"Feuchtgebiete"

Von Anke Leweke |
Der Film "Feuchtgebiete" übernimmt den provokanten Tonfall von Charlotte Roches analfixiertem Roman. Dennoch wirkt die Protagonistin mit ihrer Leidenschaft für Körperausscheidungen und Hämorrhoiden letztlich eher bieder und spießig, meint unsere Rezensentin.
Gehört zu einer Provokation nicht auch ein Gegenmodell? Kann man den anderen nicht erst aus der Reserve locken, wenn man selbst etwas in der Hinterhand hat? Schließt ein Tabubruch nicht eine andere Haltung zum Leben, zu den Menschen und Dingen ein? Und im Fall von "Feuchtgebiete" eine andere Haltung zur Sexualität? Charlotte Roche wurde nicht müde zu erklären, dass es ihr um eine andere weibliche Sexualität gehe, darum, dass auch Frauen ihre ganz eigenen feuchten Fantasien haben. Sie ließ ihre Heldin schwitzen, stinken und den Schorf abkratzen. Sie ließ Helen einen exzessiven Umgang mit all ihren Körperausscheidungen und ihren Hämorrhoiden pflegen.

David Wnendts Film übernimmt den provokanten Tonfall von Roches analfixiertem Roman. Immer und immer wieder erklärt uns Helen aus dem Off mit naiv-koketter Stimme ihre Leidenschaft für unhygienische Zustände, für Bakterienzucht und andere vermeintliche Absonderlichkeiten. Auch darf man den Austausch benutzter Tampons mit der Freundin bewundern. Von einem Tabubruch will man dennoch nicht sprechen, denn fast schon penetrant und auch ein bisschen pädagogisch erläutert Helen dem Zuschauer ihre extremen Vorlieben, die sie stets als etwas ganz, ganz Besonderes ausstellt.

Eine endlose Nummernrevue
Dabei wäre es wesentlich interessanter gewesen, sie all diese Dinge in aller Selbstverständlichkeit tun zu lassen. Man nehme nur die erste Szene des Films: Barfuß (wer fährt schon barfuß Skateboard?) sucht die Heldin eine überschwemmte Toilette auf. Ihr bunter Nagellack, das Bild muss ja stimmen, wirkt geradezu fröhlich in der braunen Soße. Während sie ihr Hinterteil genüsslich an der verdreckten Toilettenbrille reibt, gibt sie eine Einführung in den Austausch von Körpersäften. Viel irritierender wäre das Bild ohne Off-Kommentar und in einem realer wirkenden Setting gewesen.

Ohnehin erinnert die Verfilmung an eine endlose Nummernrevue, flott geschnitten, knallbunt, mit entsprechender Musik unterlegt, aber stets scheint auf den Millimeter genau berechnet, was man gerade noch sehen soll und darf. Deshalb wirken die Bilder und letztlich auch die Moral hinter dem Film eher bieder und spießig. Helen wird als Romantikerin enttarnt, ihre merkwürdigen sexuellen Praktiken entstammen nicht einer anderen ausgelebten weiblichen Sexualität. Sie sind das Resultat einer traumatischen Kindheit, der nicht überwundenen Trennung ihrer Eltern, wie uns der Film überdeutlich mit zahlreichen Rückblenden wissen lässt. Im Krankenhaus liegend lässt Helen ihre Wunde am After nicht heilen, reißt sie wieder auf, weil sie hofft, Mama und Papa vor dem Krankenbett vereint wiederzufinden. Dann gibt es noch den charmanten Krankenpfleger, den sie mit Geschichten über ihre sexuellen Abenteuer zu verführen versucht.

Merke: Der richtige Mann heilt auch ein Hämorrhoidenfamiliendrama!

"Feuchtgebiete"
Deutschland 2013; Regie: David Wnendt; Darsteller: Carla Juri, Axel Milberg, Meret Becker; 109 Minuten; Filmhomepage
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