Femizide im Krimi

Jung, weiblich, tot

04:34 Minuten
Nachgestellte Tatortszene: Kriminalist im weißen Schutzanzug und mit Kamera, der einen toten weiblichen Körper am Tatort fotografiert.
Die Darstellung junger, toter Frauen ist omnipräsent im deutschen Fernsehen, kritisiert Susanne Kaiser. Hier eine nachgestellte Tatortszene. © picture alliance / Zoonar / Lev Dolgachov
Ein Kommentar von Susanne Kaiser · 30.04.2021
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Unsere mediale Kultur ist besessen von weiblichen Mordopfern, sagt die Journalistin Susanne Kaiser. Permanent werden in Krimis Frauen getötet, die sich emanzipieren und eigene Wege gehen. Auch das ist Ausdruck unserer patriarchalen Gesellschaft.
Die schöne Leiche, mit ihr beginnen Krimis immer noch am liebsten: Im Sommerkleid liegt sie auf einer Wiese, als würde sie in der Sonne dösen. Oder sie wird aus einem Teppich gerollt, das Haar nur leicht zerzaust. Ein bisschen Blut hier und da, Würgemale, sauber amputierte Gliedmaße. Manchmal ist das Szenario auch ganz klassisch: Aufgebahrt liegt sie nackt am Ufer eines Flusses, die Hände gütig geöffnet wie die Jungfrau Maria. Alles deutet auf einen Ritualmord hin, bei dem es um Reinheit und Jungfräulichkeit geht.

Frauen sterben, weil sie sich emanzipieren

Die Frauenleichen haben etwas gemeinsam: Sie sind jung. Sie sind schön, daran kann auch der gewaltsamste Tod nichts ändern. Die Episoden tragen Titel wie "frischer Wind", "die Tote im Teppich" oder "das Tal der toten Mädchen". Die Frauen wollten sich etwas nehmen, das ihnen nicht zusteht – sich beruflich weiterentwickeln, gegen Missstände wehren oder sexuell selbstbestimmt sein – deshalb müssen sie sterben. Eine gewöhnliche Krimiwoche im deutschen Fernsehen von SOKO Stuttgart, über Laim bis Baztan Trilogie – also dem Baskenkrimi zeigt: Unsere massenmediale Kultur ist geradezu besessen von weiblichen Mordopfern.


Sie werden entführt, vergewaltigt, getötet, verstümmelt, zum Schweigen gebracht – und sind dabei begehrenswert. Weder Leichenstarre noch Verwesungsprozess können ihrer Anmut etwas anhaben. Aber was wird uns da eigentlich gezeigt, so ganz nebenbei im Abendprogramm, wenn überdurchschnittlich oft junge Frauen und Mädchen auf diese Weise Opfer von Gewaltverbrechen in Fernsehkrimis werden?

Inszenierung weiblicher Passivität

Da ist zum einen das Bild, das Ideal, das sie erfüllen. Von Frauen wird erwartet, dass sie attraktiv sind, und zwar selbst noch als Leiche. Ihrer Schönheit tut es keinen Abbruch, wenn sie als Tote vollkommen passiv sind, bewegungslos, nicht mehr fähig zu denken, zu sprechen, zu fühlen und zu handeln. Vielleicht sogar im Gegenteil: Der Schrecken verleiht den weiblichen Wesen eine geradezu erhabene Ästhetik. Erst der Tod bringt die totale, vollendete Reduzierung auf den Körper.
Manchmal steht dieser weiblichen Passivität ein männlicher Ermittler gegenüber, der als Beschützer der verletzlichen Frauen auftritt, gegen andere, böse Männer. Dann sind Frauen bloß das schmückende Beiwerk, um das starke Männer kämpfen, nicht selten auch in einer tatsächlich körperlichen Auseinandersetzung, wie in dem Degenduell im Krimi mit der Toten im Teppich. Der "echte" Mann ist der, der Frauen schützt, deshalb gewinnt er am Ende.

Es wird ein Bedrohungsszenario geschaffen

Mit dem Beschützerideal wird auch ein männlicher Besitzanspruch vermittelt: Selbst noch in der höchsten Intimität ihres Todes gibt es einen Anspruch auf den Frauenkörper, der nackt gezeigt werden und Begehren wecken soll. Es steht uns Zuschauenden frei, alle Bereiche des Körpers mit Blicken in Besitz zu nehmen und genau zu vermessen. Der Frauenkörper ist ein zugänglicher, ein dargebotener. "Für manche Männer ist die absolute Machtlosigkeit einer Frau das erotischste, das sie sich vorstellen können", konstatiert die feministische Essayistin Rebecca Solnit.
Aber da ist noch mehr, nämlich die Funktion, die Gewalt gegen Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft erfüllt. Dadurch, dass diese Gewalt allgegenwärtig ist, ständig wiederholt und gezeigt wird und unsere Popkultur durchdringt, wird ein Bedrohungsszenario geschaffen. "Kenne deinen Platz" suggeriert es dem weiblichen Teil der Gesellschaft. "Nimm dir nicht zu viel, gehe nicht mit Fremden mit und schon gar nicht ins Bett, wehre dich nicht gegen männliche Macht, sonst ist es ja kein Wunder, wenn ..." Frauen sollen nicht autonom sein, sie sollen beschützt werden müssen. Wenn sie nachts im Dunkeln alleine auf der Straße Angst haben und Männer nicht, dann haben solche Krimiszenarien daran einen Anteil.

Männer haben die Macht

Am Ende geht es dabei um männliche Herrschaft: Männer haben die Macht, Frauen so etwas anzutun, sie mit Gewalt unterzuordnen. Sie soll Herrschaftsverhältnisse wiederherstellen, die aus dem Gleichgewicht geraten, weil Frauen sich etwas herausnehmen – Autonomie, Selbstbestimmung, Wehrhaftigkeit. Jemandem das Leben zu nehmen, ist dabei die höchste Form der Kontrolle, die letztgültige Macht im Patriarchat.

Susanne Kaiser ist Literaturwissenschaftlerin, Journalistin, Buchautorin und politische Beraterin. Zuletzt erschien von ihr: "Politische Männlichkeit – Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen" (edition suhrkamp 2020).

Eine Frau lehnt an einer Mauer.
© Jakob Krais
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