Wole Soyinka: "Die glücklichsten Menschen der Welt"

Ein Kompendium allen Übels von Nigeria

04:54 Minuten
Cover von Wole Soyinkas Roman "Die glücklichsten Menschen der Welt"
© Blessing Verlag

Wole Soyinka

Die glücklichsten Menschen der WeltBlessing Verlag, München 2022

654 Seiten

24,00 Euro

Von Sigrid Löffler · 28.06.2022
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In seinem satirischen Roman schreibt Wole Soyinka über Bestechung, Erpressung, Mordanschläge, politische Komplotte, Terrorbanden und religiöse Sekten in Nigeria. Mittendrin zwei Männer, die in die Heimat zurückkehrten, um ihr Land voranzubringen.
Der Nigerianer Wole Soyinka, Afrikas erster Literaturnobelpreisträger, hat im Laufe seines langen Lebens ein äußerst vielseitiges Werk vorgelegt –Theaterstücke, Gedichtbände, Essays, autobiografische Erinnerungen und zahllose politische Schriften. Seine Kritik an diversen nigerianischen Regierungen hat ihm mehrfach Gefängnisstrafen eingebracht und ihn immer wieder ins Exil gezwungen.

Zwischen Trauer und zynischem Überdruss

Das Romanschreiben war nie sein Hauptgeschäft. Mit 87 Jahren hat Soyinka nun seinen ehrgeizigsten und umfangreichsten Roman veröffentlicht, seinen ersten seit fast 50 Jahren. "Die glücklichsten Menschen der Welt" ist eine politische Satire, eine sarkastische Abrechnung mit Nigeria, das Konzentrat seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit seinem Herkunftsland. Der Erzählton schwankt zwischen Bitterkeit, Trauer, Wut und zynischem Überdruss, durchsprenkelt mit grimmiger Komik und schwarzem Humor.

Nigeria ist der eigentliche Protagonist des Romans. Es geht um Brandstiftung, Bestechung, Erpressung, Mordanschläge, politische Komplotte und familiäre Intrigen, Terrorbanden und religiöse Sekten. Der Roman liest sich wie ein Kompendium aller Übel, die das heutige Nigeria plagen.

Ablenkung vom wahren Elend

Der Staat brüstet sich mit einem Ministerium für Glückseligkeit und prahlt damit, die Einwohner seien die glücklichsten Menschen der Welt, während Regierung und Medien das Land mit der Inszenierung permanenter Jubelfeiern in zyklische Festivalhysterie versetzen, um das Volk vom wahren Elend des Landes abzulenken. Im Grunde beklagt Soyinka eine Nation, die ihre Seele verloren hat und deren Menschlichkeit sich im freien Fall befindet.

Das moralische Zentrum des Romans bilden zwei Männer, Duyole und Menka, die seit ihren Studententagen in England miteinander befreundet sind und gemeinsam mit zwei weiteren Studienkollegen einen Freundschaftsbund gründeten mit dem idealistischen Ziel, nach dem Studium nach Nigeria zurückzukehren, um die Heimat voranzubringen. Diesen beiden ist das auch vorbildlich gelungen.

Zwei Männer aus einflussreichen Familien

In der Gegenwartsebene des Romans nähern sich die Männer den 60. Duyole, aus einer einflussreichen Familie in Lagos stammend, ist ein erfolgreicher Ingenieur und wurde soeben als UN-Botschafter in Energiefragen nach New York berufen. Menka, ein Dorfjunge aus dem Norden, hat es zum angesehenen Chirurgen und zu nationalen Ehren gebracht, als Spezialist für die Heilung von Attentatsopfern der islamistischen Terror-Miliz Boko Haram. Die beiden sind immer noch eng befreundet, sind aber vom Rest des Viererbundes weggedriftet. Aus dem dritten Mitglied, einem Mathematik-Genie, ist ein krimineller Geldwäscher geworden, und der Vierte im Bunde scheint überhaupt verschwunden.

Die Handlung des Romans nimmt Fahrt auf, als Duyole und Menka den schauerlichen Umtrieben eines geheimen Netzwerks verderbter nigerianischer Eliten auf die Spur kommen, das bis in die Spitzen der Regierung reicht, hier repräsentiert durch zwei korrupte Machtfiguren, den intriganten und hinterhältigen Premierminister Sir Goddie und den falschen Propheten und religiösen Scharlatan Papa Davina.
Die Freunde decken auf, dass sich hinter der Organisation "Management Humaner Primärressourcen" ein lukrativer Schwarzmarkt-Handel mit menschlichen Körperteilen verbirgt. Das boomende Geschäft fußt auf dem kannibalistischen Aberglauben, dass die Einverleibung menschlicher Organe nicht nur die sexuelle Leistungsfähigkeit steigert, sondern auf magische Weise auch zu Macht, Erfolg, Gesundheit und langem Leben verhilft.

Boko Haram und die Gier der Eliten

Die Roman-Satire übertreibt die wahren Vorgänge in Nigeria nur unwesentlich. Tatsächlich hat sich Soyinka von realen Zeitungsmeldungen über grausige Vorfälle von rituellem Kannibalismus in Nigeria inspirieren lassen. Seine Empörung gilt generell dem Verlust der Menschlichkeit in der postkolonialen Gesellschaft seines Landes, wofür er auch das barbarische Wüten fundamentalistischer Gruppen wie Boko Haram sowie die mörderische Gier mächtiger Eliten verantwortlich macht.

Der Roman zeichnet sich nicht eben durch straffe Strukturierung seines Stoffes aus. Er verzweigt sich gerne in Nebenhandlungen und verliert sich oft in Anspielungen auf Vorgänge, die Nicht-Nigerianer schwerlich entschlüsseln können.

Ist der Roman "Die glücklichsten Menschen der Welt" also Wole Soyinkas Opus Magnum geworden? Nicht ganz. Die Ambition scheint größer als das gestalterische Vermögen. Die Lektüre ist etwas mühsam, aber dennoch lohnend.

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