Feuerwehr im Saustall
Innerer Tumult, drastische Späße, Melancholie und Rausch: Die Bochumer Premiere von Shakespeares Komödie "Was ihr wollt" sorgte dank eines glänzenden Ensembles für außerordentlichen Applaus. In der Hauptrolle bewies Jana Schulz ihre Extraklasse.
Roger Vontobel greift bei seiner Neuinszenierung von "Was ihr wollt" im Bochumer Schauspielhaus am Anfang und am Ende von Shakespeares melancholischer Komödie stark ein. Zunächst zeigt er eine Hochzeitsgesellschaft. Die Braut beginnt, sich auffällig zu benehmen, schließlich zermanscht sie ihre dreistöckige Hochzeitstorte. Das Bild kippt ins Surreale: Von rechts tritt ein junger Mann mit Feuerwehrschlauch auf, der den harten Wasserstrahl auf die Braut richtet. Jana Schultz fällt um, ihre Robe ist klatschnass. Da kommt von links eine junge Frau im Hochzeitskleid, ebenfalls mit Feuerwehrschlauch und bedrängt die Braut von der anderen Seite.
Die beiden Gestalten mit den Wasserschläuchen, das wird später klar, symbolisieren den weiblichen und den männlichen Anteil in ViolaSebastian. Vontobel deutet den Sturm Shakespeares, der vor dem Anfang der Komödie einen Schiffbruch verursacht, dem die Zwillinge Viola und Sebastian zum Opfer fallen, als inneren Tumult. Bei Shakespeare wären die Zwillinge beinahe ertrunken, sie können sich, jeder für sich, ans Ufer retten, jede/r hält die/den anderen für tot.
Diese Konstellation deutet Vontobel um. Es gibt keine Zwillinge, nur Viola. Jana Schulz zeigt Violas Unschlüssigkeit, ob sie eine Frau ist oder Sebastian dominant wird, sie weiß nicht, ob sie Frau oder Mann sein will. Das Problem verschärft sich für Viola, weil sie sich als Mann verkleidet, um dem Herzog von Illyrien, wo sie an den rettenden Strand gespült wurde, zu dienen. Sie verliebt sich in den Herzog, der sie ganz gern mag, aber, da er sie für einen Mann hält, erotisch uninteressiert ist. Zumal er meint, schwer verliebt in die reiche Gräfin Olivia zu sein.
Deshalb schickt er Cesario – das ist der nom de guerre, hinter dem sich Viola verbirgt – als Liebesboten. Olivia wehrt den Herzog ab, verliebt sich aber in Cesario. Violas Unsicherheit, ob sie nun Frau oder Mann ist, vertieft sich. Für sie ist alles kein leichtes Spiel, bringt auch keine Klärung der Verhältnisse, sondern endet tragisch. "Ich bin nicht, was ich bin. Viola" steht groß und fett gedruckt auf einer Seite des Programmheftes, auf einer anderen, ebenso hervorgehoben: "Du sollst so sein, wie ich Dich haben will. Olivia und ganz Illyrien." Da sich ViolaSebastian diesem Ansinnen nicht entzieht, nicht selbst entscheidet, zerreißt es sie, sie stirbt.
Die Deutung wirkt aufgesetzt und birgt in sich logische Schwierigkeiten – wieso ist Viola auf einmal so stark, dass sie zwei männliche Gegner auf einmal bezwingt? Neben der wunderlichen Umdeutung lässt Vontobel aber ansonsten die Komödie in ihren Hauptzügen unverändert – hier gibt es Definitionen von Geschlechterrollen und Reflexionen über die Liebe zuhauf, die sich wechselseitig auch in Frage stellen, so dass es mehr als genug Diskussionsmaterial gibt.
Dabei vergisst Vontobel auch das Komische nicht. Das Wasser vom Anfang leitet er in Bassins (Bühnenbild: Claudia Rohner) und dort rutschen die meisten wenigstens einmal aus, fallen ins Wasser, entblößen reizvolle und weniger reizvolle Dessous oder gucken einfach nur blöd aus der Wäsche. Es gibt Effekthascherei, Vontobel ist da so bedenkenlos, wie es Shakespeare einst war, der sehr wohl wusste, was wir wollen – die drastischen Späße werden von subtilen ergänzt.
