Februarrevolution 1917

Eine Revolution, die keine sein darf

Februar 1917: Die Einwohner Petrograds beteiligen sich an Demonstrationen.
Februar 1917: Die Einwohner Petrograds beteiligen sich an Demonstrationen. © dpa / ria novosti
Von Jörg Himmelreich · 08.03.2017
Das Jubiläum der Februarrevolution gleicht in Putins Russland einem Drahtseilakt: Seine Ideologen bewerten das Ereignis als Sieg des historischen Russlands. Gleichzeitig müssen sie die geringste Wertschätzung irgendeines revolutionären Gedankens unterbinden, meint Jörg Himmelreich.
Das Jubiläum des Zarensturzes stellt die staatlich verordnete Kulturpolitik des Kreml vor ein großes Dilemma. Einerseits war die Februarrevolution 1917 ein zentrales Ereignis der sowjetischen Geschichte, das die Identität des "homo sovieticus" entscheidend prägte. Sie kann daher vom offiziellen Moskau nicht einfach übergangen werden. Andererseits darf das autoritäre Regime Putins nicht die geringste Wertschätzung irgendeines revolutionären Gedankens zulassen. Denn jeder revolutionäre Geist muss im Moskau von heute schon im Keime erstickt werden. Sonst unterminiert er mit seinen Gegenwartsbezügen zu den Farbenrevolutionen in Georgien, in Kirgisien und in der Ukraine die eiserne Autokratie Putins.

Nur eine "Zeit der Wirren"?

So gab der russische Kulturminister Wladimir Medinski schon im November 2015 den Takt für die staatlichen Jubiläumsfeiern von 2017 vor: Die Revolution sei eine "Zeit der Wirren" gewesen. Damit spielt er auf die Kämpfe um den Zarenthron vor der Thronbesteigung der Romanows 1613 an, in der auswärtige Mächte wie Schweden und Polen um den Zarenthron mitkämpften.
Dieser Anspielung ist bezeichnend für die Muster der gegenwärtigen Neuinterpretation russischer Geschichte durch den Kreml. Nicht nur nutzen aus dieser Sicht auswärtige Mächte Zeiten unruhiger "Wirren" in Russland sofort gnadenlos aus, wie auch 1917 das Deutsche Kaiserreich mit der beförderten Rückkehr Lenins aus der Schweiz und dem anschließenden russischen Schmachfrieden von Brest-Litowsk. Sondern die russische Revolution ist danach nicht mehr das Projekt für eine bessere Gesellschaft wie sie der sowjetische Gründungsmythos bis zum letzten Tag der Sowjetunion verstanden haben wollte, sondern nur ein Störfaktor, ein Vorläufer der imperialen Berufung des wahren Russlands.

Echte Revolutionäre unerwünscht

Gesiegt habe in der Revolution keine der Parteien, sondern das historische Russland, das als vereinte Sowjetunion wieder auferstanden sei, so Medinski. Diese Wiederauferstehung eines historischen Russlands zu alten imperialen Größe nach der Revolution, damals in Form der UdSSR, ist natürlich nur das Vorspiel für das heutige wiedererstarkte Russland Putins, das er nach der Zeit neuerlicher Wirren in den 90er-Jahren unter Jelzin wieder zu seiner historischen, imperialen Größe zurückführt.
Kann die russische Revolution auf diese Weise noch als Renaissance der historischen, imperialen Bestimmung Russlands und als Bestätigung Putins neoimperialer Politik von heute umgedeutet werden, so sind Revolutionäre dagegen nicht erwünscht. Besteht ansonsten im heutigen Verständnis Moskaus die russische Geschichte nur aus Siegen, Erfolgen und Helden, so wird der Held Lenin marginalisiert.

Lenin wird marginalisiert

Wie Putin offiziell verkündet, legte Lenin mit der willkürlichen territorialen Neugliederung der UdSSR in verschiedene Sowjetrepubliken nur die Zündschnur für das Auseinandersprengen der Sowjetunion 1991 und die folgende staatliche Unabhängigkeit der einzelnen ehemaligen Sowjetrepubliken.
Wenn eine Berliner Theaterinszenierung die bolschewistische Frauenrechtlerin Alexandra Kollontai in den Vordergrund stellt, die das Frauenwahlrecht in der Februarrevolution durchsetzte, so ist das eine sehr westliche Interpretation. Für einen Putin dagegen, der Russland öffentlich rühmt, es hätte die besten Prostituierten der Welt, kann solch eine aufgeklärte Interpretation der Revolution nur westlicher, dekadenter Teufelskram sein - eben revolutionär. Und Revolutionen darf es nach der verordneten Geschichtspropaganda des Kreml in der russischen Geschichte nicht geben. Damals so wenig wie heute.

Jörg Himmelreich schreibt als Autor für die "Neue Zürcher Zeitung" und forscht zu kulturgeschichtlichen und außenpolitischen Themen Russlands und Asiens. Er war Mitglied des Planungsstabs des Auswärtigen Amts in Berlin sowie Gastdozent in Washington, Moskau und London.

© Peter Ptassek
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