansätze für die von den Mitarbeitenden benannten Probleme?

Das Kölner Startup Diversity Culture Cologne hat im Zuge der Zusammenarbeit mit dem Film Festival Cologne von den internen Konflikten erfahren und eine Mediation empfohlen. Nach Abschluss des Festivals seien nun Einzeltermine für Leitung und Team geplant. Ein Jahr nach den offenen Briefen gibt es also einen ersten konkreten Lösungsansatz.
Eine weitere Maßnahme, die die Situation womöglich verbessern könnte, kam bisher aus ungeklärten Gründen nicht zur Umsetzung: Schon 2020 gab es den Plan, das Festival in eine mehrheitlich öffentliche Gesellschaft zu überführen, an der Stadt und Land mit je rund 40 bzw. 50 Prozent beteiligt gewesen wären.
Diese strukturelle Veränderung hätte die Entscheidungsgewalt über das Festival und die Mitarbeitenden auf mehrere Schultern verteilt und könnte damit verhindern, dass sich zu viel Macht auf eine Person konzentriert.
Aktuell sei eine solche Veränderung der Festivalstruktur nicht geplant, hieß es auf unsere Nachfrage aus der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen und von der Stadt Köln. Die Stadt hat aber mitgeteilt, dass es ihr ein Anliegen sei, den gemeinsamen Austausch zu diesem Thema mit allen Beteiligten weiter fortzuführen.

Ist der Fall typisch für die Filmbranche oder singulär?

Eine Besonderheit beim Film Festival Cologne ist der Umstand, dass sämtliche öffentlichen Gelder in private Hand fließen – nämlich in die von Martina Richter als Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Cologne Conference GmbH, die das Festival organisiert.
Damit liegt alle Entscheidungsgewalt über das Festival und die Gelder bei einer Person. Ein Konstrukt, das in der bundesweiten Festivallandschaft ziemlich einzigartig ist. Die meisten anderen Filmfestivals sind in Vereinen organisiert oder unter öffentlicher Trägerschaft.
Typisch für die Film- und Kulturbranche ist dagegen, dass die Jobs beim Festival heiß begehrt und mit Prestige verbunden sind. Typisch erscheint auch die hohe Identifikation der Mitarbeitenden mit ihrer Arbeit, die dafür sorgt, dass viele bereit sind, weit über ihre Grenzen zu gehen, was die Arbeitsbelastung betrifft. Das Modell, nach dem viele Mitarbeitende von Monat zu Monat auf Rechnungsbasis arbeiten, gibt es auch bei vielen anderen Festivals.
Wie beim Film Festival Cologne fehlen auch bei anderen Kulturinstitutionen häufig Anlaufstellen für Konflikte mit der Leitungsebene. Eigentlich sind für solche Fälle Betriebsräte oder unabhängige Stellen zuständig. Einen Betriebsrat aber gibt es beim Film Festival Cologne nicht – ein struktureller Mangel, der große Teile der Kulturszene betrifft.
Letztlich ist die Grauzone von Machtmissbrauch, bei der es nicht um Geld oder physische Gewalt geht, ein gesamtgesellschaftliches Thema, das weit über den Kulturbetrieb hinausgeht.
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