Insbesondere Martin Horn gelingt ein Meisterstreich. Er spielt Malvolio, den Haushofmeister Olivias, der reichen Gräfin. Malvolio ist ein nüchterner Mann, ein Puritaner, der Mühe hat, die Unordnung und Verschwendung von Olivias Onkel und dessen Spießgesellen zu ertragen. Die spielen ihm einen bösen Streich und lassen ihn glauben, Olivia habe sich in Malvolio verliebt. Er fällt auf die Täuschung rein, weil sich damit seine verborgensten Hoffnungen und Wünsche erfüllen würden. Dabei geht es ihm weniger um Olivia, er begehrt seine Herrin nicht, er wünscht seinen Aufstieg, um endlich die Macht zu bekommen, Ordnung in dem Saustall, den Olivias Onkel anrichtet, zu schaffen.
Bei Shakespeare wirkt Malvolio als Parvenü, sein Wahn, seine Herrin könne ihn lieben, absolut lächerlich; im Stück herrscht borniert ständisches Denken von oben herab pur. Bei Roger Vontobel und in Martin Horns Interpretation wird es republikanischer: Der Wunsch nach einer Durchlässigkeit der Gesellschaft, in der der Tüchtige aufsteigen kann, erscheint berechtigt. Horn erweist sich als Meister der Mimik und Körpersprache, wenn er zeigt, wie ernst Malvolio seine Pflichten nimmt, aber wie gern er dann auch seinen (Selbst)Täuschungen erliegt – ernst, einfühlsam, komisch, subtil, eine Sternstunde der Schauspielkunst.
Jana Schulz trägt als Viola/Sebastian die Hauptlast des Abends – sie ist eine Schauspielerin der Extraklasse. Aber sie wirkte bei Exaltationen überfordert. Ihre Artikulation ließ zu wünschen übrig – und doch ist jedes ihrer Worte wichtig, vor allem, wenn es um ihre Identität geht, um die sie ringt und die doch so vertrackt zwiespältig wirkt, sich dem Zugriff entzieht. Michael Schütz als Herzog meistert hingegen auch Passagen in stürmischen Gemütslagen wie selbstverständlich. Er nimmt einfach das Tempo etwas zurück, jedes Wort ist verständlich – und dennoch ist der Tornado in seinem Innern nicht um einen Deut gemildert. Selbst im Rausch verschleift kein Wort, dennoch weiß jeder Zuschauer, dass der Herzog aus Unglück zur Flasche gegriffen hat. Und nicht zu knapp.
Vontobel nutzt geschickt den Kontrast von Komik und Melancholie. Ihm wäre ein großer Wurf gelungen, hätte er seine Neudeutung für sich behalten. Andrea Breth hat 1989 am gleichen Ort auch "Was ihr wollt" inszeniert, sich näher an den Text gehalten; ihre Inszenierung war konzentrierter und im Ergebnis zum Thema Liebe und Geschlechterdefinition gleichwohl ergiebiger.
Wenn kein großer Wurf, so ist Vontobel und seinem glänzenden Ensemble doch ein Wurf gelungen. Der nicht enden wollende Applaus war verdient. Das Publikum wollte wohl nicht nur Anerkennung spenden, sondern auch mal ganz klar machen: Das ist Theater, was wir wollen.
Informationen des Schauspielhauses Bochum
Die beiden Gestalten mit den Wasserschläuchen, das wird später klar, symbolisieren den weiblichen und den männlichen Anteil in ViolaSebastian. Vontobel deutet den Sturm Shakespeares, der vor dem Anfang der Komödie einen Schiffbruch verursacht, dem die Zwillinge Viola und Sebastian zum Opfer fallen, als inneren Tumult. Bei Shakespeare wären die Zwillinge beinahe ertrunken, sie können sich, jeder für sich, ans Ufer retten, jede/r hält die/den anderen für tot.
Diese Konstellation deutet Vontobel um. Es gibt keine Zwillinge, nur Viola. Jana Schulz zeigt Violas Unschlüssigkeit, ob sie eine Frau ist oder Sebastian dominant wird, sie weiß nicht, ob sie Frau oder Mann sein will. Das Problem verschärft sich für Viola, weil sie sich als Mann verkleidet, um dem Herzog von Illyrien, wo sie an den rettenden Strand gespült wurde, zu dienen. Sie verliebt sich in den Herzog, der sie ganz gern mag, aber, da er sie für einen Mann hält, erotisch uninteressiert ist. Zumal er meint, schwer verliebt in die reiche Gräfin Olivia zu sein.
Deshalb schickt er Cesario – das ist der nom de guerre, hinter dem sich Viola verbirgt – als Liebesboten. Olivia wehrt den Herzog ab, verliebt sich aber in Cesario. Violas Unsicherheit, ob sie nun Frau oder Mann ist, vertieft sich. Für sie ist alles kein leichtes Spiel, bringt auch keine Klärung der Verhältnisse, sondern endet tragisch. "Ich bin nicht, was ich bin. Viola" steht groß und fett gedruckt auf einer Seite des Programmheftes, auf einer anderen, ebenso hervorgehoben: "Du sollst so sein, wie ich Dich haben will. Olivia und ganz Illyrien." Da sich ViolaSebastian diesem Ansinnen nicht entzieht, nicht selbst entscheidet, zerreißt es sie, sie stirbt.
