Festspielhaus Hellerau

"Scharnier zwischen Stadt und Land"

Carena Schlewitt ist die neue Leiterin des "Europäischen Zentrums der Künste Hellerau".
Carena Schlewitt ist die neue Leiterin des "Europäischen Zentrums der Künste Hellerau". © Stephan Floß
Carena Schlewitt im Gespräch mit Gabi Wuttke · 05.06.2018
Für die neue Leiterin Carena Schlewitt hat das Festspielhaus Hellerau in Dresden eine besondere Funktion. Es könne in Zeiten von AfD und Pegida Menschen aus unterschiedlichen Lebensbereichen verbinden, betont die erfahrene Theatermacherin.
Gabi Wuttke: Wohnen und Arbeit, Kultur und Bildung, das war vor mehr als 100 Jahren die Devise in Hellerau in Dresden. 2002 erwachte das dortige Festspielhaus aus dem Dornröschenschlaf, seit 2006 ist es die Heimat des Europäischen Zentrums der Künste Hellerau. Weil es Intendant Dieter Jaenicke nach Nordrhein-Westfalen zog, wird von nun an Carena Schlewitt die Geschicke des Festspielhauses Hellerau leiten.
Geboren in Leipzig, arbeitete sie fünf Jahre in leitender Position im Berliner Hebbel am Ufer und wechselte dann nach Basel in die "Kaserne". Auch dort geht es um Neue Musik, zeitgenössische Kunst und Tanz. Einen schönen guten Abend, Frau Schlewitt!
Carena Schlewitt: Guten Abend, ich grüße Sie!
Das Europäische Zentrum der Künste Hellerau, aufgenommen am 13.09.2017 in Dresden (Sachsen)
Ein Ying- und Yang-Zeichen schmückt den Giebel des Festspielhauses Hellerau in Dresden.© picture alliance / dpa / Monika Skolimowska
Wuttke: Hellerau hat eine beeindruckende Geschichte, ist aber immer noch ein Dresdner Vorstadtbezirk. Wie wollen Sie versuchen, es in der Wahrnehmung ins Zentrum zu rücken?
Schlewitt: Ich empfinde das gar nicht als Nachteil, weil ich finde, es gibt eben eine andere Position auch, auf bestimmte Prozesse der Gegenwart künstlerisch zu schauen. So eine Scharnierfunktion zwischen Stadt und Land ist ja eigentlich etwas sehr Spannendes.
Wuttke: Was sind dann also die Höhepunkte in Ihrem ersten Programm?
Schlewitt: Einsteigen wollen wir mit dem Thema Geschichte und Geschichten, Biografien und wie dies auch von der Kunst aufgegriffen und verarbeitet wird.
Wuttke: … und das Ganze spartenübergreifend.
Schlewitt: … und das Ganze spartenübergreifend, ja, in dem Sinne, dass diese Produktionen, mit denen wir starten, durchaus sehr interdisziplinär ausgerichtet sind. Das beginnt mit der Needcompany mit ihrer jüngsten Produktion "Krieg und Terpentin", eine Bearbeitung des Romans von Stefan Hertmans, der eigentlich in diesem Roman die Notizhefte, die ihm sein Großvater vererbt hat, bearbeitet hat. In diesem Roman geht es um eine Lebensgeschichte und auch um mehrere Generationen − des Großvaters, seines Vaters, aber auch natürlich des Autors und die Verbundenheit zur Kunst einerseits. Aber auch um diese Einschnitte in so einer Biografie, denn das, was der Großvater erlebt hat, ist, dass er in sehr jungen Jahren in den Ersten Weltkrieg eingezogen wurde. Das Ganze wird wie immer in der Art von der Needcompany sehr choreografisch, musikalisch auf der Bühne dargestellt, und auf der anderen Seite von der großartigen Schauspielerin Viviane De Muynck erzählt.
Wuttke: Sie haben ja bei Ihrer Vorstellung im Herbst 2016 zwei interessante Dinge gesagt, zum einen, dass Sie sehr an der Geschichte des Hauses Hellerau, des Festspielhauses, interessiert sind, und zum anderen an der Nachbarschaft. Das, was Sie jetzt beschrieben haben, klingt für mich so, als wenn Sie da als einen der Höhepunkte Ihres ersten Programms etwas sehr Bodenständiges ausgearbeitet haben.

