Berlin

Tanzbares Wandermuseum

Besucher vor dem sowjetischen Ehrenmal in Treptow in Berlin
Das sowjetische Ehrenmal in Treptow, Schauplatz für Charmatz' Aufführung © picture alliance / dpa / Paul Zinke
Von Elisabeth Nehring · 28.06.2014
Mit einer Aufführung im Treptower Park hat der französische Choreograf Boris Charmatz sein "Musée de la Danse" nach Berlin gebracht. Die Idee eines Tanzmuseums mag zunächst fremd erscheinen, doch das Konzept geht auf.
Der bekannte französische Choreograf Boris Charmatz hat in Rennes ein "Musée de la Danse" gegründet – ein Museum für den Tanz. Das klingt widersprüchlich – denn wie sollen die flüchtige Kunstform Tanz und ein für das Bewahren stehende Museum zusammengehen? Was kann so ein "Museum des Tanzes" überhaupt sein? Mit der Aufführung "20 Dancers for the XX Century" hat Boris Charmatz die Idee des Tanzmuseums realisiert. Erst im MOMA und jetzt beim Festival Foreign Affairs in Berlin an einem ganz speziellen Ort: dem sowjetischen Ehrendenkmal im Treptower Park.
Es ist dasselbe Konzept, aber mit unterschiedlichen Tänzern und Choreografen besetzt, die Soli oder Ausschnitte aus Choreografien des 20. Jahrhunderts zeigen. Was, das bleibt ihnen überlassen – und so wird sich jede Ausgabe dieser "Ausstellung", wie Boris Charmatz es nennt, von den anderen unterscheiden.
Am Sowjetischen Ehrendenkmal wurden ganz unterschiedliche Stücke präsentiert – je nach Herkunft, Erfahrung, Interesse, Hintergrund oder Neigung des Tänzers. Russische Volkstänze, ein Tanz aus einem Film von Charlie Chaplin, traditionelle afrikanische Tänze oder Michael Jacksons Moonwalk – also sehr Populäres.
Strenge Bewegungen, komplexe Figuren
Tänzer Ashley Chen zeigte Exzerpte aus den Stücken des berühmten amerikanischen Choreografen Merce Cunninghams - sofort zu identifizieren an den typischen gradlinigen, strengen Bewegungen in Kombination mit anspruchsvollen Verschraubungen. Einige Tänzer hatten sich dagegen für ganz Unbekanntes entschieden: Lenio Kaklea hat zum Beispiel die "free dances" von Francois Malkovsky ausgegraben – einem tschechischen Autodidakten und Pazifisten der 20er-Jahre, den noch nicht mal Fachleute kennen dürften. "Free dances" hatte Malkovsky als Handwerkszeug gedacht, mit dem Arbeiter ihre Bewegungen von der Härte der Schwerkraft befreien sollten – eine richtige Entdeckung für die Tanzhistorie.
Weit verstreut über die riesigen Sichtachsen des Sowjetischen Ehrendenkmals, haben die Tänzer kleine, persönliche, fast intime Inseln inmitten der Monumentalität geschaffen. Der Zuschauer kann flanieren, beobachten, nah rangehen, weitergehen, sich auf eine Sache ganz und gar konzentrieren oder von allem ein bisschen aufnehmen – als wenn er ein Museum durchwandelt.
Und so begreift Boris Charmatz diese Performance auch als Ausstellung, einmal weil wir – wie im Museum – selbst auswählen können, was wir ansehen, aber auch, weil Historisches gezeigt wird oder sich zumindest auf Historisches bezieht (denn inwieweit sich der rekonstruierte Tanz, den wir heute sehen, mit dem Original deckt, ist die Gretchenfrage der Tanzgeschichte). Charmatz' "Musée de la Danse" ist nicht notwendigerweise an einen Ort gebunden, sondern kann überall stattfinden – ein Wandermuseum mit immer neuen Exponaten.
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