Die Deutung wirkt aufgesetzt und birgt in sich logische Schwierigkeiten – wieso ist Viola auf einmal so stark, dass sie zwei männliche Gegner auf einmal bezwingt? Neben der wunderlichen Umdeutung lässt Vontobel aber ansonsten die Komödie in ihren Hauptzügen unverändert – hier gibt es Definitionen von Geschlechterrollen und Reflexionen über die Liebe zuhauf, die sich wechselseitig auch in Frage stellen, so dass es mehr als genug Diskussionsmaterial gibt.
Dabei vergisst Vontobel auch das Komische nicht. Das Wasser vom Anfang leitet er in Bassins (Bühnenbild: Claudia Rohner) und dort rutschen die meisten wenigstens einmal aus, fallen ins Wasser, entblößen reizvolle und weniger reizvolle Dessous oder gucken einfach nur blöd aus der Wäsche. Es gibt Effekthascherei, Vontobel ist da so bedenkenlos, wie es Shakespeare einst war, der sehr wohl wusste, was wir wollen – die drastischen Späße werden von subtilen ergänzt.
Insbesondere Martin Horn gelingt ein Meisterstreich. Er spielt Malvolio, den Haushofmeister Olivias, der reichen Gräfin. Malvolio ist ein nüchterner Mann, ein Puritaner, der Mühe hat, die Unordnung und Verschwendung von Olivias Onkel und dessen Spießgesellen zu ertragen. Die spielen ihm einen bösen Streich und lassen ihn glauben, Olivia habe sich in Malvolio verliebt. Er fällt auf die Täuschung rein, weil sich damit seine verborgensten Hoffnungen und Wünsche erfüllen würden. Dabei geht es ihm weniger um Olivia, er begehrt seine Herrin nicht, er wünscht seinen Aufstieg, um endlich die Macht zu bekommen, Ordnung in dem Saustall, den Olivias Onkel anrichtet, zu schaffen.
Bei Shakespeare wirkt Malvolio als Parvenü, sein Wahn, seine Herrin könne ihn lieben, absolut lächerlich; im Stück herrscht borniert ständisches Denken von oben herab pur. Bei Roger Vontobel und in Martin Horns Interpretation wird es republikanischer: Der Wunsch nach einer Durchlässigkeit der Gesellschaft, in der der Tüchtige aufsteigen kann, erscheint berechtigt. Horn erweist sich als Meister der Mimik und Körpersprache, wenn er zeigt, wie ernst Malvolio seine Pflichten nimmt, aber wie gern er dann auch seinen (Selbst)Täuschungen erliegt – ernst, einfühlsam, komisch, subtil, eine Sternstunde der Schauspielkunst.
Jana Schulz trägt als Viola/Sebastian die Hauptlast des Abends – sie ist eine Schauspielerin der Extraklasse. Aber sie wirkte bei Exaltationen überfordert. Ihre Artikulation ließ zu wünschen übrig – und doch ist jedes ihrer Worte wichtig, vor allem, wenn es um ihre Identität geht, um die sie ringt und die doch so vertrackt zwiespältig wirkt, sich dem Zugriff entzieht. Michael Schütz als Herzog meistert hingegen auch Passagen in stürmischen Gemütslagen wie selbstverständlich. Er nimmt einfach das Tempo etwas zurück, jedes Wort ist verständlich – und dennoch ist der Tornado in seinem Innern nicht um einen Deut gemildert. Selbst im Rausch verschleift kein Wort, dennoch weiß jeder Zuschauer, dass der Herzog aus Unglück zur Flasche gegriffen hat. Und nicht zu knapp.
Vontobel nutzt geschickt den Kontrast von Komik und Melancholie. Ihm wäre ein großer Wurf gelungen, hätte er seine Neudeutung für sich behalten. Andrea Breth hat 1989 am gleichen Ort auch "Was ihr wollt" inszeniert, sich näher an den Text gehalten; ihre Inszenierung war konzentrierter und im Ergebnis zum Thema Liebe und Geschlechterdefinition gleichwohl ergiebiger.
Wenn kein großer Wurf, so ist Vontobel und seinem glänzenden Ensemble doch ein Wurf gelungen. Der nicht enden wollende Applaus war verdient. Das Publikum wollte wohl nicht nur Anerkennung spenden, sondern auch mal ganz klar machen: Das ist Theater, was wir wollen.
Informationen des Schauspielhauses Bochum
