Eigentlich eine Liebesgeschichte

Von Hartwig Tegeler · 11.08.2013
Charlotte Roches Skandal-Bestseller kommt auf die Kinoleinwand. Und Regisseur David Wnendt spielt bei seiner Verfilmung gerne mit den Erwartungen. Tabus lässt er dabei keine aus und schlägt den erzählerischen Bogen vom Masturbieren mit der Möhre zur Suche nach Liebe.
Das erste Bild von "Feuchtgebiete" ist spitzbübisch: Die ganze Leinwand, gefüllt mit Haut, geteilt durch einen Schlitz. Klar denken wir, Sie, ich, ein weiblicher Po, schön, erotisch, klar, und - bei dieser Verfilmung des ach so versauten Skandal-Bestsellers von Charlotte Roche ganz angemessen - obszön wohl auch. Das Po-Bild beweist es doch? Denkste. Denn die Kamera fährt zurück, und die vermeintliche Po-Ritze erweist sich als Bild eines angewinkelten nackten Knies. ´Reingefallen´ könnte der Untertitel der Eingangsszene lauten. Erwartungen gegen den Strich zu bürsten - das schafft David Wnendt in seiner "Feuchtgebiete"-Verfilmung einige Male. Helen, die Hauptfigur, kniete da am Anfang auf ihrem Skate-Board und schoss durch die Stadt, während uns ihre Erzählerstimme mit der Geschichte über ihre Hämorrhoiden, […]

"Viele Jahre habe ich gedacht, ich dürfte das keinem sagen. Weil Hämorrhoiden doch nur bei Opas wachsen."

[…] während sie uns also direkt hinleitet auf der Problem der missglückten Intimrasur, die zu Analfistel und Krankenhausaufenthalt führte.

"Hygiene wird bei mir klein geschrieben. Die Muschi bloß nicht soviel waschen."

Gelegenheit für Helen, lebens- und sexualphilosophisch zu werden.

"Die Konsistenz des Muschi-Schleims spielt eine große Rolle. Sie ist immer unterschiedlich. Mal wie Olivenöl. Heute eher wie Hüttenkäse."

Helen hat sich also bei der Analrasur verletzt, liegt mit einer Entzündung im Krankenhaus und wird operiert, gut vor der OP darf Herr Professor mit dem Zeigefinger derb diagnostizieren. Autsch!

"Was war das? - Das war mein Daumen. - Stellen Sie sich immer so vor?"

Die Schweizerin Carla Juri spielt die Hauptrolle in diesem Sex-Märchen, das hemmungslos, obszön und freizügig ist - jenseits von Verklemmtheit oder Peinlichkeit. Aber eben auch sehr romantisch. Denn Helen mag zwar kein Tabu auslassen, was den sexualpraktischen oder hygienischen Umgang mit Geschlechtsteilen betrifft, aber neben gutem Sex sehnt sich das Scheidungskind im Krankenhaus vor allem danach, ihre Eltern - Meret Becker und Axel Milberg - an ihrem Krankenbett zu vereinen. Da werden in Rückblenden einige düstere Familiengeheimnisse erzählt. Gleichzeitig möchte Helen Pfleger Robin bezirzen und schockt ihn mit ihrer sexuellen Offenheit, dass es Robin ziemlich die Sprache verschlägt.

"Das kenn ich vom Schwanzlutschen. Wenn die ganz tief reinstecken. Klassiker. - Ja, kann sein. - Hat deine Freundin auch so Würgreizprobleme? - Nee, die macht sich nicht so viel aus Oralsex."

Doch am Ende sehnt sich diese hemmungslose junge Frau nach Liebe. "Feuchtgebiete" schlägt den erzählerischen Bogen vom Masturbieren mit der Möhre zum romantischen Abschlussbild: David und Helen gemeinsam im Regen.
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