Festival des polnischen Theaters geplant

Schlewitt: Ja, also das, was Sie erwähnen, diese beiden anderen Punkte, kommen durchaus auch in der ersten Spielzeit vor. Zum einen werden wir ein Festival des polnischen aktuellen Theaters veranstalten, und da geht es wirklich um die aktuellen Tendenzen des polnischen Theaters, verbunden natürlich mit den Tendenzen, was sich in den anderen Künsten abspielt, aber auch, wie momentan die polnische Gesellschaft aufgestellt ist und was davon in den polnischen Theatern verarbeitet wird. Dieses Festival des polnischen Theaters wird sich ein bisschen aufteilen wie in zwei Blöcke mit den Arbeiten von freien Produktionen und auch jüngeren Regisseuren und vor allem Regisseurinnen, und im zweiten Block steht im Zentrum die Produktion des großen polnischen Regiemeisters Krystian Lupa "Der Prozess" von Franz Kafka, wo es auch um die Verknüpfung geht mit der polnischen Gegenwart.
Die Geschichte des Hauses, die mich interessiert, die taucht vermittelt, würde ich sagen, auf. Und das hat auch mit Dresden zu tun, mit meiner Ankunft hier in Dresden, dass ich sehr oft auch angesprochen wurde auf die Barockstadt Dresden, auf die Kunstschätze hier, das Erbe, was hier vorhanden ist, und wir haben uns gesagt, wir würden uns gerne mit dem Schwerpunkt Erbstücke, Tradition beschäftigen, aber in der Auseinandersetzung, die zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen und Gruppen mit diesem Thema vornehmen.

Ein elitäres Programm?

Wuttke: Als Sie vor zwei Jahren für sich entschieden haben, nach Dresden zu gehen, da gab es Pegida und AfD schon. Sind Sie gegen den Vorwurf gewappnet, möglicherweise auch mit Ihrem ersten Programm ein elitäres Haus zu führen?
Schlewitt: Ja, das ist ja immer so die Frage, was ist elitär. Ich finde es immer so ein bisschen schwierig, allgemein darauf zu reagieren, "dass man ein elitäres Programm macht". Es sind die zeitgenössischen Künste, das stimmt, aber oftmals bieten die zeitgenössischen Künste eigentlich sehr gute Vorlagen, um für Menschen aus ganz verschiedenen Lebens- und Arbeitssituationen anzudocken.
Wuttke: Wenn sie denn gewillt sind, das anzunehmen!
Schlewitt: Wenn sie gewillt sind, das anzunehmen. Beziehungsweise ... das, glaube ich, ist auch unsere Arbeit: Uns so zur Verfügung zu stellen als Gesprächspartner, dass wir auch offen sind, über das zu erzählen, was wir vorhaben. Dass wir versuchen, verschiedene Formate des Gesprächs anzubieten, was ohnehin in den zeitgenössischen Künsten da ist, sind ja sehr verschiedene Formen auch der Begegnung mit dem Publikum. Da, denke ich, wird man durchaus, natürlich nicht immer das gleiche Publikum bei allen Veranstaltungen haben, aber doch ein breites Spektrum erreichen.
Wuttke: Frau Schlewitt, Ihr Vorgänger Dieter Jaenicke ist ein absoluter Tanzspezialist und -liebhaber. Wie wichtig ist Ihnen diese Sparte? Wird sie möglicherweise noch weiter ausgebaut oder vielleicht auch ein bisschen zurückgefahren?
Schlewitt: Ja, also der zeitgenössische Tanz wird natürlich weiterhin eine große Rolle spielen in Hellerau, weil ja auch wirklich, der zeitgenössische Tanz und der Tanz überhaupt, in Dresden sehr stark verankert ist, historisch, aber auch gegenwärtig. Und das heißt, wir werden mit der Dresdner freien Szene zusammenarbeiten. Die Dresden Frankfurt Dance Company wird weiterhin bei uns stattfinden. Wir haben das Schwerpunktprojekt Erbstücke, was sich sehr über den zeitgenössischen Tanz auch darstellen wird, und ein Höhepunkt der ersten Saison wird natürlich der Tanzkongress sein unter der künstlerischen Leitung von Meg Stewart.
Wuttke: … sagt Carena Schlewitt, die neue Leiterin des Europäischen Zentrums der Künste Hellerau, die ihr erstes Programm vorgestellt hat. Ab 1. Juli ist sie offiziell im Amt, und ich sage vielen Dank, viel Erfolg und noch einen schönen Abend.
Schlewitt: Vielen Dank Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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