Femi Kayode: "Lightseekers"

Benzin und Autoreifen

04:21 Minuten
Das Cover des Kimis von Femi Kayode, "Lightseekers". Es zeigt neben dem Autorennamen Femi Kayode und dem Titel "Lightseeker" im Hintergrund die Illustration eines Mannes, der sich umdreht.
© btb

Femi Kayode

Übersetzt von Andreas Jäger

Lightseekersbtb, München 2022

464 Seiten

16,00 Euro

Von Tobias Gohlis · 30.06.2022
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Der nigerianische Schriftsteller Femi Kayode rekonstruiert in seinem Krimi „Lightseekers“ einen Lynchmord an drei Studenten in Port Harcourt – und erzählt von einem tief zerrissenen Land zwischen Bürgerkrieg, Korruption und organisierter Gewalt.
In Okriki, einem Vorort der nigerianischen Universitätsstadt Port Harcourt, sind drei Studenten von einer aufgebrachten Menge entkleidet, verprügelt und schlussendlich verbrannt worden, indem ihnen mit Benzin getränkte Autoreifen über Kopf und Hals gestülpt wurden. Vom Martyrium der Studenten existiert ein Handyvideo.
Dr. Philip Taiwo, der Jahre in den USA als forensischer Psychologe gearbeitet hat, kann es nicht fassen: „Die Leute können doch nicht so verrückt sein, dass sie drei junge Männer am helllichten Tag verbrennen, nur weil man sie beim Klauen erwischt hat.“ Taiwo ist seiner Frau zuliebe nach Namibia zurückgekehrt und arbeitslos. Da kommt es ihm gerade recht, dass der Vater eines der Opfer ihn beauftragt, den inzwischen abgeschlossenen Fall mit fremden Augen erneut zu untersuchen. Das ist der äußere Rahmen von Femi Kayodes Debütroman „Lightseekers“.

Reise ins Herz der Finsternis

Für den westlich gebildeten Taiwo wird es eine Reise ins Herz der Finsternis. Selbst sein orts- und menschenkundiger Chauffeur und Sidekick Chika kann die beiden kaum davor bewahren, auf ähnliche Weise wie die Studenten ermordet zu werden. Scheinbar zu tief reichen die Hass-Strukturen, zu tief sind die Gräben zwischen Muslimen und Christen, Dörflern und Städtern, Armen und Reichen, örtlicher und staatlicher Polizei. Dazu kommen noch ethnische Rivalitäten und die Gegensätze von Tradition und Modernität. Überall liegen Benzin und Autoreifen am Wegesrand, fehlen nur die Zündhölzer: „Ausgelagerte Gewalt“ – mit diesem abstrakten Begriff versucht Taiwo vergebens, dem Chaos einen verständlichen Namen zu geben. 

"Das gibt es nur in Nigeria"

Femi Kayode, in Nigeria aufgewachsen, hat Psychologie, Film und Literarisches Schreiben in Namibia und England studiert. „Lightseekers“ beruht auf einem wahren Ereignis aus dem Jahre 2012, das als „Aluu-Zwischenfall“ die afrikanische Welt erschütterte. Kayode sah in der Fiktionalisierung einer nachgeholten forensischen Untersuchung die einzige Möglichkeit, sich und seinen Lesern den verstörenden Lynchmord, die „Dschungel-Justiz“ verständlich zu machen. Die Überfülle der plastisch dargestellten nigerianischen und familiären Katastrophen – Bürgerkrieg, Drogenhandel, studentische Kulte, Vater-Sohn-Streit, Eifersucht – löst beim Ich-Erzähler regelmäßig den Stoßseufzer „Das gibt es nur in Nigeria“  aus.
Tatsächlich lässt sie sich nur bändigen in einer Kriminalerzählung mit ihrem eigenen überraschenden Spannungsbogen. Für uns Westler ist das nigerianische Gewimmel, das Kayode gestaltet, aber noch weitaus faszinierender als der Plot. Krimi erschließt die Welt.
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