Festival

Tanz auf dem Ehrenmal

Besucher vor dem sowjetischen Ehrenmal in Treptow in Berlin
Eine Tanzaufführung fand vor dem sowjetischen Ehrenmal in Treptow statt © picture alliance / dpa / Paul Zinke
Von Gerd Brendel · 27.06.2014
Im Haus der Berliner Festspiele hat das Festival "Foreign Affairs" mit Theater, Tanz, Performances und Konzerten begonnen. Gerd Brendel hat sich die ersten beiden Tage angesehen - und störte sich am ausufernden Pathos-Getöse.
"Musée de la Danse, Performing Pop, Empowerment" - drei Schwerpukte nennt das Programm von "Foreign Affairs" in diesem Jahr. Das letzte Thema wird an diesem Wochenende allerdings andernorts in Berlin verhandelt, in Kreuzberg, wo gerade Flüchtlinge und ihre Unterstützer in einer besetzten Schule um Bleiberecht kämpfen. Im bürgerlichen Charlottenburg hingegen wurde ein temporäres Denkmal der russischen Performance-Gruppe "Stjo Stelat" vor dem Haus der Berliner Festspiele von betrunkenen Fußballfans oder sonst wem in der Nacht vor der Eröffnung abgefackelt. Jetzt liegen die angekohlten Holzlatten vor dem Eingang. Ein so nicht geplanter Beitrag zum Thema "Empowerment" und "Denkmalspolitik". Während irgendwo in der Nachbarschaft ein Anwohner hinter zugezogenen Gardinen darauf wartet, dass das Premierenpublikum im Garten zu laut mit den Gläsern klappert, um die Polizei wegen Ruhestörung zu rufen. Das macht er jedes Mal, weswegen seit Jahren alle Feiern Festspielhaus ein vorzeitiges Ende finden.
Unmögliche Zweisamkeit
Aber zurück zum Festival: Das steht an diesem Wochenende unter einem vierten Thema: "vergebliche Liebesmüh". Gleich die erste Produktion "Das Ende einer Liebe" des preisgekrönten französischen Regisseurs und Stückeschreibers Pascal Rambert fängt da an, wo alles zu Ende ist: Im gleißenden Neonlicht der Seitenbühne stehen sich ein Mann und eine Frau gegenüber.
"Es geht nicht so weiter, wir werden es einsehen ..."
... beginnt der Mann. Unglaublich konzentriert hält der Schauspieler Jens Harzer seinen Trennungsmonolog. Kein Rosenkrieg, keine Zeile lang Eifersuchtsdrama, sondern ein großer Meta-Text über die Unmöglichkeit von Zweisamkeit. Auf der anderen Seite des Raums steht seine Partnerin, ihr steigen die Tränen in die Augen. "Musstest Du an eigene Trennungsgeschichten denken?", fragt mich meine Sitznachbarin hinterher. Mußte ich nicht. Perfekt aber, kalt wie das Neonlicht, wird hier das "Ende einer Liebe" seziert.
Dann kommt ein Kinderchor auf die Bühne. "Wir müssen hier proben", sagt ein Dreikäsehoch. Nach dem Trällerlied antwortet die Frau, gespielt von Marina Galic. Die beschwört die vergangene gemeinsame Zeit. Aber ich schaue verstohlen auf die Uhr.
"Der Kuckuck und der Esel..."
Reinicke Fuchs als Multimedia-Spektakel
Eine Stunde später erzählt das belgische Performance-Kollektiv "FC Bergmann" auf der großen Hauptbühne eine Fabel aus dem Tierreich. "Van den Vos" - vom Fuchs.
Es ist die alte Geschichte vom listigen Reinicke Fuchs inszeniert als Multimedia-Spektakel mit Orchester, Swimmingpool und Videoprojektionen. Die Tierreich-Fabel wird als Splatter-Tatort in Szene gesetzt. Auf der Riesenleinwand sieht man, wie ein mysteriöser Unhold namens "Fuchs" seinen Gegnern die Köpfe einschlägt.
"Wie wollen wir in Gottes Namen eine Gesellschaft in der richtigen Spur halten, wenn es uns nicht einmal gelingt, Respekt vor dem Gesetz zu erzwingen?"
... fragt der Ankläger des Fuchses – Typ knorriger Polizeikommisar. Dann macht er sich über eine Minderjährige her. Was als Lehrstück über Moral und krankes Begehren beginnt, endet im banalen Pathos. Das gibt es im Kino in besserer Qualität.
Tanzaufführung am sowjetischen Ehrenmal
Pathos in Stein gemeißelt steht tonnenschwer am Ort der Premiere, mit der heute am frühen Abend der Tanzschwerpunkt des Festivals eröffnet wurde, dem sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park. Mitten in der theatralischen Stalinismus-Architektur lässt der französische Choreograf Boris Charmatz seine "20 Dancers fort the XX. Century - 20 Tänzer für das 20. Jahrhundert" auftreten. Nicht als geschlossene Compagnie, sondern jeder für sich allein.
Die Zuschauer schlendern von einem zum anderen und bekommen ein persönliches Stück Tanzgeschichte erzählt und vorgetanzt. Zwischen den zwei riesigen roten Marmorfahnen am Eingang improvisiert ein Tänzer zu Oskar Schlemmers triadischem Ballett und wird dabei von der Wucht der steinernen Soldaten links und rechts buchtstäblich zu Boden gedrückt. Hinter Buchsbaumhecken zeigt ein Kollege "vogueing" den Tanzstil afroamerikanischer Transvestiten. Zu Füßen des zehn Meter hohen russischen Soldaten improvisiert eine Tänzerin zu Folklore. Ein paar Schritte weiter erzählt eine Kollegin von ihrer Arbeit mit Pina Bausch.
Ein heiterer und trotzdem ergreifender Nachmittag und was für ein angenehmer Gegensatz zum Pathos-Getöse des Vorabends. Der ging übrigens rasch zu Ende. Brav räumten die Premierengäste den Garten, damit die Nachbarn ihre Ruhe haben. Soviel zum Thema "Empowerment" – Bevollmächtigung und Bürgerbeteiligung. Aber das Festival hat ja gerade erst begonnen. Es kann nur noch besser werden.
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