Festival

Verrisse als Zeichen der Anerkennung

Graphic Novel Tage im Literaturhaus Hamburg · 31.03.2014
Zum dritten Mal findet das viertägige Comic-Festival bereits statt - es zeugt vom wachsenden Selbstbewusstsein des lange unterschätzten Genres in Deutschland. Auch Stars wie der französische Zeichner Baru waren zu Gast.
Dass der französische Comiczeichner Baru zu den Graphic Novel Tagen ins Hamburger Literaturhaus gekommen ist, ist keine Selbstverständlichkeit. Hervé Barulea, wie der 66-Jährige mit bürgerlichem Namen heißt, gehört zu den ganz großen Namen des zeitgenössischen französischen Comics. Sein italienischer Kollege, der Zeichner Igort, war letztes Jahr zu Gast in Hamburg, und er hat ihm das viertägige Comicfestival empfohlen.
Baru ist Autodidakt. Seit den 80er-Jahren erzählt er seine Geschichten aus der Arbeiterklasse, in denen viel geflucht und viel geprügelt wird. Er versteht sich aber nicht als Stimme der Marginalisierten in der französischen Gesellschaft.
"Ich erzähle nicht von Außenseitern, sondern von Menschen, die ich als 'Beherrschte' bezeichnen würde. Ich erzähle von den kleinen Leuten, wie Sie und ich, die bestimmten Bereichen zugeordnet werden, seien es geografische Orte oder eine soziale oder kulturelle Verortung. Man sagt diesen Leuten: Du gehörst da hin. Ich kenne das sehr gut, ich komme aus der Arbeiterklasse Lothringens. Und durch meine Ausbildung habe ich es geschafft, mich dieser gewaltsamen Zuordnung zu entziehen."
Jetzt sitzt Baru im Café des Literaturhauses, in einem Land, das ihm als Comicland eigentlich fremd ist. Bei der Frage nach deutschen Kollegen muss er erst einmal passen:
"Hm, da muss ich jetzt wirklich überlegen. Andreas, wie heißt er? Andreas Schultheiss, aber von ihm habe ich auch lange nichts mehr gehört."
Comic-Verkauf in Deutschland besser denn je
Matthias Schultheiss heißt der Mann, der zu den wenigen deutschen Comiczeichnern gehört, die in Frankreich größere Aufmerksamkeit bekommen. Doch das sollte sich bald ändern. Der in Berlin lebende Zeichner Reinhard Kleist ist jedenfalls ganz zufrieden mit der Aufmerksamkeit, die er für seine oft dokumentarischen Comicerzählungen bekommt: Eine Johnny-Cash-Biografie hat er genauso gezeichnet wie ein Buch über Fidel Castro, und vor zwei Jahren hat er mit "Der Boxer“ für Furore gesorgt: Es ist die in schwarz-weiß gehaltene Lebensgeschichte des jüdischen Boxers Herzko Haft, der mit Schaukämpfen für die Nazis Auschwitz überlebt hat.
Reinhard Kleist: "... die Situation ist eigentlich in Deutschland so gut wie selten zuvor. Deutsche Comics verkaufen sich einigermaßen gut, jedenfalls besser als damals. Mit so einem Album wie dem Johnny Cash bin ich schon sehr erfolgreich, auch internationale Verlage gucken gezielt nach Deutschland und kaufen Zeichner ein."
Am Abend wird Reinhard Kleist mit Baru, der zu seinen großen Vorbildern zählt, auf dem Podium im Literaturhaus Hamburg sitzen und über die Realität in Comics sprechen. Und er hofft, dass er nicht darauf antworten muss, warum er als Comiczeichner dort sitzen darf:
"Ja es nervt ein bisschen und diese Diskussion geht mir auch mittlerweile total auf den Senkel, 'Ist es Literatur, ist es Comic, was kann der Comic...', Comic ist auch ein Medium, um Geschichten weiter zu transportieren. Genauso wie Belletristik, wie Film, wie jedes Medium. Und für mich gibt es da auch keine Grenze. Darf der Comic das? Ja sicher darf der das. Er ist ein Medium wie jedes andere auch, und der darf alles."
Kultur der Comic-Kritik fehlt
Inzwischen darf er auch von Auschwitz erzählen – das war ein Novum. Der Amerikaner Art Spiegelman, der mit seinem wegweisenden "Maus“-Comic von der Shoah erzählt hat, war immerhin der Sohn von Überlebenden. Insofern sind die Graphic Novel Tage in Hamburg, auch wenn sie immer noch auf vier Tage im Jahr beschränkt sind, auch eine Demonstration des Selbstbewusstseins, das der Comic auch in Deutschland erlangt hat.
Auch wenn die Auflagen hierzulande selten so hoch sind wie in Frankreich, wo ein Baru auch mal 50.000 Exemplare eines Bandes verkauft. An Angeboten, sich mit dem Medium auseinanderzusetzen, fehlt es in Deutschland nicht mehr so sehr. Woran es aber fehlt, das ist eine Kultur der Comic-Kritik, die auch dazu beitragen würde, ein tieferes Verständnis von Comics zu vermitteln. Andreas Platthaus, als Literaturredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine der wichtigsten Kritikerstimmen in Deutschland, darf nur im Ausnahmefall einen Verriss über einen Comic schreiben:
"Und dementsprechend würde ich aber sagen, dass solange nicht auch wirklich Verrisse publiziert werden, wie Lobeshymnen, solange sind wir beim Comic noch nicht dort angekommen, wo die anderen ästhetischen Disziplinen sind. Es ist kein Problem, wenn ein Theaterstück verrissen wird. Es wird trotzdem gedruckt, weil man einen Hamlet sich genau ansehen muss und eben auch kritisch was bemerken muss, und dass man sich eigentlich genau so auch einen neuen Baru oder einen neuen Reinhard Kleist angucken müsste und dann notfalls auch sagen: Das ist nicht so geglückt."
Über Verrisse würden sich mittlerweile sogar die Autoren freuen. Jedenfalls Reinhard Kleist:
"Ich habe mal für den 'Castro' in der Süddeutschen einen Verriss gekriegt, und ich war total froh. Und das ist ja auch eine Wertschätzung von der Arbeit die man macht. Dass man das jetzt nicht so mit Samthandschuhen anfasst wie so ein missratenes Kind, sondern, so, das wird jetzt genauso wertgeschätzt
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