Feridun Zaimoglu: "Bewältigung"

Hitler erschreiben

05:59 Minuten
Cover von Feridun Zaimoglus Roman "Bewältigung".
© Kiepenheuer & Witsch

Feridun Zaimoglu

BewältigungKiepenheuer & Witsch, Köln 2022

272 Seiten

24,00 Euro

Von Fabian Wolff · 17.09.2022
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Von einem deutsch-türkischen Autor und seiner Faszination für Hitler: Feridun Zaimoglu zielt in seinem neuen Roman auf Provokation. Das trifft nicht immer ins Zentrum aktueller Debatten, endet aber authentisch sprachlos.
Es ist ein merkwürdiges Phänomen: sehr männliche Autoren, die von der Idee gepackt werden, über Hitler zu schreiben. Norman Mailer plante am Ende seines Lebens einen ganzen Romanzyklus, Protagonisten von Don DeLillo und William Gass graben sich in Hitlerforschung ein. Knausgårds autobiografisches Großprojekt heißt im Original “Min Kamp”.
Feridun Zaimoglu wird mit seinem Buch “Bewältigung” jetzt Teil dieser Reihe. Protagonist ist “der Autor”, namenlos und mit Zügen von Zaimoglu, der durch Bayern zieht, um über Hitler zu schreiben, oft der Abnutzungsvermeidung wegen mit "H." abgekürzt. Der Roman ist halb Arbeitstagebuch, halb Chronik eines angekündigten Scheiterns, mit Passagen aus Fachliteratur, Erinnerungssplittern und gelegentlich auffiebernden surrealen Visionen. Der Stoff droht ihn zu verschlingen.

Deutschland und "sein" Hitler

Mit “Er ist wieder da”-Kaspereien hat das wenig zu tun, eher mit einem Wagnerianer wie dem deutschen Regisseur Hans-Jürgen Syberberg. Dessen eigene Auseinandersetzung, ein achtstündiges Filmepos, lief in den USA als “Our Hitler” und wurde von Susan Sontag gelobt. Unser Hitler: ein guter Alternativtitel für Zaimoglus Buch, das die Frage beantworten will, wie viel Deutschland in Hitler steckte, und wie viel von ihm (immer noch?) in Deutschland.
Für den Protagonisten geht es dabei auch um die Frage, wie deutsch er selbst ist. Seine türkischen Wurzeln werden vor allem von außen an ihn herangetragen, zum Beispiel von einem neonazistischen Mitschüler während des Abiturs in München, an den sich der Autor auf Spaziergängen durch Dachau erinnert.

Experimentelle und erhitzte Texte

Wenn die Literaturseminarbinse nicht ausreicht, dass Figuren nicht mit ihren Schöpfern identisch sind, dann vielleicht die Information, dass Zaimoglu selbst in Bonn zur Schule gegangen ist. An anderer Stelle erinnert sich der Autor an einen Vertriebenengroßvater mit Hass auf alles Slawische. Zaimoglu lässt offen, ob er seinem Protagonisten zur endgültigen Unterscheidung von seiner Autorenpersona auch einen deutschen Elternteil gegeben hat, oder ob der Großvater zu jener türkischen Minderheit in Südgeorgien gehörte, die von Stalin 1944 vertrieben wurde.
Eins verbindet Autor und Protagonist: Sie sind deutsche Schriftsteller, und stolz darauf. Zaimoglu war in den Neunzigern mit experimentellen und erhitzten Texten über deutsch-türkische Realitäten ins Feuilleton gekracht und verweigert sich seit zwanzig Jahren der ihm damals zugeschriebenen Rolle. 2002 provozierte sein Roman “German Amok” einen inzwischen vergessenen Feuilletonskandal: virtuose Hate Speech gegen alle deutschen Tabus, die mit einer Holocaust-Performance in einem Theater endet.

In Bayreuth mit einer Mission

In einem solchen beginnt wiederum “Bewältigung” als Fortsetzung, oder Neuschreibung. Der Autor sitzt in Bayreuth mit einer Mission: “Er will begreifen.”
Die Provokationen zielen jetzt tiefer. Es geht um Aneignung von Leid und Geschichte, um schwache Täter und starke Opfer und Überidentifikation, um die Wurzel von Hass, und um einen Protagonisten, der die nach ihm gekommenen “Araber” mal als neue Nazis zeichnet, vor denen er Angst hat, und mal als neue Juden, denen er sich unterlegen fühlt. Das wiegt schwerer und verstört mehr, als die eigentlich zentrale Provokation, ob es denn erlaubt sei, Hitler als Menschen verstehen zu wollen.
Letztlich eine Frage aus der frühen Berliner Republik, die weit weg ist von aktuellen Diskursen über multidirektionales Erinnern und postkoloniale Theorie. Sprachlich ist der Roman nicht aus dem Jahrzehnt, sondern gleich aus der Zeit gefallen. Zaimoglus privater deutscher Sonderweg hat ihn wohl von Luther zu Hitler geführt, denn die Sprache dröhnt und modert wie in seinem Lutherroman “Evangelio”. Es regnet wieder Feuer und Asche, diesmal gefolgt von einem leisen Ende. Zaimoglus Versuch, zu begreifen, schließt mit vielen offenen Fragen.

Authentisch sprachlos

Das ist eine Schwäche, denn gerne hätten die sprachlichen und moralischen Zumutungen in einem Bild enden dürfen, das nicht einfach einmal mehr deutsche Sehnsucht nach Erlösung durch Gewalt beschwört, und sei es mit umgedrehten Vorzeichen. Aber es ist eine Schwäche, die aus einer Stärke Zaimoglus entsteht, die ihn, den deutschen Romantiker, trotz seines gelegentlichen Anschreiens gegen liberale Befindlichkeiten vor der Tellkampisierung oder noch Schlimmerem bewahrt. Zaimoglu scheut sich nicht, “ich weiß es nicht” zu sagen, nur manchmal wird daraus in “Bewältigung” ein gereiztes “ich weiß es doch auch nicht”.
Als Reaktion auf die Shoah ist diese laute Sprachlosigkeit, die nicht selten einfach Desinteresse oder Apathie überdeckt, eigentlich ein deutsches Klischee. Bei Zaimoglu wird sie wieder authentisch. In weniger lauten Zeiten hätte er sie vielleicht auch in leisere Worte packen können. So könnte sein Schrei der Verzweiflung leider auch für einen Schrei nach Aufmerksamkeit gehalten werden.

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